Kyudo – „Der Weg des Bogens“

Temeswarer erlernen die Kunst des Schießens

Höchste Konzentration: Corneliu Nicoară bereitet sich zum Schuss vor. Foto: Zoltan Pazmany

Der Sam-Sho Club Temeswar ist mit einer Kampfkunst bereichert worden: Kyudo heißt diese und trifft bei Bogenbegeisterten direkt ins Schwarze. Der Verein gilt im West-Rumänien als einzigartig, Temeswar ist nämlich die einzige Stadt, außer Bukarest, die solch eine Kampfkunst anbietet. Der Klub wurde mit den Erwartungen gegründet, nicht nur die Kampfkünste an sich in Rumänien zu bereichern, sondern auch um tiefer in die japanische Kultur einzutauchen. Der Trainer der Kampfkunst, Corneliu Nicoară, ist zum Entschluss gekommen, Kyudo auch in Temeswar zu lehren, weil in Temeswar  ein reges Interesse an dieser außergewöhnlichen Kampfkunst herrscht, sagt er.

Kyudo, auf Deutsch „der Weg des Bogens“, ist eine der ältesten Kampfkünste der Welt, herauskristallisiert im 16. Jahrhundert in Japan: anfänglich um die Jagd zu vereinfachen. In der Gegenwart gilt es nicht nur als Sportdisziplin, sondern auch als Mittel zur persönlichen Weiterentwicklung. Was genau der „Weg des Bogens“ bedeutet, ist „genauso leicht und genauso schwer zu erklären wie Kyudo an sich“, meint Nicoară. „Letztendlich findet der, der Kyudo praktiziert auch seinen Weg im Leben. Es bietet einem die Gelegenheit, sich selbst mehr zu erforschen.“, fügt er hinzu. Kyudo hat sich im Laufe der Zeit aus der Verschmelzung einer sportlichen Komponente, eines geistigen Aspekts und aus höchster körperlichen Beherrschung, in zeremonielles Bogenschießen weiterentwickelt.

 „Ziel bei Kyudo ist es“, so Nicoară, „den Ablauf der acht Schritte zu befolgen, um den Pfeil erfolgreich abzuschießen. Das Befolgen der Schritte ist ebenso wichtig wie das Ergebnis an sich.“ Beim Schießen müssen Körper, Geist und Technik zu einer Einheit verschmelzen. Die Schritte sind antrainiert, gezielt und präzise, werden aber langsam ausgeführt und bedürfen höchster Konzentration. Die zeremonielle Art des Abschusses ähnelt einer gut einstudierten Choreografie. Der Schütze scheint in einer Art Trance versetzt zu sein – es wird einem schnell eines klar: hier geht es nicht nur um Bogenschießen, sondern um viel mehr. Den Schülern dieser Disziplin wird nämlich  beigebracht, das ganze Universum als den „wahren menschlichen Körper“ zu betrachten. Der Bogen wird somit zum Werkzeug der spirituellen Entfaltung. Der Geist und der Körper sollen in Einklang funktionieren. Um diesen Einklang, diese Form von Freiheit umzusetzen, sollen sich die Schüler ganz und gar nur einem widmen: dem Bogen.

Der Bogen, Yumi genannt, ist das Instrument des Lehrlings. Mit einer asymmetrischen Form und einer ungewöhnlichen Größe (2,4 Meter), wird ein weiter Auszug ermöglicht, der  Schütze kann das Ziel auch aus einer großen Entfernung treffen. Wegen dieser Größe fängt man jedoch üblich mit 15 oder 16 Jahren an, wenn es die körperliche Konstitution erlaubt. Dank der richtigen Schießtechnik, braucht man einen relativ geringen Kraftaufwand. Deshalb kann diese Kampfkunst bis ins hohe Alter ausgeübt werden. Die Kleidung und die Ausrüstung ist schlicht. Die „Uniform“  besteht aus einer dunkelfarbigen Hakama (Hose) und einer weißen Keikogi (eine Art Bluse). Die Ausrüstung ist allerdings schwer zu erwerben, den traditionellen Bogen findet man nur in Japan, wo dieser in kleinen Werkstätten von Hand gefertigt wird. Im Sam-Sho Klub werden Bogen aus normalem Holz mit einem Kohlenstofffaserinneren benutzt. Um die Widerstandsfähigkeit und Flexibilität zu erhöhen, sind sie von einer Schicht Fieberglas umhüllt.

Was den Trainer so an Kyudo fasziniert und ihn am Ball hält, ist die facetten- und einflussreiche, aber auch anscheinend einfache Sportart: ein einfaches Jagdinstrument kann den Charakter eines Menschen ganz besonders prägen. Zwar kann Kyudo für jeden eine andere Bedeutung oder eine andere Art von Einfluss haben, doch eines haben alle gemeinsam: sie lernen individuell das „Hier und Jetzt“ auszuschöpfen - ganz nach dem Prinzip „Sei der Bogen“.