Leserperspektive (II)

Temeswarer Vorstadtgeschichten

Lange war der „Iosefin“ das Herzstück des Stadtviertels. Seitdem der Marktplatz abgetragen und in eine neu errichtete Markthalle verlegt wurde, ist ein Stück Alt-Temeswar verloren gegangen. Archivfoto: Zoltán Pázmány

Ottilie E. Scherer: Mein Vater war unter anderem auch Imker, um einen Ausgleich zu seiner Leitungstätigkeit zuerst bei der „Wahrheit“ und nachher beim Temeswarer Rundfunk zu haben. Er hatte 21 Bienenvölker, das zweiundzwanzigste gehörte mir und wir zwei waren uns immer einig, dass meine Bienen dicker seien als seine.

Ich war fünf Jahre alt, als er mir erzählte, es wäre von großer Wichtigkeit, dass wir unsere Bienen für den Winter einpackten, damit sie nicht erfrören. In den Jahren 1963 bis 1970 erinnere ich mich an sehr kalte Winter, später wurden sie in manchen Jahren milder. Mir leuchtete das ein und ich war Feuer und Flamme, wie immer, wenn mein Vater etwas vorhatte…und er hatte immer etwas vor und ich durfte ausnahmslos dabei sein.

Mit dem „Wägelche“ unterwegs

Es wurden Vorkehrungen getroffen. Wir zogen den Handwagen aus dem Schuppen, ein richtig großer Wagen auf zwei Eisenrädern, mit einer starren Stange und einer kleinen Querstange als Griff, die festgeschraubt war, anders als der wackelige Griff des Leiterwagens der Großeltern, an dem sich jedes Familienmitglied mindestens ein Mal im Jahr die Hand quetschte, mit dem anschließenden Geschimpfe, dass man das endlich richten müsse.

Also dieses große „Wägelche“ wurde hervor geholt, wir zogen unsere Gummistiefel an, ich war überaus stolz auf die roten Gummistiefel, denn außer den Männern der Familie hatten bei uns Frauen nie welche an, und zogen los, aus der Kreuzgasse (heute Podgoriei) zur Lohmkaul (Lehm- Kaul, Anm. Kaul ein regional in Österreich gebrauchtes Wort für einen Dorfteich). Unterwegs beobachteten wir den Reifegrad der Äpfel an Großvaters Klarapfelbaum im vorderen Hof, entdeckten, dass sie noch grün, aber schon essbar waren, nahmen sechs Stück ab und verließen endgültig das Haus. Zu den Äpfeln hatte mir Vater eine wichtige Lebensweisheit mitgegeben, bereits im Jahr davor als ich an der anderen Kaul beim Szabo, schwimmen lernte: Zum Schwimmen geht man nie ohne grüne Äpfel und am besten schmecken sie geklaut. Weil Großvater laut Vater die besten Apfelsorten hatte – weil mein Vater sie aus der Aufzuchtstation der Agronomie während seines Studiums alle angeschleppt hatte – wurden also jeweils Großvaters Bäume inspiziert und wir haben ihm niemals davon erzählt. Mit Vater konnte man Geheimnisse wunderbar teilen.

Am „Dispensar“ liebend gerne vorbei

Es war ein sehr heißer Augustspätnachmittag, das Dorf war leer, kein Hund war zu hören und die zwei Kühe und zwei Pferde die es noch in unserer Straße gab, wiederkäuten oder schliefen, jedenfalls war außer den Eisenreifen des Wagen auf dem roten, glühendheißen Ziegelpflaster nichts zu hören. Dort wo die Ziegel von tausenden Schritten, Wägen und Fahrrädern verrutscht waren, eine Ecke hochstand, humpelte der Wagen darüber. Da ich als Kindergartenkind in der Gesellschaft angekommen war, saß ich nicht im Wagen, wie ein Kleinkind, sondern lief neben Vater her. Am Ende der Kreuzgasse kam man am „Dispensar“ vorbei, ein Ort des Grauens, indem sich im hellblauen Kittel und weißer Schürze, mit weißer Haube auf dem Kopf, Frau Julianowici aufhielt, die Herrin über Nadeln und Spritzen, die in den Inox-Behältnissen rappelten, kaum, dass man das Sprechzimmer von Frau Dr. Sandor betreten hatte. Mir war schleierhaft, wie schnell man mit diesen langen Nadeln und dem Teufelszeug darin hantieren konnte. Pfui Deibel, es muss mal gesagt werden…

(Fortsetzung folgt)