Mit dem Theater im Arm auf dem Sofa

Temeswarer Theaterinstitutionen bieten Aufführungen im Internet

F1: Live-Streaming auf YouTube. Foto: die Verfasserin

Seit einigen Wochen sind uns mehrere bis vor Kurzem (fast) alltäglichen kulturellen Genüsse verwehrt geblieben. Damit wir das nicht ganz so tragisch empfinden, haben sich viele Kulturinstitutionen für das Öffnen im Online entschlossen. So helfen auch die Kulturakteure mit, dass diese Zeit schneller und leichter vergeht. Auch in Temeswar ist dies der Fall, das Nationaltheater Temeswar stellt seit Kurzem ganze Aufführungen ins Internet, woran sich das Publikum nun gratis von zu Hause erfreuen kann. Auch das Deutsche Staatstheater Temeswar hat anlässlich des Welttheatertags eine seiner Produktionen auf Facebook gesendet. Worin sich die Theaterrezeption auf Youtube, Facebook & Co. im Vergleich zu der im Saal unterscheiden und was ihnen gemeinsam ist – darum geht es im Folgenden.

„Ich bin eine kommunistische Alte“ („Sunt o babă comunistă“) nach dem Erfolgsroman von Dan Lungu in der Regie von Antonella Cornici, eine Produktion, die erst vor Kurzem, am 3. November 2019, dem ersten Tag der 24. Auflage des Doppelfestivals FEST-FDR aufgeführt wurde, ist eine ausverkaufte Premiere gewesen. Vor Kurzem kam sie ins Wohnzimmer der Zuschauer (oder Schlafzimmer oder Küche, denn nun ja, zu Hause sucht man sich den Zuschauer-Platz nach X-Belieben aus). Ausverkauft waren Premiere und die nachfolgenden Vorstellungen. Der Saal Nr. 2 ist zwar groß, aber nicht groß genug um alle zu empfangen, aber über den YouTube-Kanal ist es allen möglich, zuzuschauen.

Die Botschaft im Chat lautet: „Premiere läuft: Offiziell gehören Sie zu den ersten Fans, die dieses Video sehen. Freuen Sie sich auf die Premiere, indem Sie sich das Video anschauen und mit anderen Fans im real time zu chatten. Vergessen Sie nicht, die Regeln der Community zu beachten“.

630 Zuschauer sind es, als ich reingehe – ich hatte mich drei Minuten verspätet, das wäre im Theater nicht passiert. Das kann man dort gar nicht, denn es gibt keinen Einlass mehr. Ich bin auch ganz anders angezogen, zwar nicht im Pyjama, aber doch recht sportlich-häuslich, wie man das immer öfter bei den Facebook-Videos sieht, die nun kursieren. Wir sind eine schlecht angezogene Masse an Stubenhockern geworden. Ich schaue auf meine Sporthose, den schlabberigen Pullover und die riesigen Crocs – so wäre ich nie ins Theater gegangen. Die schöneren Kleidungssachen hängen seit Wochen im Schrank und warten auf bessere Zeiten.

Ich bin aber auch nicht im Theater, sondern in meinem Büro, habe bis vor kurzem gearbeitet, also hält jetzt das Laptop auch für das Entertainment her. Ich schaue aber auf den hölzernen Tisch, fühle die Stuhllehne mir in den Rücken greifen. Ich gehe entschlossen ins Wohnzimmer, mich gemütlich auf die Couch setzen, Füße nach oben – waren auch den ganzen Tag unter dem Tisch, -das Laptop in den Arm, wie einen Schatz, das Theater im Arm, kuschelig. Also sitze ich doch nicht im Schlafzimmer auf dem Bett wie wohl so mancher Schüler oder Student heutzutage in Videokonferenz. Ich sitze zivilisiert im Wohnzimmer. Füße nach oben.

Ich komme nicht umhin, an die Kindheit zu denken. Damals gab es im rumänischen Fernsehen, ich glaube immer am Montagabend Theater. Ich erinnere mich an einen schwarz gekleideten Mann (oder war er es nur wegen des Schwarz-Weiß-Fernsehens?), der den Gong schlug, der dann durchs Zimmer hallte. Die Theaterstunde hatte geschlagen.

Im Theatersaal und zu Hause

Die vielen Zuschauer hätten wohl keinen Platz gehabt im Saal Nr. 2. Das ist gut, das ist demokratisch so, alle haben Zugang, alle haben die gleichen Rechte, im Online-Theater.

Diese Theateraufführung und die folgenden, von denen ich sprechen werde, wurden auf Video aufgenommen, um archiviert zu werden, keiner hatte an Fernsehtheater gedacht und auch nicht, dass diese gratis vorgezeigt werden. Aber wenn man an ein bestimmtes Theaterhaus gebunden ist und das will ich von den Temeswarern hoffen, dass ihnen die Theater ihrer Stadt am Herzen liegen, ist diese auch wenn nicht mehr unmittelbare, sondern vermittelte Nähe von großer Bedeutung.

Theater ist so etwas wie direktes Erlebnis, Theater lebt von Nähe. Theater hat etwas mit Sozialisieren zu tun. Ins Theater geht man ja auch nicht allein, oder zumindest meistens nicht, es ist die Familie, der Partner, die Freundin, die man mitnimmt, mit denen man zusammen genießt, sowohl das Theater als auch das Miteinander, das Ausgehen, das kleine etwas Andere aus unserem Alltag. Sozialisieren hat auch aber mit anderen zu tun, denn man trifft Freunde, Bekannte, man redet, spricht, in der Pause, im Foyer, man genießt einen Saft, einen Champagner oder Konfekt – ich muss an das Raffaello in der Bar denken. Das mit dem Saft könnte sich jetzt auch zu Hause lösen, an Champagner haben wir bei den Einkäufen nicht gedacht, nur an Mehl, Wasser, ach Sie wissen ja schon… Raffaello gibt es auch nicht mehr im Haus, seit einer Weile nicht, aber es gibt Milka-Schokolade, ich muss mir ein Stückchen davon abreißen, schalte auf Pause – das lässt sich jetzt machen – drücke dann wieder auf Enter und knabbere zwischendurch.

Im Theater tauscht man sich auch aus, über das Theater und über anderes. Man mustert sich gegenseitig, vor allem die Frauen tun das, ja, ja das schicke Kleid, das hat man doch in dem Laden gesehen... Ich schaue auf meine Crocs. Auch zu Hause kann man sich austauschen, ich zeige meiner Familie die Theater-Offerte. Lässt sich noch jemand für das Theater begeistern? Mein Großer würde gern, muss noch etwas für die Schule erledigen, der Fluss an Hausaufgaben ebbt nicht ab. Mein Kleiner ist für das Stück zu klein, kommt, schaut, ja, gut. Mein Mann bastelt etwas gerade, hat keine Zeit, würde aber gern. Also sitze ich da, genieße das Schokostückchen und das Theater, beides auf einmal. Würde ich nie im Leben im Theatersaal machen.

Der Sound ist nicht perfekt, aber es kann an vielen Sachen liegen und ich will mich nicht unbedingt ärgern, indem ich irgendwelchen technischen Malheuren nachgehe. Das ist das Letzte, was ich jetzt brauche, nach einem Tag online arbeiten, will ich nun online entspannen. Ob das funktionieren wird? Zum Glück ist das Stück neu für mich. Das Buch kenne ich und ich finde es immer gut, wenn sich jemand bemüht, etwas aus einem Medium in ein anderes zu übertragen.

Was ich positiv finde: Das Theater bleibt so mit seinen Besuchern in Verbindung und sagt aus: Wir sind für euch da, auch wenn die Theaterstücke ausgefallen sind wegen der C-Krise – ich kann das gar nicht mehr aussprechen, wird schon viel zu oft wiederholt das verdammte Wort.

Wie man lernt, ruhig zu sitzen

Die Aufführung hat vor 13 Minuten angefangen. Das heißt das Streaming hat begonnen. Ob es ein Tunwort wie streamen im Deutschen gibt? Und ob die Vergangenheitsform nun gestreamt wäre? Duden weiß es, Duden weiß alles, was mit der deutschen Sprache zu tun hat. Auf duden.de könnte ich jetzt kurz reingehen, denn man sieht mich nicht, nicht wahr, wer von den Theaterleuten weiß schon, was ich während der Aufführung mache. Tatsächlich: streamen ist richtig.

Wie gesagt/geschrieben, die Theateraufführung hat vor 13 Minuten angefangen, die Zahl der Besucher ist auf 716 gestiegen. Also waren andere undisziplinierter als ich und sind noch später dazugekommen. Oh, jetzt sind es nur noch 710. Sechs sind also wieder weg. Ich erinnere mich an eine Ansage, die man vor Aufführungsbeginn den Zuschauern vorspielt: Wenn Sie während der Aufführung den Saal verlassen müssen... Ja, dann darf man nicht mehr rein. Aber hier, auf YouTube geht das. Hopp rein, hopp raus. Hopp rein. Hopp raus. Die Zahl steigt wieder. Ob es die Aussteiger sind oder andere weiß ich nicht.

Eine Theaterpremiere auf Video

Es ist die Geschichte von Emilia Apostoae, einer alteingesessenen Kommunistin, einer kommunistischen Alten eben, die über den Roman bekannt wird und nun ins Fernsehen kommt, in eine Sendung des Temeswerer Senders. Claudia Ieremia spielt sie gut, eine „matroană“ vor der Wende würde man sie nennen und es ist die erste Rolle, in der Claudia Ieremia nicht mehr zu den jungen, schönen zählt – als Gertrude in Hamlet gehörte sie zwar der älteren Generation, aber schick, modern, lebenslustig. Im Stück „Ich bin eine kommunistische Alte“ watschelt die alteingesessen Kommunistin – nur ein bisschen fürs Fernsehen aufgetakelt – im Fernsehstudio sie hat eine Lockenfrisur so ganz vor 1989, auch ihr Getue, sie hält die Tasche brav auf dem Schoß und lässt sich nur langsam ins Gespräch einbinden. So ganz post-1990 ist die TV-Moderatorin, eine „pitipoancă“ der Gegenwart, aufgedonnert bis es geht nicht mehr, rotes Pailletten-Kostüm und rote Stilettos. Emilia Apostoae war Parteimitglied, Angestellte in einer Möbelwerkstatt für Exportmöbeln. Der Chef war gut, brachte ab und zu ein Schwein, das man gemeinsam geschlachtet hat, jeder durfte ein Teil nach Hause bringen. Man hat auch etwas stehlen können, sagt sie. „Es ist uns wunderbar gegangen“. Ihr Mann ist nicht damit einverstanden, wird aber kleingeredet. Und die in Kanada verheiratete Tochter kommt nun auch ins Studio, schämt sich der kommunistischen Mutter, weiß es aber auch nicht besser. Und von ihrem Mann bekommt man auch die Floskeln zu hören, die jeder Standard-Tourist aus dem Ausland über Rumänien sagt: mămăligă, brânză, ţuicăund Dracula (Maisbrei, Käse, Schnaps und Dracula). Und dann erinnert sich die Apostoae nostalgisch an ihren Perserteppich, an den Brifcor-Saft, an… Meine Kinder fragen mich jetzt, wann wir endlich essen. Ich schaue auf.

Und schaue dann wieder zurück auf den Bildschim. Es sind über 600 Zuschauer 107 haben Likes abgegeben, kein einziges Dislike. Das Stück ist unterhaltsam. Oder haben die Menschen, die sonst böse im Netz kommentiert haben, wegen C. (Sie wissen schon, was ich meine), die Sprache verloren?

Im Theatersaal, im eigentlichen Theatersaal, im Saal Nr. 2 hört man jetzt ein Husten. Damals am 3. November, bei der Premiere ist der Husten untergegangen und wurde nicht weiter beachtet. Theater ist auch nicht so wie Oper, wo man schon bei einem Räuspern es mit den erhobenen Augenbrauen der Umgebenden zu tun hat. Heute hört sich das anders an und man schaut auf. Das war doch im Video, oder? Dann ist doch alles okay.

Mein Mann wurschtelt am TV und am Laptop, jetzt ist das Video Fullscreen auf unserem TV zu sehen. Schön. Aber das Theater im Arm war kuschelig!

Als ich den Artikel verfasste, hatten sich bereits 10.388 Zuschauer das Video von der Theaterproduktion auf YouTube angeschaut. Das kann man nämlich noch bis zum 1. Mai machen.

Doppelte Dosis Theater

27. März. Welttheatertag. Ohne Theater geht es nicht. Die Entscheidung fällt schwer, denn heute wollen ab 20 Uhr sowohl das Deutsche Staatstheater als auch das Nationaltheater etwas für das Publikum zu Hause senden: Carmen Lidia Vidus „Tagebuch Rumänien. Temeswar“ und Pál Frenáks „Im Traum“. Das bedeutet für mich Doppeldosis Theater. Da ich beide Aufführungen auch live gesehen habe, kann ich mir das leisten. Man muss nur auf „open in another window“ drücken. Dann gondele ich zwischen dem einen Fenster, wo der YouTube-Kanal des Nationaltheaters ist, und dem anderen mit der Facenbook-Seite des DSTT. Hier werden auch schöne Zahlen geschrieben: 925 Visualisierungen, 56 Likes, 4 Kommentare, 37-mal verteilt, darunter vom Rumänischen Kulturinstitut Wien und dem ICR in Brüssel.

Jetzt schaue ich mir die Kommentare im Chat des YouTube-Kanals an, Dankesworte. Hier: Alina L. kenne ich, sie arbeitet für das städtische Kulturhaus. Sie dankt und freut sich. Und viele Stimmen, aus der Diaspora, Menschen, die an Temeswar und an die Theater hier gebunden sind und die sich freuen.

Plötzlich kreisen meine Gedanken um Kultur gratis, was es bedeutet: Es ist Komfort, Solidarität und ein Liebeszeichen seitens der Kulturinstitutionen. Es ist PR und Marketing von der besten Sorte. Ich muss aber auch denken: Wenn Kunst gratis ist, sind keine guten Zeiten. Der erste Gedanke siegt: Komfort, Solidarität, Liebe.