Post mortem, post menstruationem, postmodern

Andrea Gavrilius Tanzstück “Hotel PM” als Karikatur der Moderne

„Hotel PM“ in der Regie von Andrea Gavriliu mit Olga Török, Konstantin Keidel, Isolde Cobet, Daniela Török, Horia Savescu und Radu Vulpe. Foto: DSTT

Alles ist Kitsch, aber nichts läppisch. Der Versuch sich auszudrücken ist sowohl euphorisch als auch rituell. Das weiße, anfangs sterile Hotelzimmer, gleicht eher einem Autopsieraum. Hier werden sie in der nächsten Stunde seziert: Sie, Er, Mister Orange, Mister Pink, die Dame de compagnie und die Zimmerfrau - alles Gäste im Hotel PM. Wofür das PM steht? Für alles, für nichts. Man könnte von Zeit, von Tod oder von Geburt sprechen. Am ehesten aber von punctum maximum, dem “Ort der größten Lautstärke” bei der Auskultation. Das ist das, wenn der Arzt den Stethoskop gegen die Brust drückt, um den Körper abzuhören, um so das gesundheitliche Befinden des Patienten festzustellen. Bei Routineuntersuchungen Standard. Also doch Autopsieraum, wenn auch hübsch ausgeschmückt. Doch hier geht es natürlich nicht um den Körper, das auch, aber besonders um die Seele oder zumindest um den seelischen Ausdruck des Menschen, um Emotionen also, die schnell oszillieren können. So schnell wie heutzutage Trends. Bei der Geschwindigkeit könnte man wahnsinnig werden, würde Oberflächlichkeit nicht als Puffer dienen. Nur das sie wiederum eines der Ursachen der seelischen Erkrankung ist. Hier also das Dilemma. Eins, dessen sich Andrea Gavriliu durchaus bewusst ist.

Darum erinnert auch “Hotel PM” ästhetisch an ein Musikvideo. Wenn Daniela Török als Domina die Bühne auf Absätzen betretet, die allen Regeln der Schwerkraft trotzen, dabei anmutig, rhythmisch aber auch  mit einer Schwere zugleich, zum Takt der Musik, wie ein Terminator schreitet, dann erinnert es an George Michaels “Freeek!”-Video. Die Dame de compagnie ist eine Fantasie zum anfassen, käufliches Glück, aber auch etwas Abnormes und darum in dieser Zwischenwelt heimisch, dem Hotel, das das wirkliche Zuhause niemals wirklich ersetzen kann. Eine Erkenntnis, zu der Gavrilius Figuren, in kurzen Schüben, gelangen. So auch die Domina, die beim Anblick eines Babys, daran erinnert wird, dass sie auch eine Mutter war, ist oder sein könnte. Diese flüchtige Bloßlegung unterbricht die Synchronisation, darum wird ihr auch das Baby schnell wieder weggenommen, damit sie wieder ihre Rolle als Akteurin in einem perfekt abgestimmten Musikvideo einnehmen soll.

 

Sexspielzeug im Narrenkäfig

Verdrängung ist eines der Themen von Andrea Gavrilius erster Inszenierung für das Deutsche Staatstheater. Und zwar geht es um eine kollektive Verdrängung und viel wichtiger, um die Mittel, die man sich dafür geschaffen hat. Sex als Industrie zum Beispiel. Im Stück unter anderem durch ein Sexspielzeug ausgedrückt, das sich kurz das Rampenlicht mit den Charakteren teilt. Wobei natürlich die Frage aufkommt, was nun der Unterschied zwischen der Domina und dem Spielzeug ist. Schließlich hat man die Dame de compagnie zu nichts geringerem herabgesetzt.

Und das Geschäft boomt, weil Beziehungen enttäuschen. Weil egoistisches Glück und körperliche Befriedigung wichtiger sind. Gavriliu nimmt moderne Beziehungen auseinander und zeigt, wieso es nicht mehr klappen möchte: Sie sind durch und durch dysfunktional, aus Mangel an Kommunikation und einem Überschuss an falschen Idealen. Sie (Olga Török) träumt von Superman, Er (Konstantin Keidel) will nur Sex. Was beide gemeinsam nicht haben sollten, ist zu viel Zeit. Denn das führt unweigerlich zur Entfremdung und zur Enttäuschung. Das führt dann wiederum zur Vereinsamung, zur Verzweiflung und schließlich zum Selbstmordgedanken, den Mister Pink gespielt von Horia Savescu, hegt und dann konsequent durchsetzt und zwar mehrmals.

Unterm Strich klingt “Hotel PM” alles andere als fröhlich: Selbstmord, sexuelle Perversion, Abnormität, Vereinsamung. Die Stimmen der Figuren sind in der Musik ertrunken, das Hotelzimmer mutiert zu einem Narrenkäfig aus Neon und hinter der Energie und Euphorie wartet ein Abgrund.

Wofür steht also PM? Für post mortem, für post menstruationem, für punctum maximum und letztendlich für das Postmoderne. So und nicht anders könnte man sich ein Tschechow-Stück vorstellen, würde Tschechow heute leben und schreiben. Andrea Gavrilius “Hotel PM” ist durch und durch ironisch, selbstkritisch, grotesk, unterhaltsam, kitschig sowie, dem Anschein zum Trotz und anders als ihre Figuren, niemals oberflächlich.