Psychotherapeuten suchen Kunden

Mangel an Geld und Information steht im Weg

„Jede Zeit hat ihre Neurose - und jede Zeit braucht ihre Psychotherapie“, schrieb der bekannte Neurologe und Psychiater Viktor Frankl in seinem Werk „Das Leiden am sinnlosen Leben“. Ob die Zeit für die Psychotherapie in Rumänien geschlagen hat, fragen sich viele junge Psychologen, die sich auf dem Gebiet eine Karriere aufbauen möchten. Doch selbst zwei Jahrzehnte nach der Wende in Rumänien gelten Psychotherapeuten als Vorreiter. Dabei herrscht an gut ausgebildeten Psychologen kein Mangel. In den 1990er haben sich im Land zahlreiche Schulen gebildet. Woran besonders die private Psychotherapie in Rumänien scheitert, ist der Mangel an Kunden. Nur selten gehen Personen freiwillig in die Therapie.

Das amerikanische Hollywoodklischee vom privaten Psychotherapeuten klingt für viele noch zu exotisch. Zwei entscheidende Dinge fehlen: Geld und Information. „Psychotherapie kann teuer werden“, meint Dr. Mircea Lăzărescu, ehemaliger Leiter der psychiatrischen Klinik Temeswar. „Die Menschen investieren einfach nicht in psychotherapeutische Behandlungen.“ Da schlägt der Rumäne eine andere Richtung ein, im Vergleich zum Amerikaner, der für jedes kleine Problem zum Therapeuten rennt. „Was wiederum auch nicht gesund ist“, findet Lăzărescu.

Doch nicht das Geld treibt viele von einer privaten psychotherapeutischen Behandlung weg, sondern das Vorurteil. Viele unterscheiden nicht zwischen einem Psychotherapeuten und einem Psychiater. „Psychotherapeuten können keine Medikamente verschreiben“, erklärt Lăzărescu. „Dafür fehlt ihnen der medizinische Hintergrund.“ In die psychiatrische Anstalt wird man auch nicht gleich eingewiesen, wenn man an einer Neurose leidet oder wenn man dem Alltagsstress nicht gewachsen ist.


„Jeder Mensch braucht Hilfe“, meint Andreea Bunduri. Die junge Psychologin hat gemeinsam mit Ingrid Schiffer, Monica Scrob und anderen Kollegen eine Praxis für Psychotherapie aufgemacht. Im Januar feierte die Praxis ihr einjähriges Bestehen. Noch läuft es schlecht. Weder sie, noch ihre Kollegin Monica hatten bisher einen Kunden. Ingrid Schiffer hatte rund 20 Patienten. Für Monica stellt sich das Problem in der Werbung. „Wir haben den gleichen Fehler begangen, wie viele andere private Psychotherapeuten. Wir haben uns nur um eine Internetseite bemüht, ansonsten aber keine Werbung gemacht“, erklärt sie. Auch Dr. Lăzărescu findet, dass in Rumänien das Bewusstsein für die Psychotherapie fehlt. „Die Medien könnten eine wichtige Rolle spielen“, meint er.
 

Die erste rumänische HBO-Serie „În derivă“ hat es Amerika nachgemacht: Schauspieler Marcel Iureş spielt darin einen Psychotherapeuten, der in jeder Folge einen neuen Fall behandeln muss. Der obligatorische Lehnsessel zur Denkerpose fehlt in der erfolgreichen Serie genauso wenig wie die typisch westliche Attitüde gegenüber der Psychotherapie. Im Vergleich zum eigentlichen Alltag in Rumänien scheint es sich bei der HBO-Serie um eine Idealvorstellung zu handeln. So möchten sich scheinbar viele junge Menschen sehen, die sich für ein Psychologiestudium entscheiden.


„Als ich mit dem Studium anfing, waren wir 200“, meint Monica. „Nach dem ersten Studienjahr ging die Zahl drastisch nach unten.“ Den Abschluss schaffte nicht einmal die Hälfte. Rund 80 Studenten absolvierten das Studium.

Das erste Studienjahr lässt Träume platzen. Zum Starpsychotherapeuten wie es Marcel Iureş im Fernsehen spielt, wird man kaum. Auch Andreea und Monica könnten sich mit der privaten Praxis nicht über Wasser halten. Beide arbeiten in anderen Bereichen, wo die Expertise eines ausgebildeten Psychologen erforderlich ist. Monica Scrob arbeitet für das Unternehmen „Toluna“, das sich mit Marktforschung befasst.

Andreea Bunduri ist als psychologische Beraterin für den Verein „Timişoara 89“ tätig.

Dass sie mit ihrem Beruf nicht das große Geld machen, stört sie nicht. „Wenn ich Geld machen wollte, wäre ich Notarin geworden“, scherzt Andreea. „Meine Eltern waren anfangs skeptisch,“ ergänzt Monica, „aber sie haben mich in meiner Entscheidung unterstützt.“


Trotzdem sind beide optimistisch. „Wenn Menschen merken, dass man ihnen zuhört und dass sich etwas in ihrem Leben ändert, dann schaffen sie auch ihre Vorurteile beiseite,“ erklärt Andreea. Sie ist sich sicher, dass die Psychotherapie auch in Rumänien ihren Platz finden wird, nur dauern wird es noch eine ganze Weile.