Requiem für Engelsseelen

Anlässlich der internationalen Tagung „30 Jahre später: Das vergiftete Erbe des Kommunismus“ im AMG-Haus Fotos: Zoltán Pázmány

Wirft man einen Blick drei Jahrzehnte zurück, ist uns ein Bild in Erinnerung und in unseren Seelen eingeprägt geblieben und symbolisch für jene Dezembertage geworden: das Bild der jungen Menschen, die auf den Treppen der Kathedrale erschossen worden sind. Ihre Mitmenschen haben die Tore zur Kirche geschlossen, in die sie sich hätten retten können, aber Gott hat ihnen die Tore des Himmels weit geöffnet. Reine Seelen, die von der Grausamkeit und der Schurkerei dieser Welt nicht betroffen waren, haben sich sacht ins Licht erhoben, ihr irdischer Flug wurde von den kalten, unbarmherzigen Kugeln unterbrochen. Den 47 Revolutionären, die an jenen Tagen erschossen worden sind, ist sogar das Recht auf Identität abgesprochen worden, da ihre Körper aus der Leichenhalle entwendet und im Dunkel der Nacht ins Krematorium nach Bukarest gebracht worden sind. Diese an sich abominable Geste, des Wegwerfens ihrer Asche, hat ihnen die Unsterblichkeit gesichert. Welches soll ihre Sünde gewesen sein? Haben wir nicht etwa durch ihr reines Opfer, als Pfand vor Gott, unsere Freiheit wieder erlangt? Freiheit haben auch die Helden jener Tage gefordert. Sie waren einfach an die Grenzen ihrer Geduld gestoßen. Dieses Volk, das im Laufe der Zeit viele Schwierigkeiten durchmachen musste und der Freiheiten und elementaren Rechte beraubt war, verurteilt zu Kälte, Hunger, Terror von einem unmenschlichen und unnatürlichen politischen Regime, wurde endlich geweckt.

So wie es uns heute vielleicht natürlich erscheint, ist der Funken der Revolution in Temeswar entzündet worden. In Temeswar, weil dies stets die Stadt gewesen ist, in der Premieren auf Landesebene oder europaweit stattgefunden haben. So ist Temeswar auch die erste Stadt gewesen, in der die Revolution von 1989 angefangen hat und dadurch auch die erste von der Ceaușescu-Diktatur befreiten Stadt des Landes. Sicherlich, diese Befreiung wäre ohne das Engagement der Rumänen aus Bukarest sowie aus anderen Revolutionsstädten im Land nicht möglich gewesen. Das Volk hätte alle Entbehrungen vielleicht noch lange auf sich genommen, aber nicht den Freiheitsentzug. Die Freiheit des Denkens, der Rede, der Bewegung im europäischen und außereuropäischen Raum, die Freiheit der Wahl, des sich Einbringens in das Schicksal und die Zukunft des Landes… Zu den dunklen Episoden des Schicksals der Rumänen deutscher Ethnie im Westen des Landes, Episoden, die ich so oft schon erwähnt habe,  gehört die Deportation in die Sowjetunion und in den Bărăgan. Der Staat enteignete die Deutschen aller ihrer Habseligkeiten, die sie erarbeitet hatten, und warf sie in die Wüstenei des Bărăgans, wo sie keine Unterkünfte hatten und mit dem Mangel an Nahrung und Wasser sowie mit Krankheiten zu kämpfen hatten, die viele von ihnen das Leben gekostet haben. Aber auch die Rumänen mussten die Enteignung seitens des Staates hinnehmen, der ihnen das Eigentum streitig machte, indem illegale Einkommen als Vorwand genommen wurden. Vielleicht ist das größte Verbrechen, welches das gewesene Regime begangen hat, die Vernichtung der Eliten gewesen.

Die bedeutendsten Denker Rumäniens, die nicht das Glück gehabt hatten, ins Exil zu gehen, wurden zu Zwangsarbeit verurteilt, in den kommunistischen Gefängnissen gefoltert, viele von ihnen sind dabei ums Leben gekommen. Ein autoritäres/missbräuchliches Regime kann nur mit Hilfe unterdurchschnittlicher und dummer Menschen aufgebaut werden, die für geringe Vorteile und falsche Meritokratie zu loyalen Anhängern des Regimes werden. Von den Überlebenden der grausamen Haftanstalten haben nur wenige und selten über die Erfahrungen in den kommunistischen Gefängnissen gesprochen. S. Exz. Hochwürden Bartolomeu Anania, der Erzbischof von Vadul, Feleacul und Cluj/Klausenburg, hat erklärt, dass er das Leiden zu Gottes Füßen gelegt hat, zur Vergebung seiner Sünden, nicht der politischen. Wir sollten den Besuch von Papst Franziskus in diesem Frühjahr in Rumänien nicht vergessen, der als Hauptzweck die Seligsprechung von sieben griechisch-katholischen Märtyrer-Bischöfen bei der Göttlichen Liturgie auf dem Freiheitsfeld von Blasendorf (Blaj) hatte.

Das Anerkennen des Martyriums dieser Prälaten, die von den Behörden des kommunistischen Staates verhaftet, gefoltert, ins Gefängnis gebracht und ausgehungert wurden – einige von ihnen sind im Gefängnis gestorben, andere nach der Befreiung an den Folgen der inhumanen Haft, darunter sind Aushungern, das Aberkennen des Rechtes auf medizinische Hilfe oder Folter zu verstehen – stellt ein Akt der Wiedergutmachung und der Wiedergabe ihres Opfers an das kollektive Gedächtnis dar.
Außer der sozialen Botschaft, hat der Pontifex eine diplomatische und geopolitisch außerordentliche Geste gemacht: das offizielle, öffentliche Anprangern der kommunistischen Verbrechen, im Jahr, in dem die Rumänen drei Jahrzehnte seit dem Fall des kommunistischen Regimes feiern. Wenn wir uns auf die wichtigsten und zugleich dunkelsten Episoden aus dem Leben der Deutschen im Banat beziehen sollten, so kommen wir nicht umhin, auf den Exodus der deutschen Bevölkerung aus dieser Region zu sprechen zu kommen, die vom deutschen Staat freigekauft wurden. Ich habe unzählige Male darüber gesprochen, wie schmerzhaft die Entwurzelung von der Heimat für die freigekauften Deutschen gewesen ist, die ihre Häuser und ihren Besitz in der Hoffnung auf ein besseres Leben verlassen haben. Wieder war es der rumänische kommunistische Staat, der sich ihre konfiszierten Häuser und Besitztümer, die von den Deutschen erarbeitet worden waren, zu seinem Eigentum gemacht hat.

Dreißig Jahre nach dem Fall der letzten Bastion des Kommunismus stellen wir uns selbstverständlich die Frage: Sind wir tatsächlich frei? Sind unsere damaligen Träume und Erwartungen eingetroffen? Oder wird die moralische Krise, mit der wir uns konfrontieren, von Jahr zu Jahr tiefer? Immer mehr Rumänen verlassen das Land, um in einem anderen Teil der Welt eine Bestimmung zu finden und immer öfter lesen wir Botschaften der Nachkommen der Märtyrer-Dezemberrevolutionäre, die sich fragen, ob sich ihr Opfer gelohnt hat oder ob sie dies gemacht hätten, wenn sie gewusst hätten, was folgen sollte. Sogar Dan Puric, einer der glühendsten Verfechter der Schönheit des Menschen in diesem Land und des Rumänismus, hat hilflos kapituliert, indem er erklärt hat, dass Rumänien seine Würde und Bestimmung verloren hat. In einer harten Radiographie der rumänischen Gesellschaft nach der Wende, hat Dan Puric seinen Kummer und Schmerz über unseren Werdegang bekannt gemacht: „Wenn du dich aus deiner Schuld von etwas loslöst, versuchst du noch eine Weile mit dem Irreversiblen zu kämpfen, dann erkennst du, dass es keinen Sinn macht, du lamentierst nur und gibst auf. Wenn die Schuld des Auseinandergehens den Anderen trifft, dann brauchst du eine Weile, um zu verstehen, was passiert ist. Du gehst die ganze Geschichte noch einmal durch, Schritt für Schritt, und quälst dich zu verstehen, was nicht gut gewesen ist, und wo die Dinge einen anderen Lauf hätten nehmen sollen. So ist es auch dann, wenn man sich von seinem Land loslöst. Es fällt nicht leicht, es zu verlassen. Du setzt dich an das andere Ende der Welt und fragst dich, was mit deinem Land passiert ist, dass du es verlassen musstest. Rumänien hat seine Bestimmung verloren. Es ist ein Land ohne Bestimmung, in jedem vorstellbaren Sinne. Ein Land mit Menschen ohne Bestimmung, Städten ohne Bestimmung, Straßen ohne Bestimmung, mit Geld, Musik, Autos und Kleider ohne Bestimmung, mit Beziehungen und Diskussionen ohne Bestimmung, mit Lügen und Betrügereien, die nirgendwohin führen. Es gibt drei große Quellen an Sinngehalt auf dieser Welt: die Familie, das Land und der Glaube. Die Alten. Rumänien verhöhnt sie seit dreißig Jahren. Sie werden von den Funktionären verspottet und brüskiert, von ihren Kindern vergessen. Der Boden. Diejenigen, die uns heute führen, haben nie Boden besessen, weil sie nie imstande gewesen sind, ihn zu bearbeiten. Der Glaube. Nur die Alten und die Bauern haben ihn noch, so viele es noch sind und so lange sie noch leben. Wenn diese Menschen sterben, werden sie Gott mit sich in den Himmel nehmen. Wir haben nun eine moderne Version des Glaubens; wir bauen neue Kirchen, während die Zahl der Gläubigen abnimmt.“ Abseits von dem Leiden, das Dan Purics Text entströmt, der unsere heutige Wirklichkeit wiedergibt, versuchen wir den Optimismus zu wahren, der unserem Volk eigen ist, das in den schwierigsten Augenblicken seiner Geschichte über das Leiden zu lächeln wusste. Wir versuchen, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in unseren Seelen zu entfachen, auf ein normales und schönes Rumänien, damit das Opfer der Helden mit Engelsseelen nicht umsonst gewesen ist! Mögen die Wahlen, die vor wenigen Tagen stattgefunden haben, ein gutes Omen sein. Vielleicht ist das Ende der rumänischen Revolution von 1989 am 24. November verwirklicht worden. So helfe uns Gott!

Übersetzung: Ștefana Ciortea-Neamțiu

Redaktionelle Bearbeitung: Siegfried Thiel