Tatsachenpolitik

Es wird wohl doch nicht möglich sein, zur Krimfrage weise zu schweigen und das Problem auszusitzen. Dieses Land wird allmählich unruhig. Deuten seine Medien an. Da kann der Allwissende aus Cotroceni noch so beschwichtigen. Ein Blick auf die Landkarte genügt: die Schlangeninsel ist ein paar hundert Kilometer von der Krim entfernt. Die Territorialgewässer Rumäniens und Rußlands berühren sich irgendwo am Rand des Festlandsockels. Und dort gibt es Gasvorkommen. Wer weiß, was noch. Nicht dass sich die Ansprüche auf die 200-Seemeilen-Zone Rumäniens mit der Rußlands überschneiden, aber wenn man bedenkt, dass keiner gemuckst hat, als Putin neulich verkündete, dass Rußland seine Gebietsansprüche auf die vermutet reiche Arktis erweitert, hat niemand außer den anderen (das Völkerrecht ernster nehmenden) Konkurrenten etwas verlauten lassen.

Nicht dass Russland auf die paar Quadratkilometer im nordwestlichen Schwarzen Meer anstehen müsste. Bedenkt man aber, dass die Entdeckung der Gasvorkommen im Festlandsockel des Schwarzen Meers Rumänien zum Gasexporteur – also zu einem zwerghaften Konkurrenten des Riesen Gazprom – machen könnte, und dies in absehbarer Zeit, dann kommen einem da so allerhand Gedanken auf.

Und weiter nördlich? Wer garantiert uns denn, dass Transnistrien nicht binnen Tagen zum Aufmarschgebiet eines wodkastarren Rußlands wird? Der Russenanteil in der Moldau ist hoch. Dafür hat schon Väterchen Josef Wissarjonowitsch gesorgt. Es fehlt nur noch die Idee des Referendums. Und viele dieser Russen sind Patrioten vom Schlag, der Hitler besiegt hat, also Siegertypen. Kann man gegen die die Bedrohten beschwichtigen?

Rußland schafft Tatsachen. Was Putin tut, könnte Tatsachenpolitik heißen. Zumindest hat er das EU-Europa und den USA praktisch vorgeführt. Aufs Völkerrecht wird gepfiffen – am besten pfeifen sie die alte sowjetische Hymne. Das Zarenreich soll und kann wiederbelebt werden. Zar Wladimir führt es vor. Der erste Vollzug einer Territorialannexion nach dem zweiten Weltkrieg ist vollbracht. Und das Spiel mit den ökonomischen Muskelchen, das die sogenannte zivilisierte Welt betrieb, hat den Bären unbeeindruckt lassen. Im Vorteil ist der, der das Schachspiel eröffnet.

Der Friede in Europa ist dahin. Sollte man sich da nicht auch die Frage stellen, ob Europa als Friedensraum nicht zu groß konzipiert war. Manchen Freundfeinden, die im eigenen Land nicht zurechtkommen, ist eben der Frieden einfach schnurz? Die Nato und die EU, als friedenssichernde Organisationen – was durch gemeinsame Sicherheit, Demokratie und wirtschaftlichen Wohlstand gute 50 Jahre lang auch gewirkt hat – muss überdacht werden. Das hat Zar Wladimir Resteuropa im Handstreich beigebracht. Resteuropa versucht das zu verdauen. Kümmert`s die USA eines entscheidungsmüden Obama?

So lange die angedrohten Wirtschaftssanktionen der „zivilisierten Welt“ Schnitte ins eigene Fleisch sind – und unmittelbar Mutationen im Wählerverhalten androhen – so lange wird der Westen stillhalten. Zu Muskelspielen à la Rußland ist er eh nicht fähig. Und zur Tatsachenpolitik?