Von Detroit nach Temeswar – Henry Lipkis auf Welttournee

Der junge Street Artist möchte in der Szene so richtig durchstarten

Paradies für Street Artists: Die amerikanische Stadt Detroit wird zur Zeit von Künstlern aus aller Welt belagert. Hier eine Arbeit von Henry Lipkis.

Das wütende Meer. Eine Arbeit von Henry Lipkis

Bevor er nach Rumänien kam, hat es Henry Lipkis dorthin verschlagen, wo der amerikanische Traum geplatzt ist. Die Großstadt Detroit hat dem 21jährigen Street Artist die Augen geöffnet. Die Wirtschaftskrise ist dort wie eine Bombe eingeschlagen: Überall stehen Häuser leer, die Menschen sind arbeitslos und die Kriminalitätsrate hat einen neuen Höchststand erreicht. Die düstere Zukunftsvision, die einst Regisseur Paul Verhoeven in seinem Science-Fiction-Film RoboCop ausmalte, ist Realität geworden.

Während seiner Zeit in Rumänien musste Lipkis oft an Detroit denken. Schließlich kämpft das osteuropäische Land seit über 20 Jahren mit den Herausforderungen, die die „Motor City“ heute bewältigen muss.

Doch er schreibt nichts ab. Wenn er über seine Erfahrungen spricht, dann erwähnt er gerne das, was bleibt und nicht das, was verloren geht. Und was überall bleibt, sind Menschen.

Der Aufbruch von Street Art-Städten

Darum schwärmt Henry eher von den vielen Gemüsegärten, die inzwischen genauso zum Stadtbild gehören, wie die Murals internationaler Street Artists. Das in den Ruin getriebene Detroit hat sich zu einem Paradies für Leute wie Henry entwickelt. Anders als in anderen US-Bundesstaaten, wo der junge Künstler wegen seiner Graffitis eingesperrt wurde, wird er in Detroit für seine Arbeiten gefeiert. Die Erfahrungen dort, weckten Henrys Wunsch danach, die Welt zu sehen. Deswegen hielt er im Internet nach internationalen Street Art-Festivals Ausschau und stieß so auf das seit drei Jahren in Temeswar/Timişoara organisierte Event. 

Für den ursprünglich aus Los Angeles stammenden Künstler war es ein langer Trip, vor dem ihn Freunde und Bekannte im Vorhinein warnten.

Doch die Sorgen waren unbegründet: Henry fühlte sich in Temeswar schnell wie Zuhause. Fast drei Wochen lang arbeitete er an mehreren Pieces in der Stadt, machte sogar eine Ausfahrt nach Steierdorf/Anina, wo er auf einem alten Industriegelände einen übergroßen Mural malte. Die Zeit, die er in der alten Industriestadt aus Karasch-Severin verbrachte, erinnerte ihn besonders an die Zeit in Detroit.

In Steierdorf wurde im 19. und 20. Jahrhundert Steinkohle abgebaut. Mit der Ausschöpfung der Ressourcen ging zuerst die Industrie und dann die Stadt unter. Heute wird das Stadtbild von Ruinen geprägt. Ein Anblick den Henry eben aus der „Motor City“ kennt. Nur das hier die Menschen die Landwirtschaft nicht als rettende Alternative für sich entdeckt haben.

Origins Of An Artist

Henry war 14 Jahre alt, als er angefangen hat, Graffiti zu zeichnen. Er wuchs in Venice Beach auf, einem Vorort von Los Angeles, das sowohl für seine reiche Oberschicht, als auch für die Drogenkultur und hohe Kriminalität bekannt ist. Es sei halt wie Los Angeles, nur eben komprimierter, so der Künstler. Mit sieben Freunden gründete er als Teenager die Crew Sick and Demented (kurz SaD) und sprühte illegal in Venice, bis die Polizei ihn schließlich schnappte. Für seine Eltern war der Arrest seines Sohnes nicht das Ende der Welt. Sie hätten es nur schlimm gefunden, dass er dabei erwischt wurde. Seine Leidenschaft für Graffiti wurde von ihnen stets unterstützt. „Sie sind total locker und cool“, so Henry. „Eltern wünschen sich für ihre Kinder, dass sie auf eigenen Beinen stehen können. Und ich kann inzwischen von mir behaupten, dass ich damit über die Runden kommen kann.“

Nachdem er das erste Mal verhaftet wurde, gönnte sich Henry jedoch eine Pause. Er ging mit 18 Jahren nach San Francisco um dort Kunst zu studieren.

Sein großes Vorbild ist der britische Street Artist Banksy, einer der international erfolgreichsten Künstler, dessen Identität keiner weiß und der besonders durch Stencils in Bristol und London Ruhm erlangte. Er ist über die Jahre weltweit aktiv geworden. Seine gesellschaftskritischen Arbeiten tauchen in Städten aus Australien, Deutschland, Israel, Italien, Jamaika, Kuba, Mali, Mexiko, Japan, Palästina, Spanien, Österreich, Kanada und den USA auf.

In der Graffiti-Szene gilt Banksy oft als schwarzes Schaf, besonders nachdem er anfing, legal zu arbeiten und damit Millionen verdient. Auch Henry bemüht sich darum, legal zu sprühen und als Künstler akzeptiert zu werden. „Ich bin kein Fan davon, die Häuser von irgendwelchen Leuten zu bomben“, so der junge Künstler. „Streetart soll eine Stadt schöner machen.“ Das wollen noch immer nicht alle einsehen. Auch in San Francisco gibt es einige Sprüher, die ständige legale Pieces crossen. „Danach wird die Wand einfach weiß angestrichen.“

Diese Crosser kann Henry persönlich nicht verstehen: „Ich meine, sie wissen schon, dass dort danach einfach eine leere Wand stehen wird. Wieso sie lieber eine langweilige weiße Mauer sehen möchten, als ein gut gemachtes Graffiti, raff ich einfach nicht.“

Streetart legal betreiben, bringt ihm gewisse Vorteile ein. „Ich muss nicht mehr nachts arbeiten und auch nicht unter Zeitdruck. Wenn man es legal macht, macht man einfach bessere Pieces, weil man sich Zeit lassen kann.“

Globalisierter Graffiti

Trotzdem schwärmt er von illegalen Bewegungen, wie denen aus Südamerika. Er würde sich gerne einmal in Pixadore-Revier trauen und in Städten wie Sao Paolo sprühen. Die brasilianischen Graffitikünstler gehören der alten Schule an: Viele von ihnen sprühen nur illegal und riskieren dafür sogar ihr Leben. Je höher die Lage und je gefährlicher die Arbeit, desto reizvoller ist es für die Pixadore, die von Kommerz und Legalität oft nichts hören möchten.

Auch Künstler wie Blu inspirieren Henry. Dieser macht sogenannte „Motion Graffitis“: Er malt auf überdimensionalen Wänden das gleiche Motiv in verschiedenen Variationen, macht davon Bilder, die er dann für eine Stop-Motion-Animation verwendet. Blus Arbeiten sind einzigartig und eben das ist das Reizvolle daran. „Das Internet hat Streetart verändert. Die Ansprüche sind gewachsen“, erklärt Henry.

Die Szene ist längst nicht mehr geschlossen. Graffiti ist heute global: Künstler aus Europa kennen Künstler aus den USA und Südamerika. Und wer etwas auf sich hält, der bereist die Welt und versucht überall präsent zu sein. Darum ist auch Henry inzwischen unterwegs. Wäre er in San Francisco geblieben oder nach Venice zurückgekehrt, hätte er kaum Chancen gehabt, berühmt zu werden.

Wie international die Szene inzwischen ist, hat er in Detroit festgestellt, als er an einem Spot, die Arbeit eines europäischen Sprühers vorfand. „Ich hatte eine Wand gefunden, wo ich ein Mural machen wollte. Am nächsten Tag stand dort, die Arbeit eines anderen.“

Rumänischer Graffiti ist Work in Progress

In Rumänien muss sich allerdings Streetart noch durchsetzen. „Obwohl ich hier legal sprühe, sind Polizisten ständig stehen geblieben und haben mich darauf angesprochen.“

Streetart bewegt sich noch immer zwischen Untergrund und Mainstream. Dass man es nicht bekämpfen kann, hat man im Westen vor Jahren herausgefunden. Grund weshalb die Städte ihre Taktik geändert haben. Statt die Sprüher zu bekämpfen, werden sie inzwischen angeheuert. Statt Graffiti zu beseitigen, möchte man sich lieber an dem Schaffensprozess beteiligen.

Wie lange Henry als Street Artist arbeiten möchte, weiß er noch nicht. Er lebt im jetzt, will über die Zukunft nicht nachdenken. Einen Traum hat er allerdings schon: Er würde irgendwann gerne etwas im Bereich Skulpturen bzw. Architektur machen. Ungewöhnliche Gebilde möchte er entwerfen. Er möchte also schon irgendwann weg von Graffiti und was anderes versuchen. Doch das erst in einigen Jahren. Bis dahin arbeitet er fleißig an seiner Karriere, indem er die Welt bereist und überall seine Spuren hinterlässt. Bis er wie sein Vorbild Banksy eine große Nummer ist.