Warum es in Rumänien mehrere Hauptstädte gibt

Gespräch mit Florin Fieroiu über die Anatomie der Bewegungskunst

Mit Shaking Shakespeare lernte das Publikum des DSTT Florin Fieroius Arbeit kennen. Foto: Deutsches Staatstheater Temeswar

Der erfolgreiche Künslter Florin Fieroiu zeichnete für die Choreografie der Theaterproduktionen des deutschen Staatstheaters Temeswar „Shaking Shakespeare”, „Die Mountainbiker” und „Der Hässliche”. 2008 erhielt Fieroiu den Sonderpreis für darstellende Bewegung des rumänischen Theaterverbandes UNITER. Zur Zeit ist er Dozent an der Nationalen Universität für Theater und Film in Bukarest, sowie unabhängiger Choreograph. Kürzlich hielt Florin Fieroiu eine Bewegungs-Werkstatt für das Ensemble des Deutschen Staatsttheaters Temeswar. Über seine Zusammenarbeit mit dem deutschen Theater führte der BZ-Redakteur Robert Tari ein kurzes Gespräch.

 

Sie haben als Choreograf an drei Stücken für das Deutsche Staatstheater gearbeitet. Wie würden Sie die Arbeit am DSTT beschreiben?

 

Ich habe mich hier am Theater geborgen gefühlt, weil ich es mit Menschen zu tun hatte, die Theater machen wollen. Das ist nicht immer überall der Fall. Ich konnte mit den Schauspielern arbeiten und wir konnten, wenn es sein musste, Überstunden einlegen. Mir stand die gesamte Logistik des Theaters zur Verfügung, die für eine Produktion notwendig ist. Wir haben schon am ersten Tag mit dem Bühnenbild gearbeitet und das ist wichtig. Der Bühnenbildner Drago{ Buhagiar vertritt die Ansicht, dass der Schauspieler mit dem fertigen Bühnenbild proben soll. Das passiert im Theater sehr selten. Der Dekor spielt meist eine zweitrangige Rolle. Zuerst arbeiten die Schauspieler mit Markierungen und erst im Anschluß wird das Bühnenbild eingeführt und dann müssen sich die Schauspieler anpassen. Dragoş geht den anderen Weg. Wir haben schon am ersten Probetag das fertige Bühnenbild gehabt. Dadurch konnten sich die Schauspieler leichter in die Rollen hineinversetzen. Man fängt bereits die Grundstimmung ein. Für mich war die Arbeit mit den Schauspielern eine Freude gewesen, weil ich mit Menschen arbeiten konnte, die sich gerne bewegen, Menschen die niemals nein sagen und immer ihr Bestes geben. Wenn es einmal nicht klappt, sind sie willig Alternativen zu suchen, damit es klappt. Sie unterstützen dich in deinem Vorhaben eine Idee zu verwirklichen.

 

Gibt es einen großen Unterschied zwischen der Arbeitsweise der Schauspieler in Bukarest im Vergleich zu anderen Städten?

 

Ich habe lange nicht mehr in Bukarest als Choreograf gearbeitet. Darauf können Ihnen eher meine Kollegen eine Antwort geben, die in Bukarest arbeiten. Ich habe viel Zeit in Hermannstadt und Klausenburg verbracht. Diese Städte ziehen mich eher an. Vor einigen Jahren hätte ich es noch als eine Ausgrenzung empfunden. Ich habe mir früher schon die Frage gestellt: Wieso nicht Bukarest? Aber wenn man sich dann im ganzen Land neben den Größen des rumänischen Theaters wiederfindet und nicht nur, wenn man Teil einzigartiger Projekte wird und wenn man sieht, welche außergewöhnlichen Künstler zusammenkommen, um eine Vision entstehen zu lassen, dann begreift man, dass es so etwas wie ein Epizentrum des rumänischen Theaters nicht mehr gibt. Für mich bedeutet Hauptstadt der Ort, wo ich meine künstlerischen Ideen verwirklichen kann. Das kann zum Beispiel Temeswar sein, weil in Temeswar Projekte entstehen, die für mich interessant sind. Genauso gut empfinde ich Hermannstadt als meine Hauptstadt oder Klausenburg. Es wechselt sich ständig ab.

 

Mit Shaking Shakespeare wurde das Publikum des DSTT überrascht. Die Choreografie in dem Stück war für die meisten Zuschauer etwas vollkommen neues. Besonders die berühmte Mordszene aus Shakespeares Othello ließ viele sprachlos. Wie kommt so eine Idee überhaupt zustande?

 

In dem man sich informiert. Man weiß, dass Othello Desdemona mit dem Kissen erstickt. Wir hatten Kissen, ich fragte mich, was sich in diesen Kissen befindet, darin fanden wir Federn. Ich habe mit Drago{ gesprochen, ob man die Nähte nicht dünner machen kann, ich habe Dirk Linke gebeten, ob es nicht möglich wäre, während er sich an Desdemona vergreift, das Kissen zu zerreißen. Ich habe Ramona Olasz gefragt, ob sie nicht gegen ihre Allergien ankämpfen und die Luft während der Szene anhalten kann und so tun, als würde sich ihr lebloser Zustand auf die Federn übertragen. Und dabei suchten wir gemeinsam nach einer Möglichkeit, um dieses Bild glaubhaft zu machen. Ich habe es mit den Schauspielern versucht und zwar einmal, zweimal, dreimal, habe darauf unnachgiebig beharrt und schließlich bemerkst du, dass die Szene authentisch ist und nicht wegen mir, sondern wegen den Schauspielern, die sich die Verantwortung aufbürden. Zum einen für die Fiktion, die sie schaffen: die Fiktion des Mordes, die Fiktion der Erdrosselung, die Fiktion des Verbrechens. Zum anderen für den realen Vorgang, weil die Fiktion ohne nicht auskommen könnte. Diese realen Vorgänge sind: Man kriegt keine Luft, die Federn beugen sich der Schwerkraft, wie die Gewalttat verübt wird. Wenn wir uns nur vornehmen würden etwas Fiktives zu schaffen, würde uns das Publikum durchschauen und sagen: „Ganz klar, es handelt sich um Betrug“. Aber als Zuschauer setzt man sich damit auseinander, weil die Schauspieler es so spielen, wie es in Wirklichkeit ist.

 

In den drei Produktionen des Deutschen Staatstheaters arbeiteten Sie stets mit Vlaicu Golcea zusammen. Seit über zehn kommen Sie in diversen Projekten zusammen.

 

Ich finde es interessant, wie das Deutsche Staatstheater uns durch diverse Projekte als Team in den letzten drei Jahren zusammengeführt hat. Es bedeutet etwas. Es zeigt, dass das Theater Vertrauen in unsere Arbeit hat. Es zeigt aber auch, dass es sich seiner Rolle zunehmend bewußter wird und sein Publikum kennt. Moderne Theaterproduktionen setzen mehr voraus: Bewegung, Musik usw. Der ehrliche Dialog zwischen den unterschiedlichen Künsten lockt das Publikum an. Ich denke nicht umsonst hat Radu Alexandru Nica die künstlerische Leitung des deutschen Staatstheaters übernommen. Man hat als Einrichtung erkannt, dass man sich weiterentwickeln kann und muss. Künstlerische Leiter fungieren als Kuratoren, sie laden Künstler ein, die gemeinsam Projekte konzipieren, sie finden eine logische Struktur für das Repertoire des Theaters.  Das deutsche Staatstheater nimmt seine Rolle in der Gesellschaft wahr. Das erkennt man an den provokanteren Stücken. Das Publikum lernt dadurch, was modernes Theater bedeutet und weshalb das Zusammenspiel unterschiedlicher Künste für Theaterproduktionen ausschlaggebend ist.  Je stärker es seine Stelle in der Gesellschaft verankert, desto stärker wächst das Bewußtsein der Menschen für das Theater, dadurch gewinnt es an Relevanz und erhält einen Sinn.

 

Vielen Dank für das Gespräch.