Weiterhin ein dunkles Kapitel

Über die Berufskrankheiten der ehemaligen Russlanddeportierten

Die Medizinerin Dr. Delia Caiman ist auch Autorin eines Buches über ihre Schwabenfamilie und beschreibt das Dasein mehrerer Generationen.

Die Kinder und Enkel der ehemaligen Russlanddeportierten, erinnern sich daran, dass die aus der Zwangsarbeit 1945-1949  heimgekehrten Eltern und Großeltern viele Jahre hindurch das grausige Geschehen in den russischen Arbeitslagern und vor allem ihre persönlichen Leiden verschwiegen haben. Über das ganze bestürzende Ausmaß ihres Leidenswegs erfuhren die meisten von uns erst spät, nach der Wende. Und nicht die gesamte Wahrheit. Meist nicht aus erster Hand, aus der Familie, aus der deutschen Gemeinschaft, eher aus der Presse und aus Buchveröffentlichungen.

Ein trauriges Kapitel, heute noch nicht völlig erhellt, ist das der vielfachen Leiden und Krankheiten der ehemaligen Russlanddeportierten. Allzu viel davon wurde im Kommunismus verschwiegen, umschrieben, verharmlost, darunter auch die typischen schwerwiegenden Krankheiten, die Berufskrankheiten. Bekanntlich wurden von den Russlanddeportierten die ersten Heimkehrer aus der Sowjetunion schon im Oktober 1945 als unheilbare Krankheitsfälle, mit den sogenannten Krankentransporten verzeichnet. Diese Heimkehrer waren schwerkrank, die meisten hatten Flecktyphus, sie wurden als Arbeitsuntaugliche aus den Lagern abgeschoben. Und sie starben auch bald nach der Heimkehr. Weitere Krankentransporte führten ab 1946 in die Lager und Spitäler aus der deutschen Ostzone.

Laut der Temeswarer Fachärztin Dr. Delia Caiman, ehemalige Oberärztin und Abteilungsleiterin in der Temeswarer Klinik für Berufskrankheiten, bildeten eine Kategorie von Patienten aus den Reihen der ehemaligen Russlanddeportierten eine besondere Gruppe Leidende und zwar die von schwerwiegenden Formen der Silikose- und Tuberkulose gezeichnet waren. Diese hatten, was in der Zeit des Kommunismus lange Jahre nicht öffentlich gemacht wurde, 1945-1949  unter sehr schweren Bedingungen (Kälte, Hunger, Arbeitsunfälle  und große physische Anstrengungen) in den Bergwerken des Ural, in Krivoi Rog, oder im Donbass untertags, vor allem in Kohle- oder Merkur-Bergwerken arbeiten müssen. Ein Teil dieser Patienten verstarb schon in den ersten Jahren nach der Heimkehr, ein weiterer Teil musste mit Silikose oder Tuberkulose in die Temeswarer Klinik eingeliefert werden. Viele starben bis zu den 70ger Jahren. Nur ein kleiner Teil davon konnte nach Deutschland auswandern. Und sie klammerten sich an die Hoffnung auf bessere ärztliche Behandlung und Verlängerung ihres Lebens.

Hier zwei Aussagen, denen eigene berufliche Erfahrungen der Ärztin Delia Caiman zugrunde liegen :

„Ein Fall von Berufskrankheit einer ehemaligen Russlanddeportierten wurde mir von einer Krankenschwester unserer Klinik beschrieben. Es handelte sich um ihre Tante aus Sathmar, die als 20jährige deportiert wurde und einige Jahre in Russland in einem Quecksilber-Bergwerk arbeiten musste und demnach an dem entsprechenden schweren chronischen Leiden, erkrankt war. Ein durchwegs dramatischer Fall. Als die Deportierten aus Russland heimkehren konnten, erwarteten die Eltern ihre Tochter am Dorfbahnhof. Sie erkannten sie jedoch nicht unter den Heimkehrern. Später entdeckten sie eine abgemagerte, alte Frau, mit dem verunsicherten Gang einer Kranken, die sich zwischen den Schienen verirrt hatte. In dieser fremden Frau mit ihrem zahnlosen Mund erkannten sie dann endlich ihre Tochter, die als junges Mädchen vor Jahren aus dem Heimatdorf fortgeschleppt wurde. Nach einiger Zeit zu Hause musste sie ins Krankenhaus (Neurologie, Psychiatrie), und dort verstarb sie nach kurzer Zeit. Intoxikationen mit Merkur greifen das Nervensystem an, Der menschliche Körper kann Merkur nur schwer ausscheiden, die organischen Schäden, vor allem die neurologischen, bleiben und vertiefen sich. Vom psychischen Standpunkt aus: Eine Quecksilbervergiftung erzeugt eine Art Autismus.“

„Etliche Fälle von Silikoseerkrankungen bei ehemaligen Russlanddeportierten aus den Reihen der deutschen Bevölkerung im Banat sind mir gut bekannt. Ich kenne derartige Fälle seit 1974. Die betreffenden Patienten, die damals schon den Status von Krankenrentnern hatten, mussten jedoch schon viel früher und periodisch ins Krankenhaus, wegen periodischer Expertise und Behandlung. Bei fast allen hatte sich der Gesundheitszustand stark verschlechtert. Sie kamen noch bis 1982-83 in die Klinik, danach nicht mehr. Diese an Silikose Leidenden stammten vor allem aus den deutschen Dörfern des Kreises Arad, aus den Reihen ehemaliger Russlanddeportierten, die meisten waren Banater Schwaben aus Sanktanna oder Neuarad. Die Patienten litten an schweren, fortgeschrittenen Stadien der Krankheit. Die Silikose  schreitet fort, selbst wenn der Mensch nicht mehr dem Siliziumdioxyd ausgesetzt  ist. Im III. Stadium der Silikose kam es bei den meisten Patienten dann zusätzlich zur Tuberkulose. Diese heimtückische Berufskrankheit hat das Leben dieser ehemaligen Russlanddeportierten zutiefst verschlechtert, die Patienten haben nicht nur ihre Arbeitskapazität eingebüßt, sondern es hat auch ihr Leben dramatisch verkürzt: Die meisten starben zwischen 40 und 50 Jahren.“

Eine Tatsache, die bei genauerer Prüfung noch viele unbeantwortete Fragen aufwerfen könnte: Laut Dr. Caiman konnten die  Krankenakten der  ehemaligen Russlanddeportierten aus dem Banat (mit klinischen Elementen, Lungenradiografien usw.) im Jahr 2000, anlässlich einer Inventur, leider nicht mehr im Archiv der Klinik gefunden werden.

Dr. Delia Caiman, erwies sich übrigens eine gute Kennerin der Situation der Berufskrankheiten in der Westregion:  Sie präsentierte die Temeswarer Klinik für Berufskrankheiten und den Temeswarer Hochschulunterricht für Berufsmedizin kurz in einem Buch, 2017 im Eurobit-Verlag Temeswarer erschienen. Berufsmedizin ist komplex und pluridisziplinär, außer Fachärzten für Berufskrankheiten sind etliche andere Fachleute (Ergonomen, Psychologen, Hygienespezialisten und andere Fachärzte, sogar Hausärzte) aktiv impliziert. In Temeswar wurde die  klinische Abteilung für Berufskrankheiten schon1955 im Rahmen des Hygieneinstituts „Victor Babe{“ (1946 gegründet) eröffnet, Uni-Fachunterricht gibt es seit 1975. Im Jahr 1973 wurde diese Abteilung in das Temeswarer Stadtkrankenhaus eingegliedert. Ab 1965 wurden hier auch zahlreiche Bergleute vor allem aus dem Kreis Karasch-Severin (Anina, Svini]a, Eibenthal, Pescari, Big²r) aber auch aus dem Schiltal eingeliefert. 90 Prozent der erkrankten Bergleute litten an Silikose.

Augenzeugen berichten:

„Und doch verfolgten mich diese Wege noch lange Zeit im Traum“

„Alle mussten in die Kohlenschächte. Ich und meine Freundin kamen zum Fünfzehner-Schacht, in diesem hatte man schon aufgehört zu arbeiten und er stand seither unter Wasser. Dieses hatte man herausgepumpt, bevor wir kamen. Der Schacht war nur 75 Meter tief, aber im höchsten Grad baufällig, nicht einmal den Aufzug durften wir benutzen: alles war verfault und schlüpfrig. Die Balken, welche die Decke hielten, waren teilweise gebrochen, an der Leiter, die wir jeden Tag hinunter und hinauf  klettern mussten, fehlten viele Sprossen. Elektrisches Licht gab es nur vorne am Aufzug, wo die Kohle hinaufbefördert wurde. …Auf manchen Stellen standen wir bis zum Knie im Wasser; wenn wir im Winter bis ins Lager gingen, sind uns die Wattestrümpfe an den Gummistiefeln angefroren. Ausziehen konnten wir sie nur zu zweit. Es gab auch Stellen, wo man nur sitzend die Kohle schaufeln konnte, so niedrig war die Decke. Gefürchtet waren die Tage, wenn der Aufzug überholt oder repariert wurde.

Dann mussten wir zu Fuß aus dem Schacht gehen. Diese Wege kann man nicht beschreiben; bald krochen wir auf allen Vieren, bald zogen wir uns auf dem Bauch durch Löcher. Oft blieben wir auch stecken. Nach zwei Stunden kamen wir dann ans Licht, voller Dreck undSchlamm .Ich war schon lange Zeit zu Hause und doch verfolgten mich diese Wege noch lange Zeit im Traum.

(Anna Stuiber, Reschitza)

 

„Zuerst arbeitete ich in einem Sägewerk dann in einer Quecksilbermine. Später kam ich wieder nach Saporoschje.  Hier mussten wir Züge entladen und Schiffe, die auf dem Dnjepr fuhren und Bauxit brachten. Es war nicht leicht, in dieser Kälte ab vier Uhr in der Früh bis abends spät und dann manchmal auch noch in der Nacht zu arbeiten. Über ein Jahr lang schaufelte ich das aus Quecksilberminen heraufbeförderte Gestein, dann schob ich 150 m tief unter der Erdoberfläche Förderwagen aus den Querschlägen zum Förderschacht.“

(Rosalia Brothag,Terem)

 Aus Hannelore Baier (Hrsg.),“Tief in Russland bei Stalino“, ADZ Verlag Bukarest 2000

 

Redaktion: Balthasar Waitz