„Wir haben etwas zu sagen“

Menschen mit Behinderung kämpfen für weitreichende Selbständigkeit

Raluca Popescu im Gespräch mit RATT Vertretern: Wie kann man die Situation der Menschen mit Behinderungen im Verkehr verbessern?

Mitglieder des Vereins “Ceva de Spus” auf der Reise nach Bukarest, zum Bau eines Hauses für behinderte Menschen, die früher in staatlichen Einrichtungen gelebt haben.

Elisabeta Moldovan und Raluca Popescu sind Co-Vorsitzende des Vereins „Ceva de Spus“/“Etwas zu sagen“. Die Tatsache, dass sie mit Behinderungen leben, hat sie nicht aufgehalten, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Zusammen mit drei anderen Menschen mit Behinderungen aus Temeswar/ Timisoara haben sie vor vier Jahren den Verein „Ceva de Spus“ gegründet. Ihr Schlagwort lautet: Sich selbst vertreten. „Wir glauben, dass wir am Besten in der Lage sind, unsere Rechte zu verteidigen und unser Leben zu verbessern, weil wir genau wissen, welche Hürden wir wo und wann zu überwinden haben“, so Raluca Popescu. Inzwischen sind aus fünf Mitgliedern 40 geworden und neue kommen laufend dazu.

 

Elisabeta Moldovan ist 36 Jahre alt. 23 davon hat sie in Waisenhäusern und staatlichen Einrichtungen für geistig Behinderte gelebt. Heute ist sie selbständig. Sie wohnt in einer gemieteten Wohnung, ist angestellt und kann für sich selbst sorgen. Um das zu erreichen, musste sie aber, so wie viele andere Menschen mit Behinderungen – unabhängig davon, ob sie an intellektuellen oder physischen Behinderungen leiden – erst mit dem System der speziellen Einrichtungen für geistig Behinderte – den sogenannten „Anstalten“ – und danach mit der Diskriminierung kämpfen. „Diskriminierung passiert überall: auf der Straße, im Taxi, in Geschäftsläden“, so Elisabeta Moldovan und erinnert sich an ein Ereignis, das erst vor kurzem geschah.

 

Rücksicht auf Kinder

„Ich nahm an einem Training mit dem Thema De-Institutionalisierung in Mangalia teil. Auf der Rückreise haben wir in Bukarest angehalten. Als wir am Bahnhof uns etwas zu Essen kaufen wollten, haben mich drei Angestellte einer Überwachungsfirma durch Zeichen zu ihnen hingerufen. Sie haben mich gefragt, was ich dort mache, ob ich Drogen suche und mit wem ich dort zusammen bin. Meine Kollegen sind in dem Moment aus dem Laden herausspaziert und haben das ebenfalls mitbekommen“.

Elisabeta Moldovan und die anderen Mitglieder des Vereins „Ceva de Spus“ reagieren auf solche Ereignisse. Sie haben sich entschlossen, selbst für ihre Rechte zu kämpfen. Es folgte ein Brief an den Landesrat für die Bekämpfung der Diskriminierung (CNCD), was letztendlich zu einem Urteil führen hätte können. Doch Elisabeta hat sich entschlossen, ihre Klage zurückzuziehen. „Die Firma hat angerufen und uns gesagt, dass es ihnen Leid tut und dass diejenigen, die mich diskriminierend behandelt haben, Eltern sind. Ich ziehe meine Klage zurück, weil sie Kinder haben. Weil sie sonst ihre Arbeitsstellen verlieren würden und sich dadurch nicht mehr um ihre Kinder sorgen könnten“, erklärt Elisabeta.

 

RATT Busfahrer hören (manchmal) zu

Raluca Popescu lebt ebenfalls mit Behinderungen. Doch bei ihr sind sie physischer Natur. Daher setzt sie sich nicht nur für die Bekämpfung der Diskriminierung ein, sondern auch für Allgemeinzugänglichkeit im Alltagleben, etwa in den Nahverkehrsmitteln, zu öffentlichen und privaten Gebäuden oder einfach für den Zugang zu Informationen.

In diesem Sinne initiierte sie vor kurzem ein Treffen mit den Vertretern der Kommunalpolizei und des städtischen Nahverkehrsbetriebs RATT, wo sie gemeinsam Lösungen für die verschiedenen Probleme der Menschen mit physischen Behinderungen im Verkehr besprochen haben.

„Es gibt in Temeswar nur zwei Verkehrsmittel mit Rampen für den Rollstuhl“, so Raluca Popescu, „doch nicht immer legt sie der Fahrer per Knopdruck aus, auch nicht, wenn man den speziellen Knopf im Bus dafür drückt. Es ist mir sogar passiert, dass der Busfahrer mich total ignoriert hat und weitergefahren ist. Zum Glück habe ich es trotzdem zeitlich zu meiner Prüfung in die Uni geschafft.“ Das Treffen mit RATT, bei dem auch Busfahrer dabei waren, hat deren Einstellung inzwischen geändert, kann Raluca Popescu bestätigen.

 

Unternehmer vor Gericht

Um sich weiter zu entwickeln und mehr über Selbstvertretung und die Durchsetzung derselben zu lernen, nehmen die Mitglieder des Vereins „Ceva de Spus“ regelmäßig an Seminaren und Treffen im In- und Ausland teil. Elisabeta Moldovan ist übrigens Mitglied im Board der Europäischen Plattform von Selbstvertretern (EPSA).

An Polen erinnert sie sich besonders gern. Dort bekommen die Menschen mit Behinderungen sogar gebührenfreie juristische Beratung und Betreuung. Das gibt es in Rumänien nicht, obwohl viele es nötig hätten. Dan Hegyi wurde z.B. von seinem Arbeitsplatz entlassen, weil er einen Epilepsieanfall während der Arbeit hatte und sich dabei verletzt hat. Das Erstaunliche dabei ist, dass er eigentlich in einer Integrationswerkstatt gearbeitet hat und der Leiter der Firma von seiner Krankheit wusste.

Dan Hegyi hat im Nachhinein das Verfahren gegen die Firma bei Gericht gewonnen, aber solche „geschützte Werkstätten“, wie sie im Amtsrumänisch genannt werden, die von ihren Angestellten profitieren und diese danach auf schnellstem Weg loswerden wollen, gibt es immer noch. „Diese Unternehmen sind mancherlei Gebühren enthoben, deshalb versuchen einige Unternehmer, das System übers Ohr zu hauen. Es gibt sogar einige, die nur einen oder zwei Menschen mit Behinderungen anstellen, ihnen gar nichts zu arbeiten geben, damit sie einfach zuhause bleiben, und inzwischen ihre Geschäfte als ‘geschützte Werkstätte‘ machen“, so Zoltán Szöverdfi-Szép, einer der Berater des Vereins „Ceva de Spus“. Dabei sollten diese Unternehmen eigentlich die Menschen in ihrer Entwicklung unterstützen – Arbeit ist ein wichtiger Teil der Selbständigkeit.

 

Man muss es nur lernen

Elisabeta Moldovan kennt die Welt der Einrichtungen für geistig Behinderte Menschen in- und auswendig. Heute setzt sie sich entschlossen für die De-Institutionalisierung ein: „Ich will, dass es keine solche Einrichtungen mehr gibt. Zusammenschlagen, Schlägereien und Missbräuche passieren immer noch in den rumänischen Institutionen. Die Menschen sollen selbst entscheiden können, wo und mit wem sie leben wollen, so wie ich es jetzt mache“, erklärt entschieden Elisabeta. Artikel 19 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sichert ihr dieses Recht zu. Und sie besteht darauf.

In den nächsten Tagen wird sie darüber in Genf, bei einer Sitzung der Vereinten Nationen, sprechen. „Geschützte Wohnungen helfen auch nicht viel, wenn die Menschen, die dort leben, nicht ermutigt werden, für sich selbst und eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen“, erklärt Zoltán Szöverdfi-Szép, Berater des Vereins.

„Es gibt Menschen mit Behinderungen, die für immer Betreuung brauchen werden, aber auch solche, die nach einigen Jahren komplett selbständig werden können. Das, wenn ihnen jemand das nachhaltig beibringt“, ergänzt er. Auch diejenigen, die ununterbrochene Betreuung brauchen, sollen zu nichts gezwungen werden.

Dafür kämpft der Verein „Ceva der Spus“. Und er hat nicht vor, damit aufzuhören. Im Gegenteil. Sie haben angefangen, Menschen mit Behinderungen aus anderen Städten Rumäniens zu ermutigen, den selben Weg zu gehen. „Nur so können wir die Bewegung der Selbstvertretung landesweit verbreiten“, so Raluca Popescu. „Ceva de Spus“ nimmt jeden Menschen auf, der sich Selbst vertreten möchte, ganz egal, ob seine Behinderung intellektuell, physisch oder somatisch ist.

Mehr über „Ceva de Spus“ finden Sie auf www.cevadespus.ro.