Zehn Jahre Mitgliedschaft Rumäniens in der EU

Was haben diese ersten zehn Jahre für Rumänien bedeutet? Was für die EU?

Feier zum 9. Mai, Europatag, in Temeswar.

Rumänien ist am 1. Januar 2007 Mitglied der EU geworden, nachdem lange Zeit Beitrittsverhandlungen geführt und Vorbereitungen getroffen wurden. Sehnsüchtig hatten die Rumänen auf Europa geschaut und sich dann auch sehr auf den Beitritt gefreut. Die BZ-Redakteurin Ştefana Ciortea-Neamţiu hat eine Umfrage zur Bedeutung dieser zehn Jahre durchgeführt.


Ovidiu Ganţ, DFDR-Abgeordneter im Rumänischen Parlament:

„Der EU-Beitritt war das Ende eines langen Weges, eines Weges voller Transformationen in unserer Gesellschaft, die in der Beitrittsphase eingeleitet wurden: Veränderungen gesetzlicher Art, es sind Kapitel verhandelt, Institutionen neu geschaffen worden. Es hat sich vieles verändert. Wir haben eine funktionierende Marktwirtschaft, wir haben eine demokratische Gesellschaft und dementsprechend sieht das heutige Rumänien völlig anders aus als das kommunistische. Es sind diese Schritte gemacht worden, weil es die gesamte Gesellschaft wünschte, zu den abendländischen Werten zurückzukehren.

Wir haben aber auch vieles formell verändert und es gibt viele inhaltslose Formen – „forme f²r² fond“ – Titu Maiorescu hat diese Theorie formuliert. Es ist bedauerlich. Es gibt auch vieles, was sich nicht geändert hat. Und eines davon ist die Mentalität und das wird sehr lange dauern. Wir sind also nicht völlig integriert, denn die EU ist auch eine Union der Werte und nicht nur des gemeinsamen Marktes. Diese Werte werden hier verbalisiert, aber wenn es um die Einhaltung von Regeln geht, die eine Demokratie westlicher Art definieren, da hapert es manchmal und dementsprechend wird es vielleicht noch zehn Jahre geben, bis Rumänien völlig integriert ist.

Für die Bürger hat es natürlich vieles gebracht, von dem Stimmrecht bis zum Zugang zu einer demokratischen Gesellschaft basiert auf demokratische Institutionen. Man kann frei verreisen, die Grenzen sind offen, der Arbeitsmarkt ist völlig offen für rumänische Staatsbürger. Umgekehrt hat das auch der EU etwas gebracht, weil viele hochqualifizierte junge rumänische Arbeitskräfte wie Ärzte, IT-Ingenieure, auch Krankenschwestern und Arbeiter im Bauwesen oder in verschiedenen Dienstleistungsbereichen in die westlichen Staaten der EU gegangen sind, um dort besser zu verdienen.

Es gibt hierzulande noch vieles zu verändern. Das Bildungssystem ist katastrophal, das Gesundheitssystem, die Sozialsysteme, da gibt es noch sehr viel zu tun. Ich glaube, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wir haben uns alle den EU-Beitritt gewünscht, aber wir sind allerdings noch lange nicht am Ziel. Es muss weiterhin konsequente Bemühungen geben und es müssen noch die Tendenzen bekämpft werden, die meinen, wir brauchen die EU nicht, wir wissen, was wir zu tun haben, bauchen keine Westeuropäer und so weiter und so fort. Das hat man auch im Wahlkampf gehört, aber diese Tendenzen dürfen hier nicht den politischen Vorrang haben.

Die EU ist das wichtigste Projekt der Europäer, um den Frieden, die Sicherheit und den Wohlstand auf dem Kontinent zu sichern wie auch die Zukunft unseres Landes“.

Johann Fernbach, Vorsitzender DFDB:

„Allgemein und oberflächlich gesehen, ist es das visafreie Reisen nach Westeuropa, was uns der EU-Beitritt vor zehn Jahren gebracht hat. Im Grunde genommen ist es jedoch viel mehr: Neue Möglichkeiten für die Wirtschaft und den Handel, aber auch die Gewissheit, zum erlesenen Kreis der gestandenen europäischen Demokratien zu gehören. Dadurch wurden viele Aspekte auch hierzulande üblich, die in Westeuropa längst Tradition sind; viele Normen in der Gesetzgebung wurden übernommen oder an die rumänischen Gegebenheiten angepasst. Nicht zuletzt hat die Korruptionsbekämpfung auch auf Druck der EU einen Quantensprung gemacht. Für die deutsche Gemeinschaft kommen die intensiven Kontakte zu ihren Partnern und Freunden in den deutschsprachigen Ländern hinzu. Dies hat zu einem besseren Demokratieverständnis beigetragen.

Viel Geld ist im letzten Jahrzehnt aus dem EU-Haushalt in rumänische Autobahnen geflossen, aber auch in die Wirtschaft allgemein, ins Abfallmanagement und die Wasserbewirtschaftung sowie in Bildung und deren Studienprogramme. Das Lebensniveau ist ebenfalls gestiegen, auch wenn selbst ein rumänischer Durchschnittsverdiener mit seinem Einkommen weit unter dem EU-Mittelwert liegt.

Rumänien ist durch die Aufnahme in die EU glaubwürdiger geworden und das hat Vertrauen auch bei Investoren aller Art und aller Größenordnungen geschaffen. Der Zuzug von ausländischem Kapital bestätigt dies. Zu den Wermutstropfen gehören die in hohem Maße nicht abgerufenen EU-Fördermittel und die vielen, ins Ausland abgewanderten Fachleute der diversesten Bildungsstufen. Die deutsche Sprache hat sich als Vorteil für einen Arbeitsplatz im Ausland gezeigt. Aber nicht zuletzt: Das Deutsche steht mit seiner hier gepflegten Sprache sowie mit seinen Kultur- und Bildungsträgern auch als Alternative für eine Existenzgründung und ein sinnvolles Leben im Banat und in Rumänien“.

Robert D. Reisz, Dekan der Fakultät für Politikwissenschaften, Philosophie und Kommunikationswissenschaften:

„Anfang 2007 sahen wir dem Beitritt Rumäniens zur EU mit vollem Optimismus entgegen und sahen wunderbare Flitterwochen kommen. ‚Honigmonate‘ nennen das die Rumänen, wie auch die Engländer, eigentlich. Inzwischen hat sich vieles geändert.

Für Rumänien sehe ich aber eine klar positive Bilanz:

  1. Unter dem bedeutenden Einfluss der EU hat Rumänien eine Kampagne gegen die politische Korruption begonnen und Fortschritte sind sichtbar.
  2. Mit dem Beitritt unseres Landes zur EU hat sich eine bedeutende rumänische Diaspora entwickelt. Man spricht von ungefähr 10 Prozent der rumänischen Staatsbürger, die außerhalb Rumäniens leben und arbeiten. Diese Diaspora spielte von Anfang an eine starke wirtschaftliche Rolle, beginnt aber auch eine immer bedeutendere politische Rolle zu spielen.
  3. EU-Fonds kamen erst zögernd als bedeutende Investitionsquellen ins Land. Im letzten Jahr sind die Einkommen Rumäniens aus europäischen Quellen stark gestiegen und meine Erwartungen sind auch da optimistisch.
  4. Im Kulturleben Rumäniens ist die Öffnung gegenüber der EU vielleicht am sichtbarsten. Die Rumänen haben als Touristen und nicht nur Europa kennen- und schätzen gelernt und europäische Normen und Werte übernommen.
  5. Das rumänische Bildungssystem ist immer mehr an Europa gebunden. Studenten- und Lehreraustausche mit unseren EU-Partnern sind zum Alltag geworden und der Vergleich mit Europäischen Modellen ist jetzt unvermeidbar und wegweisend.

Rumänien bleibt einer der wenigen europäischen Staaten, in dem keine extremistische Partei eine politische Überlebenschance hat. Bei den neuesten Wahlen kam es wieder so. Keine Partei der Euroskeptiker, Nationalisten, der linken oder der rechten Extreme kam ins Parlament. Rumänien steht schon fast allein da, in dieser beneidenswerten Position.

Für die EU allgemein war aber die letzte Dekade ein Test der Einheit, den wir noch nicht ganz bestanden haben. Die Weltwirtschaftskrise 2008–2010, dann die euroskeptische Bewegungen in vielen Staaten die letztendlich zum Austritt Großbritanniens führten, und natürlich die Immigrantenkrise und der Terrorismus, die nationalistischen Politikern in der Hand spielen. Hass und Intoleranz sind wieder Teil des politischen Diskurses in Europa geworden, Hass gegenüber Ausländer und Migranten, aber auch Hass seitens der Terroristen gegenüber unseren Werten.

Dabei bleibt für mich Eines am bedeutendsten: die EU sorgt für Frieden in Europa“.

Ioan Coriolan Gârboni, Direktor der Temeswarer Philharmonie „Banatul“:

„Rumänien war vom kulturellen Standpunkt her schon immer in der EU integriert, das Problem war, dass wir vom administrativen und wirtschaftlichen Standpunkt aus noch nicht integriert waren.

Seit zehn Jahren seitdem wir gleiche Rechte haben (mit den anderen EU-Bürgern – N Red.) sind wir kulturell gut dran, denn wir können wichtige Künstler nach Rumänien bringen, aber es ist nicht gut, weil viele wertvolle rumänische Künstler auswandern. Wir erleben einen massiven Exodus an jungen, wertvollen Musiker, inklusive Studenten, die ihr Studium im Ausland beginnen – viele von ihnen in Wien – und die man nicht zurückbringen kann.

Ich kenne mindestens zehn junge Temeswarer Musiker, die im Ausland geblieben sind. Einen einzigen jungen Musiker kenne ich, der zurückgekommen ist: Es handelt sich um unseren Kollegen Darius Tereu, der in Zürich studiert hat. Alle anderen sind im Ausland geblieben sind: in Lyon, Wien.

Also gibt es Vor- und Nachteile, aber es ist verständlich, dass sich die jungen Menschen für das Ausland entscheiden, weil die Gehälter größer sind.

Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus ist es klar, dass es in der EU sehr gut für Rumänien ist. Ich denke aber, dass man viel mehr hätte machen können, wenn auch die Regionalisierung durchgeführt worden wäre. Ich behaupte nicht, dass man Rumänien hätte föderalisieren sollen. Wir sind demokratisch und wirtschaftlich noch schwach. Zusammen sind wir stark, fragmentiert nicht. Aber ich glaube, dass es wichtig gewesen wäre, die Regionalisierung für ein besseres Management der EU-Fonds durchzuführen und im Hinblick auf eine bessere Entwicklung der zukünftigen Euroregionen. Die EU setzt auf diese Euroregionen in Zukunft, um das Gefühl der Zugehörigkeit zu Europa, den europäischen Bürgersinn zu entwickeln. In diesem Sinne ist es klar, dass Temeswar das Zentrum der Euroregion ist.

Ich glaube auch, dass es schwierige Zeiten sind. Die ersten acht oder neun Jahre Europäisierung haben sehr gut funktioniert. Vergangenes Jahr hat die EU den ersten großen Misserfolg durch das Austreten Großbritanniens aus der Union und auch die Immigrantenkrise gehabt. Es geschehen sehr ernsthafte Sachen, wir waren gerade in Frankreich auf Tournee, als das Attentat in Nizza stattgefunden hat. Es sind schwierige Momente, die Europa durchmacht“.