„Wenn man nicht zeigt, dass der König nackt ist, sollte man keinen Film machen.“

Die Rumänischen Filmtage des Transilvania International Film Festival

Lektionen in Kino: Filmemacher Cristi Puiu (r.) im Gespräch mit dem Moderator Toma Peiu. Foto: Nicu Cherciu

Das Transilvania International Film Festival (TIFF) feierte sein zehntes Jubiläum mit einer umfangreichen Sektion, die dem rumänischen Kino gewidmet war. Und das nicht zufällig: Vor zehn Jahren kam Cristi Puius rasanter Film „Marfa şi banii“ ins Kino. Danach war alles anders: Die Produktion wurde als Anfangspunkt des neuen rumänischen Kinos gesehen; der Kritiker Alex. Leo Şerban sprach von einem Kino vor und nach Puius Film. Mit Panels, Workshops und Retrospektiven bot die Sektion ein sehr umfangreiches Programm, das sowohl Klassiker als auch aktuelle Kurz- und Langfilmproduktionen umfasste. Im Rahmen der Retrospektive zu Lucian Pintilies Werk, das Puiu und viele seiner gleichaltrigen Filmkollegen als einen maßgeblichen Einfluss benennen, konnte man zum ersten Mal in Rumänien alle Filme des Regisseurs sehen, inklusive des mittellangen „Tertium non datur“. Die Anwesenheit des sonst öffentlichkeitsscheuen Filmemachers erfreute die Klausenburger Kinoenthusiasten umso mehr.

Im Kontext der diesjährigen Rundtischgespräche und rückblickenden Betrachtungen zu der „Neuen Rumänischen Welle“ und ihrer Filme, die einen düsteren Blick auf soziale Gegebenheiten werfen, ist es auffällig, dass die Preisträger in der rumänischen Sektion alle komödiantische Filme sind, die soziale und familäre Probleme mit Witz und Ironie behandeln. 

Der Gewinner des Regiepreises, Constantin Popescus „Principii de viaţă“, ist die Tragikomödie eines Mannes, der auf allen Ebenen scheitert und aufgrund einer unverwüstlichen Selbstüberschätzung sehr lernresistent ist. Der rasant gesprochene Streifen wird von der Darstellung Vlad Ivanovs getragen, der zum ersten Mal als Hauptdarsteller agieren kann. Wenn der Film an manchen Stellen überkonstruiert wirkt, ist er dank der energisch-neurotischen (dabei aber nie ins Lächerliche gleitenden) Darstellung Ivanovs ein intelligentes und unterhaltsames Werk. Zur Freude der anwesenden Filmliebhaber verlief das Gespräch nach der Vorführung ebenfalls sehr entspannt: Ivanov bezog sich augenzwinkernd auf seine bisher bekannteste Rolle als der ‘Engelmacher’ Herr Bebe in Cristian Mungius „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“: „Wir haben versucht, den Film in vier Monaten, drei Wochen und zwei Tagen zu drehen, aber da war Mungiu leider schneller als wir.“ 

Ein Film, der genauso enthusiastisch aufgenommen und mit dem Preis der Rumänischen Filmtage geehrt wurde, ist Marian Crişans bittersüße Komödie „Morgen“, die schon letztes Jahr bei den Filmfestspielen in Locarno den Drehbuchpreis erhielt. Der lakonische Film beschreibt die unwahrscheinliche Freundschaft zwischen einem gutmütigen Kaufhausangestellten und einem türkischen Flüchtling, die an der Grenze zwischen Rumänien und Ungarn aufeinanderstoßen. Keiner spricht die Sprache des anderen, sodass der Film mit sehr wenig Dialog eine rührende Geschichte über Freundschaft und Fremdsein erzählt.

Dem Kurzfilmgenre waren zwei Programme gewidmet, die hauptsächlich Erstlings- und Hochschulfilme präsentierten. Mit einem perfekten Timing, einer präzisen Führung und guten Schauspielern war „Stopover“ der schon etablierten Regisseurin Ioana Uricaru, nach einem Drehbuch von Cristian Mungiu, eines der Highlights der Sektion: Eine junge Rumänin, die in Norwegen lebt, wird an einem italienischen Flughafen ausgeraubt und ihre rumänischen Wurzeln entpuppen sich auf den ersten Blick als unerwartet praktisch. Bemerkenswert waren außerdem Cristian Miricăs Retro-Romanze „Strung Love“, Anca Miruna Lăzărescus „Apele tac“, ein Thriller über einen Fluchtversuch während des Kommunismus, und der Gewinner des Kurzfilmwettbewerbes, ebenfalls Miricăs Komödie „Bora Bora“ über einen aberwitzigen Versuch, in der rumänischen Provinz an Geld zu kommen. 

Die Dokumentarfilmsektion umfasste viele Erstlingswerke, darunter auch Ana Vlads und Adi Voicus „Metrobranding – O poveste de dragoste între oameni şi obiecte“. Der Film geht auf den Spuren rumänischer Marken, die im Kommunismus den Markt bestimmten: die Turnschuhe von Drãgãsani, die Matraze Relaxa oder die Nähmaschine Irina. Dabei wirkt die Nostalgie im Film zu keinen Punkt unreflektiert. Die exzellente Auswahl der interviewten Sujets und der warmherzige Humor machten den Film zu einem der genüsslichsten und rührendsten des Festivals. 

Die täglichen Filmgespräche in der TIFF-Lounge mit Filmemachern und Schauspielern wurden von einem sehr gemischten Publikum begeistert aufgenommen. So zeigte sich Cristi Puiu, dessen letzter Film „Aurora“ eine sperrige Studie eines Mordes ist, als ein sehr gewitzter und schlagfertiger Redner, der die Fragen des Publikums ausgiebig und ehrlich beantwortet hat und dabei seine Überzeugung äußerte, dass der Regisseur die Aufgabe habe, in seinen Filmen auch unbequeme Themen anzugehen: „Wenn man nicht zeigt, dass der König nackt ist, sollte man kein Kino machen, sondern was anderes.“ 

Puius Aussage kann man vor allem auf die kommunistische und postkommunistische Realität und die Filme beziehen, die sie in den vergangenen Jahren widerspiegelt haben. Der Reichtum an Genres, Themen und ästhetischen Ausrichtungen beim diesjährigen Festival zeugt allerdings von einer wachsenden Dynamik und Vielfältigkeit im rumänischen Kino, das sich langsam von dem Label einer neuen Welle mit der assoziierten halbdokumentarischen Ästhetik weiterwentwickelt und neue Wege findet, den König nackt zu zeigen.