500 Jahre Reformation, 475 Jahre siebenbürgische Reformation im Spiegel des zurückgekehrten „Neuen Kelchs“ von Bartholomä (II)

Gekürzte Fassung des Festvortrages am Bartholomäusfest 2017

Im Folgenden soll allein das Schriftprinzip der Reformation vertieft werden, die weiteren Grundprinzipien der Reformation, sola gratia (allein durch die Gnade Gottes), sola fide (allein durch Glauben) und solus Christus (allein das Wirken Christi und seine Lehre sind Grundlage des Glaubens, mit Blick auf die Frage der Heiligenverehrung: alleiniger Mittler zwischen Menschen und Gott ist Christus) seien hier nur erwähnt. Das Schriftprinzip sah die Neuausrichtung des Glaubens- und Kirchenlebens strikt an den durch die Bibel überlieferten Inhalten vor. Im Umkehrschluss, war alles, was lediglich vom Menschen hinzugefügt worden war, zu entfernen. Aus der Anwendung dieses Grundprinzips ergibt sich auch die oben skizzierte ablehnende Vehemenz, die Honterus im Reformationsbüchlein von 1543 gegenüber den katholischen Zeremonien und Prozessionen, der Heiligenverehrung etc. an den Tag legt.

Das Reformationsbüchlein von 1543, das in systematischer Weise die Schritte der im Vorjahr eingeführten Reformation beschreibt, orientiert sich bis auf den Punkt des Bannes, wo Nürnberg Bezugspunkt ist, in vielerlei Hinsicht an der Wittenberger Kirchenordnung von 1533. Es ist nur folgerichtig, dass die Wittenberger Reformatoren, Luther, Melanchthon und Bugenhagen, voll des Lobs waren, als sie das Kronstädter Reformationsbüchlein in den Händen hielten – Melanchthon druckte es gar umgehend nach. Den noch zweifelnden Hermannstädter Stadtpfarrer Mathias Ramser verweisen sie an die Kronstädter. Luther schrieb ihm 1543: „Denn alles, was du mich fragst, findest du im (Reformations)büchlein besser, als ich es dir schreiben kann“, Ramser möge sich mit „den Dienern der Kronstädter Kirche ins Einvernehmen“ setzen, denn „jene werden dir (Ramser) die nützlichsten Helfer für die Reformation deiner Kirche sein“. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass das Kronstädter Reformationsbüchlein von 1543 Melanchthon als Vorlage bei der Abfassung der „Reformatio Wittenbergensis“ von 1545 diente.

Die Kronstädter Reformation

Als evangelisch-lutherisch im vollen Umfang des Wortes kann die Kronstädter Reformation von 1542 nicht eingestuft werden. Dies als Mangel auszumachen, ist aus zwei Gründen unzulässig: Die Lagerbildung in evangelisch-lutherisch und reformiert-helvetisch bzw. calvinistisch ist ein Phänomen, das v.a. die 1560er Jahre prägte. Sodann ist zu berücksichtigen, dass die Regensburger Religionsgespräche, die im Kontext des Regensburger Reichstages von 1541/42 stattfanden, begründete Hoffnung aufkommen ließen, die Kirchenspaltung könne vermieden werden. Ferner kam es darauf an, den Gegnern der Reformation innerhalb des im Entstehen begriffenen Fürstentums Siebenbürgen, namentlich dem mächtigen Statthalter und katholischen Bischof Georg Martinuzzi keine Angriffsflächen zu bieten. Folglich betont das Reformationsbüchlein von 1543, dass nicht die Spaltung der Kirche die Absicht sei, sondern die Rückkehr zur ursprünglichen Kirche mithilfe des Schriftprinzips.

Die Kronstädter trugen ihre Orientierung auch öffentlichkeitswirksam nach außen, indem sie in einer groß angelegten Aktion im Herbst 1543 die bisher für die Schulbibliothek massiv angeschafften Bücher einheitlich prachtvoll in Leder binden ließen. Das zentral angebrachte vergoldete Krone-Wurzel-Wappen von Kronstadt ist umgeben von einer Zierleiste, die ebenfalls vergoldet die Porträt-Stempel der Wittenberger, nämlich von Luther, Melanchthon und ihres Förderers, des Kurfürsten von Sachsen, Johann Friedrich, abbildet, dann aber auch die Porträts von Erasmus von Rotterdam und von Jan Hus. Wäre es um Kirchenspaltung 1542 gegangen, so hätte man andere Porträtstempel auswählen müssen! Erasmus passt nämlich nicht zur Reformation, er hat sich ihr ganz bewusst nicht angeschlossen und war 1536 als Katholik gestorben. Seine Präsenz kann aufgrund seiner großen Verdienste um die europäische Schulbildung lediglich als Hervorhebung des humanistischen Selbstverständnisses des Kronstädter Reformationsansatzes verstanden werden. Freilich passte das Verharren von Erasmus von Rotterdam im Katholizismus und seine Differenz zu Luther auch ganz gut in den innenpolitischen Kontext Siebenbürgens.

Das Aufscheinen von Jan Hus, des böhmischen Vorläufers der Reformation 100 Jahre vor Luther, der das Schriftprinzip auf dem europäischen Festland wirkungsvoll heimisch machte, gibt zu denken auf. Einerseits erkannte sich Luther selbst bereits 1520 aufgrund des Schriftprinzips als Nachfolger des 1415 auf dem Scheiterhaufen hingerichteten Jan Hus. Andererseits wohnte der Reformbewegung, die von der Hinrichtung von Jan Hus ausgelöst wurde und die neben den Böhmischen Ländern auch bis ins historische Ungarn ausstrahlte und die im 16. Jahrhundert unter der Bezeichnung „Böhmische Brüder“ fortbestand, eine Note der Ablehnung gegenüber kirchlicher Hierarchie inne. Ob in den zahlreichen Liedern der Böhmischen Brüder (teils auch der Täuferbewegung), die Philipp Moldner 1543 in Kronstadt als Gesangbuch druckte, ein Schlüssel zum Verständnis der Spannungen in Kronstadt um die Jahreswende 1543/44 liegt, ist noch genauer zu untersuchen.

Eine Errungenschaft, die auf Honterus zurück geht

Aufs engste mit Jan Hus verbunden ist jedoch die Anwendung des Schriftprinzips auf die Abendmahlshandlung. Das erwähnte „trinkt alle daraus“ aus dem Mat-thäus-Evangelium sollte nach Hus in der Reichung des Abendmahls, also Brot und Wein, als Leib und Blut Christi befolgt werden. Das Konstanzer Konzil verbot 1415 jedoch die Reichung des Kelches an die Laien. In der katholischen Kirche blieb der Kelch folglich ein Privileg der Geistlichkeit. Als Reaktion darauf wurde der Kelch zum Glaubenssymbol der hussitisch orientierten Kirche in Böhmen, die auch Calixtiner, also Kelchler von lateinisch Calix für Kelch genannt wurden. Die Reformation um Luther übernahm in der Folge das Prinzip der Reichung des Abendmahls in beiderlei Gestalt. Neben der Konformität zum Schriftprinzip war das Mobilisierungspotential im Volk, das in der vollumfänglichen Teilhabe am Heilsgeschehen inne lag, im Sinne des christlichen Bruderverständnisses nicht zu vernachlässigen – beides weist, aus heutiger Perspektive betrachtet, eindeutig in Richtung des Gleichheitsprinzips, aus dem unsere Demokratie zu wesentlichen Teilen besteht.

Als Johannes Honterus 1533 dem Ruf seiner Vaterstadt folgte und heimkehrte, hielt er wohl schon seinen ältesten Sohn, das einzige Kind aus seiner ersten Ehe, auf dem Arm. Der Knabe trug den Namen Calixtus. Das war keine zufällige Namensgebung, sondern ist als Ausdruck des gemeinsamen reformatorischen Willens der Kronstädter Stadtführung und von Johannes Honterus aufzufassen. Denn bereits 1530 hatten sich der spätere Stadtrichter Johann Fuchs und der nach Krakau ausgewichene Honterus in Krakau getroffen. Sie besprachen damals die Konsequenzen, die sich aus dem Ausscheiden Kronstadts aus dem Lager des katholischen Kaisers ergaben. Reformation als Konsequenz des Seitenwechsels und „Hospitation“ von Honterus in Sachen Reformation in den süddeutschen Städten müssen Gesprächsinhalt in Krakau gewesen sein und lassen sich in Konturen während seiner anschließenden Aufenthalte v.a. in Basel erkennen.
Angesichts der Tatsache, dass wir heute den sogenannten „Neuen Kelch“ von 1703 nach 100jähriger Abwesenheit geweiht und wieder verwendet haben, sich dies im Jahr des 500jährigen Gedenkens an die Reformation in Deutschland und 475 Jahre seit dem Beginn der Reformation in Kronstadt ereignet, möchte ich mit einem herzlichen Dank an alle, die diese Rückkehr möglich gemacht haben, schließen und den Wunsch beifügen, dass uns stets bewusst bleiben möge, dass die Teilhabe am Kelch in Kronstadt eine Errungenschaft ist, die auf Honterus zurück geht, schlussendlich, welch hohes Gut die Gleichheit unter uns ist und welch hohen Stellenwert ihr im und durch das Abendmahl in der Nachfolge Christi zukommt.