Auch Pressefreiheit ist gewöhnungsbedürftig

Nach der Wende war Pressefreiheit Wirklichkeit geworden. Daran musste man sich, nach Jahrzehnten kommunistischer Diktatur, gewöhnen. Sowohl als Zeitungsmacher als auch als Zeitungsleser.
Ich sollte mich mit einem prominenten ehemaligen politischen Häftling treffen und über dessen Gedanken und Initiativen in Zusammenhang mit einem sozialen Projekt berichten. Es war ein interessantes Thema und ich war gespannt, jemanden kennenzulernen, der jahrelang in einem Gefängnis, allein wegen seiner politischen und religiösen Überzeugungen, seiner Freiheit beraubt wurde. Als junger Journalist freute ich mich auch, über  das schreiben zu können, was bis zu jenem Zeitpunkt als verboten galt.
Mit Aufnahmegerät, Fotogerät, Papier und Kugelschreiber stellte ich mich zum vorher abgesprochenen Termin bei meinem Gesprächspartner ein. Er freute sich, über die „Karpatenrundschau“ alte Freunde aus den Reihen der Siebenbürger Sachsen und neue Bekannte aus Deutschland, die seine Projekte unterstützten, erreichen zu können. Nachdem wir auch einige gemeinsame Bekannte nennen konnten, bereitete ich mich vor, ihm einige Fragen zu stellen, die ich mir vorher ausgedacht hatte und die mir als wichtig erschienen, um diesen echten Helden möglichst überzeugend und wahrheitsgetreu vorzustellen.
Der rüstige und energische Senior, den die lange Haftzeit eher gestärkt als gebrochen hatte, kam mir zuvor: Er begann mir mit klarer, entschlossener Stimme zu diktieren, was er zu sagen und ich über ihn und sein Werk zu schreiben hatte. Er sprach frei und überzeugend – keine Hasstiraden auf seine Peiniger von einst, keine Lobeshymne auf den freien Westen. Aber auch kein Zweifel, ob er so richtig handle. Vorsorglich fragte er mich noch, ob er nicht zu schnell spreche und ob ich mit dem Nachschreiben Schritt halten könne.
Meine erste Reaktion war, den Kugelschreiber niederzulegen und meinen Gesprächspartner daran zu erinnern, dass ich als Reporter und nicht als sein Sekretär zu ihm gekommen sei. Dann aber, sekundenschnell, ging es mir durch den Kopf: Der gute Mann hatte Verhöre durchgemacht, selber Aussagen verfasst oder eben diktiert bekommen, die er dann unterschreiben sollte. Zwischenfragen würden ihn sicher kränken und für ihn als Zeichen des Misstrauens gelten. In den Jahren des Kommunismus hatte er sicher, wie wir alle, erlebt, dass vorgegebene Texte eher als Propaganda und nicht als glaubwürdige Information empfunden werden. Merkte er nicht, dass sich auch in dieser Hinsicht die Zeiten geändert hatten? Oder fürchtete er, ich sei einer jener Reporter die das schreiben, was sie wollen, egal was sie zu hören bekommen? Vor unserem Abschied stellte ich ihm noch einige meiner ursprünglichen Fragen auf, die er bereitwillig und ohne Zögern antwortete.
Mein Bericht war selbstverständlich nicht der Abdruck seiner diktierten Rede. Als wir uns wieder trafen, dankte er mir für mein Interesse und meine Arbeit und wollte unbedingt weiter in Verbindung mit der KR bleiben. Ich meinerseits hatte etwas hinzugelernt: Pressefreiheit ist nichts Selbstverständliches. Außer Mut setzt sie auch Vertrauen voraus.