Ausgeweitete Grenzen der Heimat

Eindrücke eines „zurückgebliebenen“ Kronstädters, der zum ersten Mal beim Heimattag in Dinkelsbühl war

Steffen Schlandt, Iris Wolf und Hans Christian Habermann bei der Preisverleihung in der St. Pauls-Kirche.

Petersberger Trachtengruppe beim traditionellen Aufmarsch.

Peter Simon beim Kronstädter Infostand in Dinkelsbühl.

Der Hermannstädter Bürgermeister Klaus Johannis (zweiter von rechts) wurde von Dr. Bernd Fabritius, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland (links) mit dem Ehrenstern der Föderation der Siebenbürger Sachsen ausgezeichnet.
Fotos: der Verfasser

Am Donnerstag, dem 5. Juni 2014 Abfahrt Richtung Hermannstadt, mit dem Endziel Heimattag in Dinkelsbühl, das Auto vollgepackt mit Broschüren betreffend Honterusgemeinde und Schwarze Kirche. In Hermannstadt  Autowechsel und weitere Materialien einpacken zur Weiterfahrt Richtung Dinkelsbühl mit Zwischenübernachtung in Ungarn. Freitag sind wir zeitig genug angekommen, um noch die Ortschaft zu besichtigen, um am Pfingstsamstag  überhaupt zu wissen, wo und wie wir unseren Infostand aufstellen sollen.

Obwohl diese schöne Stadt mehr als 800 Übernachtungsmöglichkeiten bietet, haben wir nur außerhalb ein freies Hotelzimmer gefunden (in Bechhofen, 20 km von Dinkelsbühl entfernt). Die Stadt kann durchaus auch ohne dieses große Ereignis besichtigt werden. Sie liegt an der Kreuzung zweier alter Heer- und Handelsstraßen – heute treffen sich hier die Romantische Straße und die Deutsche Ferienstraße Alpen/Ostsee-, am Ufer der Wörnitz. Eine lückenlose mittelalterliche Wehranlage mit vielen Türmen  und Stadttoren umschließt die ehemals „Freie Reichsstadt“ die auch im Inneren ihre Ursprünglichkeit erfreulicherweise größtenteils bewahrt hat.

Samstag 9 Uhr, programmgemäß sind wir dort und fragen uns bei Leuten durch, die offensichtlich nicht solche Neulinge sind wie wir. Das heißt Festabzeichen verschaffen, damit alle sehen können „Wir gehören dazu“. Unser Stand war schnell aufgebaut und dann warteten wir auf die Kunden die sich interessieren sollten, was wir dort wollen.  An diesem Tag sollten die verschiedenen Ausstellungen öffnen und dann um 11 Uhr die festliche Eröffnung des Heimattages mit Blasmusik und Ansprachen im Schrannen-Festsaal.

Die vielen, vielen Besucher waren aus fast allen sächsischen Dörfern Siebenbürgens hergekommen, um sich zu treffen. Viele kannten sich von früheren Treffen, manche kommen jedes Jahr. Viele von ihnen meinten, wir seien Organisatoren und stellten sehr gezielte Fragen: wo man gut essen kann, wo die Toiletten sind und wo man die Festabzeichen kauft, wichtig natürlich auch die 5 Euro für den Eintritt ins Festzelt.  Wir waren sehr schnell im Bilde und gaben allen Auskunft. Weil aber eben die meisten nicht aus Kronstadt waren, fragten sie meist, ob wir nicht auch Broschüren aus ihrem Heimatdorf hätten und waren dann sehr enttäuscht, dass wir nur von Kronstadt etwas haben. Fazit, jeder will etwas aus seinem Heimatdorf haben und jeder hängt mit seinem Herzen an seinem Heimatort.

Das Programm war sehr reichhaltig. Erst jetzt, beim nachträglichen Lesen des Programms, stelle ich fest, wie wenig wir eigentlich von der ganzen Vielfalt mitbekommen konnten. Die Programmpunkte waren auch an sehr unterschiedlichen Orten, die erst ermittelt werden mussten, und das am heißesten Pfingstwochenende seit Jahrzehnten. Jeder musste genau wissen, wofür er sich interessiert und dann gezielt danach trachten, es auch zu schaffen, beizeiten dort zu sein. Parken in Dinkelsbühl – unmöglich, Hotelplatz finden ohne beizeiten gebucht zu haben – ausgeschlossen, schattiges Plätzchen finden zum Essen - sehr schwer.

Im Vorteil waren eindeutig diejenigen, die nicht zum ersten Mal hier waren und Bescheid wussten. Für mich war wichtig, das vokal-sinfonische Konzert in der St. Pauls-Kirche zu hören, zum Abschied von Ilse Maria Reich als Gründerin und Leiterin der Siebenbürgischen Kantorei.

Pfingstsonntag mit Pfingstgottesdienst in der St. Pauls-Kirche um 9 Uhr war auch ein wichtiger Programmpunkt. Wir wohnten außerhalb von Dinkelsbühl und bei der Anfahrt hatten wir die Überraschung, dass die ganze Altstadt Dinkelsbühls schon weiträumig gesperrt war für Autos. Das hieß – mit den entsprechenden Orientierungsproblemen – Parkplatz finden und trotzdem um 9 Uhr bei der St. Pauls-Kirche sein. Eine schöne Pfingstpredigt hielt Dekan i.R. Hermann Schuller und den liturgischen Teil bestritt Pfarrer Christian Reich. Es ist ein erhebendes  Gefühl, wenn in einer großen und trotzdem vollen Kirche alle Besucher die Lieder kennen und auch mitsingen.

Der Trachtenumzug muss für manche eine Tortur gewesen sein, im Kirchenmantel in der Sonne stehen und gehen. Auch am Rande stehen und zusehen war schon schwer genug, vernünftige Bilder schießen fast unmöglich. Das Rednerpult stand genau vor dem Haupteingang zur  Schranne und  dieser war aus Sicherheitsgründen verschlossen. Aus dieser Sicht war unser Stand vielleicht nicht am besten Platz, zumindest war es angenehm kühl.

Hauptpunkt für mich an diesem Tag war die Preisverleihung in der St. Pauls-Kirche:  Ehrenstern der Föderation an den Hermannstädter Bürgermeister Klaus Johannis und Ernst-Habermann-Preis an unseren Kronstädter Musiker  Dr. Steffen Schlandt. Es wurden noch mehrere Preise verliehen, aber wichtig für uns war der Preis an Steffen Schlandt. Musikalische Untermalung: Christoph Reich, Bariton; Jürgen Reich, Flöte; Ilse Maria Reich, Orgel.

Für uns war es schon so weit, den Stand abzuräumen und die ganzen Materialien wieder ins Auto zu bekommen, denn am Montag wollten wir schon in Richtung Heimat fahren.  Und das war nicht gut geplant, denn Montag gab es noch die Podiumsdiskussion zum Thema „Heimat ohne Grenzen“.  Es gab Teilnehmer, die eigens nur dafür angereist sind.  Es ging dabei um die Frage, ob die ausgewanderten Siebenbürger eine neue Heimat gefunden haben und ob man eine neue und eine alte Heimat haben kann. Wir „Zurückgebliebenen“  haben nur diese unsere eine Heimat und müssen also unsere Gefühle nicht teilen. Aber einen Besuch ist Dinkelsbühl auf jeden Fall wert. Die Grenzen der Heimat haben sich durch die große Wende vor 25 Jahren auf jeden Fall sehr ausgeweitet und dafür sind wir dankbar.