„Das Antiquariat ist mein Leben“

Gespräch mit Astrid Hermel, Leiterin von „Aldus“

Mit 18 Jahren begann Astrid Hermel ihre Karriere...

... 54 Jahre später übt sie weiterhin ihren Traumberuf aus. Foto: die Verfasserin

Im Februar vor 54 Jahren hat Astrid Hermel ihre Karriere als Antiquarin begonnen. 1985 übernahm sie die Leitung des staatlichen Antiquariats auf der Hirscher-Gasse, im Sommer 1991 eröffnete sie ihren eigenen Laden, das Aldus-Antiquariat (Benennung nach dem venezianischen Humanisten und Sprachgelehrten Aldus Manutius). Zwei Jahre später rief sie einen Verlag und eine Druckerei ins Leben, mit dem Wunsch, die Marktlücke im Bereich deutsche Bücher über Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen zu füllen. „Aldus“ wurde zum multikulturellen Treffpunkt für Buchliebhaber und Autoren. Astrid Hermels besondere Verdienste im Kulturbereich und ihr gemeinnütziges Wirken für die Gemeinschaft wurden 2006 durch den Apollonia-Hirscher-Preis anerkannt. Über die Höhen aber auch Tiefen des Familienunternehmens unterhielt sich Astrid Hermel mit KR-Redakteurin Laura Căpățână Juller.

Erinnern Sie sich, wie es bei der Eröffnung des Antiquariats war?
Es war wunderbar. Der damalige Bürgermeister war anwesend, der Vizebürgermeister, viele Bekannte, Professoren, Schüler, unsere Gemeindeglieder, um die 70 Leute. Eine Gruppe junger Kronstädter Autoren haben ihr Buch „Pauza de respira]ie“ vorgestellt: Andrei Bodiu, Simona Popescu, Caius Dobrescu und Marius Oprea.

Es war ein guter Start.
Ich habe sehr bescheiden angefangen, mit einigen Büchern von zu Hause, die ich zum Verkauf gestellt habe. Mit drei Regalen auf einer Seite, drei auf der anderen Seite. Einen Schreibtisch hatte ich mir gekauft und einen Stuhl.
Ich habe 1968 als Antiquarin beim Buchhandlungszentrum angefangen. 1990 hat die Leitung des Zentrums den Mietvertrag für die Räumlichkeit auf der Hirscher-Gasse nicht verlängert. Das war der Wendepunkt für mich, ich konnte selbstständig werden. Nach acht Monaten Prozessen wegen des Standorts konnte ich meinen eigenen Laden eröffnen. Vor dem Auszug haben die Leute vom Buchhandlungszentrum alles aus dem Laden geräumt, sogar das Linoleum, sie haben Lampen, Waschbecken und Toilette zerschlagen. Alles war kaputt. Ich musste von Null anfangen. Es war nicht einfach.

Welches waren die ersten Bücher, die im Aldus-Antiquariat verkauft wurden?
Die vier Bände der „Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk“ von Georg Daniel Teutsch und Friedrich Teutsch habe ich zuerst verkauft. Aber ich hab sie später für mich zurückgekauft.

Welche Bücher hatten Sie anfangs im Angebot?
Einige meiner eigenen Bücher: Kunstbücher in deutscher Sprache und „Transsylvanica“, rumänische Literatur, also Re-breanu, Slavici, Creang² auf Rumänisch, technische Bücher, die mein Mann nicht gebraucht hat. Es waren um die 30 Bücher.

Welche Bücher brachten die Kunden?
Als die Kunden erfahren haben, dass ich mich privatisiert habe, war Schlange vor der Tür. Sie standen mit den Taschen da, sodass ich das Programm verlängern musste. Solange ich den Ankauf machte, trug eine Freundin von mir die Preise in die Bücher ein und stellte sie in die Regale. Es waren Bücher in allen Bereichen, auf Deutsch, Rumänisch, Ungarisch, Englisch. Ich war so froh. Es war ein sehr großes Angebot.

Was passiert mit Büchern, die nicht verkauft werden?
Jedes Buch findet seinen Herren. Auch nach vier, fünf Jahren.
Ich habe sogar nach acht Jahren eines verkauft. Ich dachte, es geht nie weg, aber dann hat es doch jemand gewollt. Ich rede mit den Büchern, wenn ich Ordnung auf den Regalen mache. Ich sag: du stehst schon so lange da, du kommst sicher auch an die Reihe.

Haben Sie noch Kunden von damals?
Ich habe Kunden, die noch in den 1970er Jahren kamen. Jetzt sind sie schon alte Leute, haben Kinder und Enkelkinder, schauen aber immer noch hier vorbei. Es bereitet ihnen Freude, gibt ihnen Energie. Wir erzählen und erinnern uns an unsere Jugendzeit.

Es kamen auch viele Schüler. Ich habe einen Kunden, George, der war damals Schüler und kam mit seinem Vater ins Antiquariat in der Purzengasse, damals war es dort. George suchte bei uns immer Pif-Comics. Er las sie bei uns, aber wenn er Geld hatte, kaufte er sich einige. Auf die Bitte meiner damaligen Chefin, Frau Herta Grecu, ging er hin und wieder in die Spitalgasse und brachte uns 25-Bani-Kipfel. Wir sind Freunde geworden und geblieben. Nur in seiner Studienzeit kam er nicht zu uns, weil er nicht in Kronstadt war. Danach erschien George plötzlich mit seiner Verlobten. Später mit seiner Frau und dann mit seiner Tochter, Ancu]a. Und Ancu]a hat mir als Jugendliche in den Sommerferien 2010, 2011 und 2012 im Geschäft ausgeholfen. Im Gästebuch des Antiquariats schrieb sie, die Zeit im Laden wären die schönsten Jahre ihres Lebens gewesen.
Das ist nur eines der vielen Beispiele. 

Wie schätzen Sie, nach 31 Jahren, die Tätigkeit der Firma Aldus ein?
Ich habe meine Arbeit von Anfang an geliebt. Das hat mir die Ausdauer gegeben. Wenn man Bücher und Menschen liebt und respektiert, kann man diesen Beruf ausüben.

Anfangs hatte ich viele Angestellte (Anm. d. Redaktion: acht). Zu Beginn der 1990er Jahre gab es einen großen „Buchhunger“, viele Marktlücken. Es gab nicht so viele Buchhandlungen und Verlage wie heute. Buchläden hatten kein Angebot in deutscher Sprache. Der Bukarester „Kriterion“-Verlag stand manchmal im Angebot, aber schön langsam nicht mehr. So haben wir den Verlag und die Druckerei gegründet und Bücher wie „Transsylvanica“, oder jene über Siebenbürgen, über die deutsche Minderheit, die sehr gefragt waren, neu gedruckt. Das im Aldus-Verlag erste gedruckte Buch war eine Faksimileausgabe vom „Kronstädter Heimat- und Wan-derbuch“ von Heinrich Wachner. Es folgte „Geschichte des Burzenlandes“ auch von Wachner.
Der Betrieb ist ständig gewachsen. Mein Sohn Arthur hat sich gleich nach Beendigung des Lyzeums hier angestellt und als Autodidakt Druckerei und Verlag geführt. Jetzt ist er selbstständig. Edmond, mein ältester Sohn, hilft immer mit Beratung. 
Inzwischen bin ich alleine geblieben mit dem Antiquariat.

Wann haben die Schwierigkeiten begonnen? 
Im Jahr 2000, als ich von der Hirscher-Gasse übersiedeln musste, weil die Eigentümer das Gebäude zurück bekommen haben, hat es begonnen abwärts zu gehen. Damals war das Antiquariat für ein Jahr lang in einer kleinen Räumlichkeit am Rossmarkt Nr. 5 in Betrieb. Danach bin ich in eine Räumlichkeit am Marktplatz Nr. 17 (Anm. d. Red. heute Blaues Haus) gezogen. Dort war es am besten, nach der Hirscher-Gasse. Es gab dort auch eine Tierapotheke, eine Computerfirma, ein Sportgeschäft und es war sehr lebendig. Es kamen auch immer Ausländer, mit denen ich mich unterhielt. Damals hatte ich noch 3 Angestellte.

2007 begann dann das Sanieren des Hauses am Marktplatz Nr. 17, so dass ich auf Nr. 18 übersiedeln musste. Und dann waren die guten Zeiten vorbei. Es waren mehrere Faktoren, die zusammengewirkt haben: die neue Räumlichkeit in einem Innenhof und die ständige Baustelle, die wirtschaftliche Krise und das Internet. Die Leute wollten etwas Neues, ersetzen Bücher mit Internet...

Warum sind Sie nicht ausgezogen?
Während der Pandemie wollte ich ein Online-Geschäft eröffnen. Aber viele Kunden waren dagegen, sie wollen die Bücher durchblättern, sie spüren. Außerdem kann ich nicht schließen, weil ich mich zu Hause langweile. Es ist schon ein Virus für mich. Ich muss ins Antiquariat kommen.Wenn es weiterhin klappt, dass der Verkauf meine Kosten deckt, dann bleibe ich weiterhin hier.
 Wenn es unter die Linie geht, hat es keinen Sinn, dann muss ich schließen. Und niemand will das Antiquariat übernehmen, weil jeder weiß, dass es kein Geschäft ist. Ich mache es, weil ich Rentnerin bin. Aber ein Jugendlicher braucht Geld.

Und all die Bücher?
Ich will diese Monate durchhalten, also noch bis einschließlich März. Im Sommer hole ich die schwachen Monate nach, dann kommen Touristen, sehen die Werbung draußen und schauen hier herein. Im Sommer soll vielleicht auch das neue Tor des Innenhofes fertiggestellt werden und dann lockt es die Leute an. Für den Hof sind schöne Bänke vorgesehen. Ich wünsche mir, dass die Touristen mit einem Buch in der Hand auf den Bänken sitzen und lesen. 

Was bedeutet Aldus für Sie?
Aldus ist mein Leben. Ich verbringe 80 Prozent meiner Zeit hier.

Warum sollte man ein Buch aus einem Antiquariat kaufen?
Sehr viele kaufen alte Bücher, weil sie wenig Geld haben. Das sind die Intellektuellen. Andere suchen im Antiquariat, weil die Bände, die sie haben wollen, nicht neu erschienen sind. Ein Antiquariat kann nicht aussterben, denn es gibt noch Liebhaber von alten Bücher. Obwohl die alte Sammler-Generation verschwindet, kommt eine junge Generation nach. Leute, die heute etwa 50 Jahre alt sind, entwickeln den Geschmack für alte Bücher. Wegen der Pandemie haben viele so viel online gelesen, dass sie das satt haben. Sie kommen und kaufen. Ich war so glücklich, dass im Vorjahr 90 Prozent aller Käufer Jugendliche waren. Die haben fest gekauft, mit Stößen gingen sie weg. Sie kommen, weil die Preise niedrig sind.

In der Jugend sind Sie in Spielfilmen aufgetreten. Wie kam es dazu?
Ich habe Ballett-Unterricht genommen und dort hat man einige Mädchen ausgesucht, die als Komparsen in einem Film auftreten sollten. So kam es dazu, dass ich in „Steaua fără nume“ mit Mariana Vlady, „Columna lui Traian“ und einem anderen Film mit Birlic gespielt habe. Ich erinnere mich gerne an eine Fahrt nach Plaiul Foii. Im Bus mit den Komparsen ist Florin Piersic mitgefahren. Er war blond, jung und hatte kurze Haare. Er hat Witze erzählt, wir haben gelacht. Nach vielen Jahren ist er in die Hirscher-Gasse ins Antiquariat gekommen und hat mich erkannt, wir haben uns unterhalten. 

Wollten Sie nicht Schauspielerin werden?
Eigentlich nicht. Wir waren 16,17 Jahre alt und machten es hauptsächlich, um Taschengeld zu verdienen.

Wären Sie nicht Antiquarin geworden, welchen Beruf hätten Sie ausgewählt?
Meine Arbeit als Antiquarin habe ich dank meiner Ballettlehrerin bekommen. Ihre Schwiegermutter, Frau Gutt, die 1947 das erste Antiquariat beim Buchhandlungszentrum eröffnet hatte, suchte eine Aushilfe. Wenn das aber nicht gewesen wäre, hätte ich eine Arbeitsstelle in einer Buchhandlung oder Bibliothek gesucht. Ich wollte immer nur mit Büchern arbeiten.

Wie kam es zu dieser Leidenschaft für Bücher?
Als Kind hatten wir einen Nachbarn, der Bankier war. Andrasy hieß er, wir nannten ihn „Hazi-Bacsi“, etwa Haus-Onkel. Er hatte ein Büro mit dunklen Möbeln, das war voll Bücher. Er hat mir immer altersgerechte Bücher in die Hand gedrückt. Ich saß auf einem Fell und schaute mir Illustrationen an, später, als ich lesen konnte, las ich Seite für Seite. Dort konnte ich meiner Phantasie freien Lauf lassen. Von dort dort kommt meine Liebe für Bücher.

Welches ist ihr Lieblingsbuch?
Zuhause habe ich das erste Buch, das ich je bekommen habe, „Dora Holdenried“, über ein kleines Mädchen. Meine Tante aus Reps hat es mir geschenkt, als ich sieben Jahre alt wurde. Es war das erste dicke Buch, das ich ganz gelesen habe. Es war in gotischer Schrift. Nachher folgten hunderte von Büchern. Ich habe keines gelesen, das mir nicht gefallen hat.

Welches sind Ihre Zukunftspläne?
Mein Wunsch ist es, solange ich es kann, das Antiquariat weiterzuführen. Ich brauch es, her zu kommen. Durch die Arbeit hier bereite ich anderen eine Freude. Kunden finden hier gute Bücher und kehren zurück, um auch andere zu kaufen und sich mit mir zu unterhalten. 
Beim 25. Jubiläum habe ich versprochen, in den Laden zu kommen, auch wenn ich mit Stock gehen werde.

Vielen Dank für das Gespräch!