„Das Gesamtbild im Auge behalten“

Über die Trennung Covid-kranker Mütter von ihren Neugeborenen

Bonding ist sehr wichtig für das Baby und für die Mutter. Symbolfoto: pixabay

Fast 700 Mal wurde der Facebook-Status einer zukünftigen Mutter im sozialen Medium geteilt. Dutzende Frauen äußern sich zu Ana Szabadszalasis Beitrag, eine aufbrausende virtuelle Diskussion ist im Gange. Ana soll in wenigen Wochen entbinden. Sie malt sich aus, wie sie ihr Baby zum ersten Mal in den Armen halten wird, seine Haut riechen und es stillen wird. Dieses idyllische Bild wird allerdings von der Angst beschattet, möglicherweise von ihrem Neugeborenen zwei Wochen lang getrennt zu werden. Das sind nämlich die Regelungen für Mütter, die mit SARS-CoV-2 infiziert oder verdächtig sind, angesteckt zu sein. Sie werden in getrennten Zimmern isoliert, bis zwei aufeinanderfolgende RT-PCR-Tests (in 24 Stunden) jeweils für Mutter und Kind negativ ausfallen. Mit dem Stillen darf erst nach der Genesung begonnen werden. Besuche von Angehörigen sind nicht gestattet. Ana ist nicht krank, doch sie fürchtet: was, wenn?

„So eine Erfahrung hinterlässt lebenslange Wunden. Dutzende Schwangere, die in Rumänien positiv getestet wurden, oder wo der Verdacht einer Infektion besteht, erleben das täglich“, erklärt die Frau. In den zahlreichen Kommentaren auf ihrer Facebook-Seite wird die Methodologie des Rumänischen Gesundheitsministeriums, die am 30. März dieses Jahres aktualisiert wurde und seither gilt, als unmenschlich, herzlos, als Misshandlung abgestempelt.

WHO ermutigt das Stillen

Die Weltgesundheitsorganisation WHO, sowie etliche nationale und internationale Verbände, Vereine, Fachgesellschaften befürworten den unmittelbaren Mutter-Kind- und den Haut-zu-Haut-Kontakt, auch wenn Verdacht oder eine Infektion besteht. Dass dabei adäquate Hygienemaßnahmen eingehalten werden müssen, wird betont. Außerdem wird ausdrücklich für das Stillen plädiert, dieses soll unterstützt und ermöglicht werden, heißt es bei der WHO. „Das Risiko einer Übertragung von SARS-CoV-2 durch Muttermilch ist weiterhin unklar, aber unwahrscheinlich“, steht auch auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V.. Das Update auf dessen Internetseite (dggg.de) stammt vom Oktober 2020 und wurde im Konsens mehrerer Deutscher Gesellschaften, wie jener für Perinatale Medizin, für Gynäkologie und Geburtshilfe, für Pränatal- und Geburtsmedizin, für Pädiatrische Infektiologie, für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin und der Nationalen Stillkommission, getragen.
Die Methodologie in Rumänien ist eine gemeinsame Entscheidung der Kommission für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Kommission für Neonatologie des Gesundheitsministeriums.

Brief an Orban und Tătaru

Die Vorteile des Zusammenseins von Mutter und Baby sind bekannt, zu ihnen zählen neben der Ernährungsfunktion auch der Aufbau einer emotionalen Verbundenheit, die für eine normale psycho-soziale Entwicklung sorgt. „Könnt ihr euch vorstellen, euer Baby erst nach mehreren Tagen nach der Geburt zu Augen zu bekommt? Ich versuche es und mir wird bange“, fährt Ana Szabadszalasi fort. Sie hat Premierminister Ludovic Orban, Gesundheitsminister Nelu Tătaru und der Leiterin der Kommission für Neonatologie des Gesundheitsministeriums, Simona Vlădăreanu, einen offenen Brief geschrieben, in dem sie die Änderung dieser Empfehlungen verlangt. Szabadszalasi will auch eine Petition starten.

Im Kontext denken

„In Wirklichkeit ist der ungetrennte Kontakt von Mutter und Baby in Rumänien ein glückliches Ereignis, nicht eine Regel. Professionelle Betreuung im Stillbereich in Krankenhäusern ist ein Märchen“, sagt Hebamme und internationale Stillberaterin Adina Păun. Sie setzt sich für eine natürliche Geburt, für das Zusammensein der Wöchnerin mit ihrem Kind ein, unterstützt den Konsum von Muttermilch. Seit Jahren fährt sie in benachteiligte Gemeinden, um Frauen zum Thema Schwangerschaft, Geburt, Stillen und Pflege aufzuklären. Sie kennt die Realität im ländlichen Bereich sehr gut und weiß, dass die Bedingungen, ein Baby zur Welt zu bringen, nicht überall gut sind, vielerorts gar schlecht. Viele der Frauen, die sie bei ihren Besuchen getroffen hat, können nicht lesen, andere sind nicht gewöhnt, Hände zu waschen, haben keine Seife, andere wiederum müssen ihre Babys mit Kuhmilch oder unreinem Brunnenwasser füttern. Ob Covid-19-Patientinnen aus solchen Gemeinden und Dörfern ihre Säuglinge den Anleitungen der WHO gemäß pflegen würden, um ein Übertragungsrisiko zu minimieren, fragt sich Păun. Meist warten mehrere Kinder zu Hause darauf, ernährt zu werden. Da ist das Zu-Zweit-Sein im Krankenhaus wohl keine Priorität. Landesweit finden etwa 60 Prozent der Geburten im ländlichen Gebiet statt.

Medizinische Bedingungen

Die medizinischen Bedingungen, die in rumänischen Krankenhäusern vorhanden sind, können Rooming-In (gemeinsames Unterbringen von Mutter und Kind im selben Zimmer im Krankenhaus oder auf einer Säuglingsstation), sowie Betreuung nicht sichern. Das konnte es auch vor der Pandemie nicht, erst recht nicht jetzt, wo Ansteckungsgefahr herrscht. Landesweit gibt es nicht einmal 20 Geburtskliniken, entbunden wird in „Gynäkologie und Geburtshilfe“-Abteilungen von Spitälern. Die Ressourcen sind beschränkt. Mangel an notwendigen Geräten wie Brutkästen, Beatmungsgeräten oder Brustpumpen, aber auch des ärztlichen Personals stellen bereits seit Jahrzenten ein Problem dar.

Unter diesen Bedingungen könne man jetzt nicht an eine Reform im Bereich „Geburt und Stillen“ denken. Prioritär sei, dass Mutter und Neugeborenes, aber auch das Personal gesund sind und die Krankheit nicht weiter übertragen wird.
Die Methodologie des Gesundheitsministeriums wurde für alle Schwangere entworfen, aus städtischen und ländlichen Gebieten, die aus guten aber auch aus benachteiligten Umfeldern stammen und könne nicht vereinzelt angepasst werden. Auch wenn die persönliche Erfahrung in Corona-Zeiten durch diese Regelung beeinträchtigt sein wird, was bedauerlich sei, müsse verstanden werde, dass diese unangenehme Situation eine Folge des schwachen Gesundheitssystems ist und dass ein jeder sich für dessen Verbesserung einzusetzen hat, um dergleichen in Zukunft zu vermeiden.