Das goldene Quecksilber

Myriam Hermel-Șestacova ist doppelte Weltmeisterin in Karate

Mit neun Jahren hat die Schülerin des Nationalkollegs „Johannes Honterus“, Myriam Hermel-[estacova, Anfang November diesen Jahres die größte Anerkennung bei der 8. Auflage der Fudokan-Weltmeisterschaft im Sindelfinger Glaspalast (Deutschland) erhalten: zwei Goldmedaillen in ihrer Kategorie (8-9 Jahre) in den Karate-Disziplinen Kihon und Kumite. Dazu kommen eine Silbermedaille in Enbu, zusammen mit ihrem Vereinskollegen Fabian Alessio Spătaru und eine Bronzemedaille in Kata. Mehr als 1700 Sportler aus 39 Ländern haben am sportlichen Ereignis teilgenommen. „Ich mache Karate seit dem 20. August 2017“, erklärt die Viertklässlerin ganz selbstbewusst. Sie erinnert sich genau an den Tag, an dem sie begonnen hat, diese Kampfkunst auszuüben. „Ich war neugierig zu sehen, was Karate ist, die Tochter einer Freundin meiner Mutter machte Karate. Ich habe ein Training gesehen, es hat mir gefallen und seitdem übe ich Karate aus“. Vier Mal die Woche trainiert sie während der Schulzeit im „EnergyFit Karate“-Klub in Kronstadt, in den Ferien täglich. Mit konzentriertem Blick und genau einstudierten Bewegungen macht sie die Übungen, die Sensei („Trainer“ auf Japanisch) Cătălin Petre auf Japanisch gibt, ist voll und ganz beim Training dabei. Die Kraft, die sie hat, sieht man ihr an. Dabei ist Myriam ein Mädchen mit langen Haaren, leuchtenden Augen und einem warmen Lächeln, das in einem rosafarbenen Kleidchen wohl wie eine Prinzessin aussehen würde. In den zwei Jahren hat sie Dutzende Medaillen gewonnen, nimmt an zahlreichen Meisterschaften im In- und Ausland teil. Zuletzt ist sie Anfang Dezember bei dem Brașov Cup 2019 in Sankt Georgen aufgetreten, zu dessen Eröffnung sie Klavier gespielt hat. Außer Karate lernt sie nämlich als externe Schülerin bei der Musikschule in Kronstadt Klavier spielen – sie hat sich das sehr gewünscht, nachdem sie ihres vollen Programms wegen die Teilnahme am Canzonetta-Chor unterbrechen musste. Ob es ihr nicht zu viel sei, könnte man sich fragen: morgens geht sie in die Schule, wo sie sehr gute Leistungen aufweist, zwei Mal wöchentlich hat sie  Klavierunterricht und ansonsten Karate-Training. „Nein, sie schafft das locker! Sie wünscht sich das und sie kann das“ erklärt ihr Vater, Edmond Hermel. Tatsächlich scheint Myriam unermüdlich zu sein, ist sogar an Wochenenden aktiv, wenn sie mit der Familie und ihrem Hund Mini lange Wanderungen unternimmt.  


Ehrgeiz und Wille
Doch welches ist das Geheimnis dieses Kindes, wie schafft es, all das unter einen Hut zu bekommen, wie schafft es, all das gut zu machen? „Ehrgeiz! Und Wille“ - das hat Myriam, sagt ihr Trainer. „Man kann nicht 100 prozentig von Talent sprechen, es ist ein bisschen von jedem, doch vorwiegend geht es um Arbeit und Disziplin… und um ihre Einstellung“. Die hier erlernten Prinzipien dieser traditionellen Kampfkunst, welche Respekt, Disziplin, Selbstkontrolle und Konzentration lehren und die Harmonie von Körper und Geist anstreben, übertragen sich auch auf den Alltag, weiß Sensei Petre. „Manche verstehen das und eignen es sich an, andere nicht, letztere machen einfach nur Bewegung. Myriam nimmt das alles ernst, sie macht es gründlich“ fügt er hinzu, deswegen gelingt ihr auch alles, was sie sich vornimmt.
„Meine Tochter hat sich im Bereich Selbstkontrolle und Disziplin sehr verändert, seit sie Sport treibt. Sie weiß ganz genau, was gut und was nicht gut für sie ist und mittlerweile trifft sie alle Entscheidungen, die sie betreffen, selbst“, hat ihr Vater bemerkt. Zusammen mit seiner Frau Ana [estacova unterstützen sie die Tochter in deren Wahlen, finanzieren alle Reisen und Teilnahmen an den Wettbewerben, die Trainingcamps, unterstützen den privaten Karate-Klub und wollen sich gemeinsam mit Petre und anderen Eltern dafür einsetzen, dass Karate, genau wie die olympischen Sportarten, von den Behörden unterstützt wird.


„Hier bilden wir Menschen, nicht Leistungssportler“
Die Schüler von Sensei C˛t˛lin Petre haben im Laufe der Jahre schon zahlreiche Medaillen gewonnen, von denen die wichtigsten Myriams letzte Errungenschaften sind. Doch sieht der dreißigjährige Sportler den Wettbewerb nur als Mittel, um ehrenhafte Fähigkeiten zu entwickeln und vor allem eine Methode für die Kinder, ihr Können und Wissen zu überprüfen. „Bei Wettbewerben treten sie nicht gegen einen Gegner an, sondern gegen sich selbst. Hier überprüfen sie ihren Fortschritt im Vergleich zum letzten Mal“. Dass sie besser als vergangene Woche sind, ist nicht nur im Karate wichtig, sondern auch für das Leben, das Verhalten und den Charakter der kleinen Karateka, denn „hier bilden wir Menschen, nicht Leistungssportler“, ist Sensei Petre der Meinung.
Die von Petre unterrichtete Stilrichtung des Karate Do ist Shotokan-Fudokan, eine traditionelle, die auf die externen Mittel wie Faust-, Fuß- oder Kopfschutz verzichtet. Fudokan ist eine Weiterentwicklung des Shotokan Karate und bedeutet soviel wie Haus der stabilen Fundamente (aus dem Japanischen: Fudo = Stabilität oder Fundament und Kan = Halle oder Haus). Nichtsdestotrotz werden die Karateka aller Stilrichtungen zu einer friedfertigen Haltung erzogen, wobei körperliche Gewalt nur als letztes Mittel zur Selbstverteidigung angewendet werden darf. „Shotokan-Fudokan-Karate ist außergewöhnlich, denn es ist traditionell. Wenn wir gegeneinander antreten, nähern wir uns,  rühren uns aber nicht an“, erklärt das Mädchen die Choreographie, die sie mit ihren Vereinskollegen beim Training übt.
Auf Myriams Verdienste sind nicht nur ihr Trainer, die Vereinskollegen und die Familie stolz, sondern auch ihre Klassenkollegen und ihre Lehrerin Marianne Kelemen. Die Schüler, die hervorragende außerschulische Leistungen aufweisen, werden immer eingeladen ihre Diplome, Medaillen oder Pokale vor der Klasse zu zeigen, über den Wettbewerb und die Sportart, die sie verrichten zu erzählen. Als Myriam im vorigen Jahr Europavizemeisterin bei den Europameisterschaften in Portoroz (Slowenien) wurde, ehrten sie ihre Kommilitonen mit einem großen, goldenen Pokal, der nun neben den anderen Auszeichnungen im Kinderzimmer der kleinen Meisterin steht. „Myriam holt nach, wenn sie fehlt, sie ist fleißig, hilfsbereit gegenüber den Kollegen. Voll Energie ist das Kind. Sie ist Quecksilber“, sagt ihre Lehrerin stolz.


Oma ist die beste Freundin
Astrid Hermel, die uns als langjährige Antiquarin bekannt ist, ist seit Myriams Geburt der Familie ihres Sohnes Edmond immer nahe gewesen, hat oft auf die Kleine aufgepasst, sodass Enkelin und Großmutter eine „ganz besondere Beziehung“ zueinander haben, erläutert Edmond die offensichtliche Bindung. Myriam und ihre Oma sitzen daneben und lachen. „Wenn sie zu mir nach Hause kommt,  sehe ich aus wie der Struwwelpeter, sie spielt gerne in meinen Haaren, wir raufen im Bett, ich liege auf dem Rücken, biege die Knie und sie legt sich darauf und fliegt wie ein Flugzeug. Wir machen alles zusammen“, sagt Astrid Hermel. Gerne erinnert sie sich daran, wie ihre Enkelin als Baby im Bücherladen in ihrem Körbchen schlief, später dann zwischen Bücherregalen krabbelte und mit Büchern spielte. Auch heute liest das Mädchen gerne, am liebsten „Harry Potter“, und kommt gerne zu Oma ins Antiquariat zu Besuch. Zu Hause spielt sie gerne mit ihren Hunden Mini und Leya, bewundert ihre Plüschtiere, oder spielt Klavier.
Myriam wünschen wir viel Erfolg in ihrer weiteren Sportlaufbahn und fröhliche Festtage!