„Den Flammen blieb nichts vorenthalten“ (III)

Aus den Tagebuchaufzeichnungen über den Großen Brand in Kronstadt von 1689 von Marcus Fronius in deutscher Übertragung von Lore Wirth-Poelchau

Es gibt Leute die beobachtet haben, wie in jener unseligen Nacht sich unter die kommenden und gehenden Menschen auch solche daruntermischten, die drei oder vier Mal am frühen Morgen schwer bepackt aus der Stadt gingen, manche sind jetzt auch reich, die bis vor Kurzem, wie man weiß, arme Schlucker waren. Als ich etwa um Mitternacht in die Stadt hineinging, habe ich keine Diebstähle gesehen, hatte aber auch keine Gelegenheit, zwischen den überall züngelnden Flammen überhaupt etwas zu sehen; mein eigenes Haus fand ich aber so vom Feuer heimgesucht, dass ich kaum annehmen kann, irgend etwas wäre von dort in anderer Leute Besitz übergegangen: Orgel, Harfe, Klavichord, Truhe, Sessel, Kästen, Bücher – nichts unterschied sich mehr durch Farbe oder einstiges Material, alles war nichts als Feuer und den Flammen blieb nichts vorenthalten. Und zu meinem Entsetzen ist nicht das kleinste Stückchen übrig geblieben, von allen Schriftseiten fand ich nicht eine einzige halb verbrannte kleine Seite mehr! Nichts als Asche!

 Zugleich ging so viel Getreide zugrunde, wie ich nicht geglaubt hätte, dass davon in der Stadt vorhanden war, nicht einmal, wenn es mir ein absolut zuverlässiger Mensch gesagt hätte. Ich weiß nicht, ob irgend ein Haus ohne Vorräte war. Wer durch die Straßen ging, dem wurde das offenbar. Viele tausend Eimer waren es, und nur ganz wenig, wenn überhaupt etwas, blieb von dieser großen Menge übrig. Das jüngst vergangene Jahr hatte eine überaus reiche Ernte erbracht, sodass die Bauern, von denen man glaubte, dass sie in ganz untilgbaren Schulden steckten, und die keine Hoffnung mehr gehabt hatten, sich je daraus zu befreien, dass diese, sage ich, ihren Gläubigern Genugtuung leisten konnten. Gott hatte viel gegeben, um viel wegzunehmen.

Und nicht allein die Stadt litt unter dem großen Unglück; viel Getreide und Wertsachen hatten außer den Bauern gerade auch die Adligen wie zu Schutzgottheiten hierher gebracht. Für viele ging vieles verloren, vieles verlor auch der einzelne. Wenn es irgendwo möglich schien, etwas vor den Flammen zu retten, und wenn auch welche da waren, die das tun wollten, dann legten sie doch keine Hand an, und zwar deswegen, damit man sie nicht vor Gericht stellte, wenn auf irgendeine Weise etwas verloren gegangen wäre. Auch dies werden die Ungarn ihrer Ungerechtigkeit zuzurechnen haben, dass diejenigen, die in der Lage dazu waren, nicht wagten, sich zum Nutzen für andere einzusetzen. Denn die Sachsen, die man bis dahin allzu hart behandelt hatte, sind mitunter gezwungen worden, sich in nicht wirklich gerechtfertigten Fällen zu verantworten. Und vor dem Jahre, das gerade heute seinen Umlauf abschließt und

/421/ an den gleichen Punkt des Kreises zurückkehrt, sind einige aus der wütenden Volksmenge, die in das Haus eines Zolleinnehmers eindrangen, nach einer gerichtlichen Untersuchung in den finsteren Kerker gestoßen worden, nicht nur die, die sich vergangen hatten, sondern auch die, die dabeigestanden hatten, und natürlich auch solche, die nur irgendwie den Fuß über die Schwelle gesetzt hatten. Es nützte ihnen auch nichts, wenn sie gekommen waren, um den Aufstand zu verhindern. Dabei gewesen zu sein bedeutete angeklagt zu sein.

Mittlerweile ist gegen sie weder Anklage erhoben worden noch hat man sie vor Gericht gestellt, angehört oder überführt, sondern sie sind der Willkür dessen überlassen worden, der selbst Führer und Fackelbrand des Aufstands gewesen war und man hat sie mit einer für Christen unerhörten Grausamkeit bestraft, wozu der Senat sich nicht einmal äußern konnte. Wenn es also ein Kapitalverbrechen ist, die Sachen der Ungarn anzurühren, und wenn das so viel kostet, dann wollten die Unsrigen lieber zusehen, wie das deutsche Feuer gegen den ungarischen Besitz wütete, als mit so hohen Kosten und mit Gefahr für ihr Leben zu bezahlen. Wenn jemand hätte Hand anlegen wollen, brachten ihn die anderen mit lauten Zurufen davon ab.

Also brannte das, was zu berühren als Unrecht galt. Ich verweile noch bei dieser Nacht. Da kam es mir in den Sinn, wie und warum Gott einige hat verschonen wollen. Es ist wohl laut geschrien worden, dass, wenn jemand das Haus des Sinonius (er ist Pastor in Zeiden) gerettet hätte, er einige hundert Gulden oder einen Teil der geretteten Habe erhalten würde. Unverzüglich ist von Herbeieilenden Hilfe geleistet worden, das Haus ist gerettet worden, ob auch das, was versprochen worden war, weiß ich nicht. Daraus ist zu ersehen, wie wir Menschen beschaffen sind und wie wir immer gewesen sind.

Sinonius gehört aber zu denen, die mit Recht ein Vermögen besitzen, den Gott als Sohn eines Bauern emporgehoben und über das Volk gesetzt hatte und den er, ausgezeichnet durch Wissen und Würden, der Kirche von Tartlau vorangestellt und mit einem stattlichen Hausstand beschenkt hatte, ihn dann zum Schwiegersohn des überaus reichen Richters Draudt machte und in seiner Heimatgemeinde Zeiden einsetzte. Nach dem Tod seines Schwiegervaters besaß er allein dessen Vermögen mit drei Anteilen. Ebenso wie Gott wollte, dass er wohlhabend sei, so auch, dass er es bleibe. Aber von den übrig gebliebenen Draudtschen Schätzen ging, soviel ich weiß, auch nur weniges zugrunde.

In gleicher Weise übte Gott noch bei mehreren Nachsicht und rettete ihre Geldbeutel und nahm ihnen nichts außer den Dächern ihrer Häuser, Man könnte sie für heiliger halten als die anderen, wenn ihr Leben nicht dagegen spräche. Ich habe gesehen, wie sie zu Hause ihre Dinge geordnet hatten und die Stadt verließen und wie sie dann, als sie die Trümmer der Stadt und das Wüten der Flammen sahen, beim Wehklagen der Unglücklichen und beim Anblick der bleichen und notdürftig bekleideten Frauen nur lächelten. Ich füge nichts hinzu. Genug des Frevels. Das meiste in der Stadt aber verbrannte so, dass man kaum noch drei oder vier Dächer sah. Vielen ist nichts geblieben als die Kleider in denen sie flüchteten. Also fehlt vielen das Notwendigste zum Leben.   

Deswegen verließen nicht wenige die Stadt und gingen in die Landbezirke. Der Amtsverweser der kaiserlichen Truppen in Friedenszeiten aber ließ unseren Henker sich an den öffentlich auf dem Marktplatz errichteten Galgen stellen und übergab ihm die Stricke mit dem Befehl, jeden Soldaten aufzuhängen, der beim Stehlen ergriffen würde. Doch ist bis jetzt keiner am Galgenholz gestorben. Einer von ihnen ist gefasst worden, der sich eifrig als Dieb betätigte: den hatte sich ein nichtsnutziger Goldschmied als Gefährten herangeholt und in den Keller des Paul Klusch geführt, bei dem er bislang gearbeitet hatte; sie nahmen daher Kleider und anderes mit. Der Diebstahl wurde bekannt und der Dieb wurde ergriffen, doch keiner kam bis jetzt zu Tode. Am nächsten Tag sind einige Wachtposten hier aufgestellt worden und zwar so, dass, ich weiß nicht nach welchem Beschluss, nicht einmal der Hausherr Zutritt zu seinem Hause hatte. Ich glaube, man sagte, dass dies ohne Befehl von oben irgendwo beschlossen worden ist, wo man meinte, dass sich bisweilen jemand in den Kellern verborgen und dort nach Belieben gehaust habe.

(Fortsetzung folgt)