„Den Flammen blieb nichts vorenthalten“ (V)

Aus den Tagebuchaufzeichnungen über den Großen Brand in Kronstadt von 1689 von Marcus Fronius in deutscher Übertragung von Lore Wirth-Poelchau

Eine vielsagende Geste: Die unmittelbar nach dem Brand von den Kronstädtern an die Gymnasialbibliothek gespendeten Bücher wurden im Ober-schnitt mit einem Brandstempel versehen, der das Kronstädter Wappen zeigt.
Foto: KR Archiv

Ein Walache, ein einfacher Mann, erzählt, dass nur  wenig gefehlt hätte und er wäre durch eine herunterfallende Feuerkugel umgekommen, der er an dem Tage des Brandes nur durch ein Ausweichen mit dem Kopf entgangen sei. Und derselbe behauptet auch gesehen zu haben, wie sowohl an anderen Stellen als auch auf die hoch aufragende Kirche Feuerkegel darauf geschleudert worden seien. Was aber nach dieser unsagbar traurigen Verwüstung geschehen ist, das wollen wir nun mit weniger Wollen darstellen.

Zum öffentlichen Gottesdienst versammelten wir uns vor dem Hause des Rektors unter den verkohlten Linden und unter freiem Himmel wurde sogar etwas gesungen und darauf sind, an einem Tisch, den man in die Mitte gestellt hatte, die Klagelieder des Jeremias gelesen worden. Ein paar Tage später strömte die Gemeinde in das Auditorium zusammen, das unter der Bibliothek lag und drängte sich an den Fenstern und an der Tür zusammen. Der ehrwürdige Bolthosch hielt als Erster eine Predigtansprache am Sonntag Cantate, danach der ehrwürdige Wagner am Sonntag Jubilate. Als aber Regen fiel und das Wasser durch die Deckentäfelung tropfte, ging man in den Hörsaal der Knaben, der unter der größeren Schule liegt, doch auch da war man nicht sicher vor dem tropfenden Wasser. An Sonntagen wird hier eine Predigt gehalten, an anderen Tagen wird nur ein Text aus der Bibel vorgelesen.

Beide Richter (von denen der eine zur Zeit des Brandes nicht da gewesen war) reisten zum Fürsten und erhielten von ihm Abgabenfreiheit für vier Jahre, und das Gleiche hat, wie wir glauben, auch der Römische Kaiser zugestanden, und zwar damit das, was in der Zwischenzeit an Steuern aufgebracht würde, dem Wiederaufbau der Kirche zugute käme. Es heißt, Graf Veterani der Kommandeur des hier überwinternden Militärs, habe 14 Jahre Steuerfreiheit zugestanden im Namen des Kaisers, doch seien die übrigen Mitglieder unserer Nation nicht einverstanden gewesen; die Gründe dafür sind nicht schwer anzugeben. Was man nämlich einer der Städte großzügig erlässt, das zahlen die übrigen Nationsangehörigen. So, sagt man, sehen die Tatsachen aus, ganz frei von Zweifel sind sie nicht. Weiterhin glaubt man, dass Graf Teleki 2000 Florentiner Gulden für den Wiederaufbau der Stadt versprochen hat, 8000 die übrigen Provinzialen zusammen. Ebenso viel ist für die kommenden zwei Jahre allein dem Valentin Plecker abgenötigt worden.

Im Übrigen sind die Bürger damit beschäftigt, mit richtig angeordneten Brettern ihre Häuser vor dem Regen zu schützen. Denn nach ein oder zwei Tagen von ungewöhnlicher Hitze trieb der Sturm die Wolken zusammen, was zu sehr kalten Regenfällen führte, schließlich sogar zu Schnee, so dass nur in seltenen Fällen jemand in seinem Hause einen Platz zum Wohnen, Essen oder Schlafen hatte, weil die Kellerräume unter der Erde das Regenwasser nicht genügend abhielten und die Gewölbe allenthalben zertrümmert waren. Nur wenige sind mit einem Vorrat an Schindeln versorgt und haben die Möglichkeit, im Trockenen zu hausen.

/ 424/ Doch daraus entstehen neue Ängste. Denn die Masse der einfachen Soldaten verhöhnt voll Schadenfreude die Unglücklichen und streut dazu überall und ungeniert das Gerücht aus, dass die Häuser, die sie wieder eingedeckt hätten, sogleich vom Militär beschlagnahmt werden würden; und diese Reden werden dadurch glaubhaft, dass die, die aus der Stadt gegangen waren, nach wenigen Tagen zurückkehrten und sich in den Wehrgängen der Basteien niederließen und dass die einen wohl um gastliche Aufnahme nachsuchten, andere unter ihnen auch ein unversehrt gebliebenes Haus besetzten.

(...)

Einstweilen ist das Aussehen der Stadt noch immer trostlos und durch Kälte und Regengüsse gleichermaßen heruntergekommen, und man sieht nur wenige Häuser, die durch einen Überbau von Brettern geschützt sind. Die Kirche liegt offen da, und häufige und fast unaufhörliche Regenfälle strömen in die Ruinen, das Gewölbe fällt mal hier, mal da in Brocken herunter. Das Gewölbe des Chores war noch ganz und konnte wie unbeschädigt erscheinen; während es von den Walachen gereinigt wurde, zerbrach es beinah unter ihren Füßen und stürzte ein, weil die tragende Säule ihm nicht genügend Halt bot, die noch jetzt in den Trümmern aufrecht steht. Und ich fürchte, dass nicht nur das ganze Gewölbe der erhabenen Kirche einstürzen wird, sondern auch die Mauern, obwohl sie sehr stark sind, die aber, wie ich glaube, irgendwann durch ein Erdbeben erschüttert werden.

In einer gewissen Vorahnung fürchte ich nämlich das Äußerste und bin stillschweigend durch die Betrachtung der gegenwärtigen Situation zu der Überzeugung gelangt, dass Gott uns zürnt und uns vielleicht sein heiliges Evangelium und das Licht der Philosophie nehmen wird. Dass nämlich außer der öffentlichen Bibliothek und den Büchern der meisten Menschen auch die drei Kirchen in der Stadt brannten mit den Türmen und Glocken und Turmuhren und allen möglichen heiligen Gegenständen, ja sogar die Epitaphien in den Kirchen, was sollen wir daraus entnehmen? Die Kirche aber der Kaiserlichen und ihre Orgel brannte nicht, weshalb jene sagen: „Was ist nun mit eurem Gott? Unsere Herrin aber – damit meinen sie Maria – hat unsere Kirche geschützt und ihr gebührt die Ehre.“ Was denn? Dass Gott mit dieser traurigen Feuersbrunst alle unsere Reserven aus den Winkeln ans Licht gezogen hat und das, was bis dahin verborgen gewesen war, alles dem fremden Volk zeigte, als wenn er den Löwen zur Beute einlüde, dem er schon einiges von den Dingen zugeteilt hat, deren Besitz wir nicht aufs Beste genutzt haben.

/425/ Ich glaube der Frau des Kaiserlichen, die sich mit ihrem Mann bisher dem Fleischhauerhandwerk widmete  und  als  sie  neulich  an unserem Haus vorbeiging, sagte: „Ich erflehe nichts anderes, als dass wir nach Hause geführt werden; für mich und die Kinder ist es genug und so viel, dass es für das ganze übrige Leben ausreicht.“ Sie überlässt also die Fleischhauerbank jetzt anderen. Was von den Großvätern, Vorfahren und Ahnen angehäuft worden ist, endlich durch Erbschaft in den Besitz eines Einzelnen gekommen war, ist in einem Augenblick zerstört worden. Wir haben das Schicksal Trojas erlitten!

(Schluss folgt)