„Dichtet, Übersetzer, dichtet“!

Hermannstädter Tagung über die Schwierigkeiten des Übersetzens

Joachim Wittstock und Nora Iuga

Prof. h.c. Dr. Stefan Sienerth

Prof. h.c. Dr. Peter Motzan

Prof. Dr. Horst Schuller
Fotos: Elke Sabiel

Am 24. und 25. Mai fand in Hermannstadt/Sibiu eine Fachtagung „Begegnungen im deutsch – rumänischen Kulturfeld, Schriftsteller versus Übersetzer“ statt. Die Germanistikabteilung der Lucian-Blaga-Universität Sibiu, hatte in Zusammenarbeit mit dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, IKGS, München, zahlreiche Experten und Schriftsteller aus dem In- und  Ausland eingeladen, um dem anwesenden Teilnehmerkreis die Schwierigkeiten des Übersetzens, die Einsamkeit des Übersetzers sowie die Notwendigkeit des Austauschs zwischen Schriftsteller und Übersetzer zu Verständnisfragen nahe zu bringen.

Ein gelungener Einstieg war dazu der Beitrag von Prof. em. Dr. Jürgen Lehmann, Jg. 1940. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört  u.a. ‚Deutsch-russische literarische und kulturelle Beziehungen; Paul Celan; Die literarische Übersetzung. Im Mittelpunkt seines Referats „Anmerkungen zur Theorie und Geschichte der literarischen Übersetzungen“ stand der Hinweis, dass es zwar bereits im Mittelalter Übersetzungen gab, aber erst durch die Bibelübersetzung im 16. Jh. von Martin Luther kam die Erkenntnis, dass Übersetzungen eine ungeheuere Bereicherung für den gesamten Literatur- und Kulturbereich sein würden. Denken wir nur an die Prosaübersetzungen von 22 Shakespeare-Stücken durch Chr. M. Wieland im 18. Jh., denen 30 Jahre später die ersten deutschen Versübersetzungen durch A.W.v Schlegel folgten.
Wie artikuliert der Übersetzer Fremderfahrungen? Wie geht er mit Verständnisfragen um, z.B. mit dem argentinischen Wort „gaucho“? Kaum übersetzbar, zumal vielfache Deutungen zur Verfügung stehen: Viehtreiber, Gitarrist, Sänger.

Prof. Dr. Horst Schuller, Jg.1940, langjähriger Kulturredakteur der ‚Karpatenrundschau‘, sowie nach der Wende auch Hochschulprofessor am Germanistiklehrstuhl der Lucian-Blaga-Universität, erläuterte in seinem Beitrag „‘Bestehendes gut gedeutet’ – der Übersetzer Paul Celan und seine Rumänien Dimension“, die Spannbreite der Übersetzungen, von der Lyrik bis zum Kriminalroman. Sechzig Autoren übersetzte er, u.a. Franz Kafka. Die russische Sprache sagte ihm sehr zu.

Bei seinen Übersetzungen aus dem Rumänischen fällt die karge Wortwahl auf; dies erklärt sich, da Celan die rumänische Sprache nur aus den Arbeitslagern kannte. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Celan 1969 Oskar Pastior als Übersetzer dem Suhrkamp-Verlag empfahl. „Man übersetzte aus Liebe zum Schönen“ !
Aus Zeitmangel konnte Horst Schuller seinen zusätzlichen, aufschlussreichen Text „Der bessarabische Teppich“, über politische Ursachen zeitweiliger Entfremdung und Ablehnung, die auch Celans Übersetzungen aus dem Rumänischen mitbestimmt haben mögen, nicht mehr verlesen. Es geht um einen Brief vom Juni 1965, in dem Celan der Buchhändlerin Edith Hübner für das Geschenk eines bessarabischen Bauernteppich dankt.

Ernest Wichner, Jg. 1952, geboren in Guttenbrunn/Banat, lebt seit 1975 in Berlin, wo er Germanistik und politische Wissenschaften studierte. Seit 2003 leitet er das Literaturhaus Berlin. Er kam auf Alexandru Vona (1922 – 2004; eigentlich Alberto Samuel Bejar  y Mayor) zu sprechen, der aus einer sephardischen, mit Elias Canetti verschwägerten Familie stammte, und  der mit 25 Jahren seinen berühmten Roman „Das Haus der vermauerten Fenster“ schrieb (1993 in Rumänien, und erst 1997 auf Deutsch erschienen),wobei sein literarisches Vorbild M. Blecher (1909 – 1938 ) war, ein jüdisch-rumänischer Schriftsteller, den Ernest Wichner wieder entdeckte. Sein erster Roman ‚Aus der unmittelbaren Unwirklichkeit‘ , fand 1937 begeisterte Aufnahme. Auf Deutsch erschien er zwar 1990, kam jedoch erst in der Neuauflage bei Suhrkamp zu größerer Aufmerksamkeit.

Das Besondere an seiner Prosa ist der gänzlich unsentimentale Stil – ähnlich wie bei Kafka. In diesem Kontext fand auch der polnische Schriftsteller, Grafiker und Zeichner  Bruno Schulz (1892 – 1942) Erwähnung, der an der Übersetzung ins Polnische von Kafkas ‚Der Prozess‘ , lediglich als Berater beteiligt war.

Prof. h.c. Dr. Peter Motzan, Jg. 1946, der 1968 die dreisprachige Studentenzeitschrift  „Echinox“ mitbegründete, sprach in seinem Referat „Verordnete Weggenossenschaft: Eine Schule des Übersetzens, zur Präsenz rumänischer Gegenwartsliteratur in der Zeitschrift  ‘Neue Literatur’“. Unter dem Namen ‚Banater Schrifttum‘  wurde diese Literaturzeitschrift 1949 gegründet, und 1956 in ‚Neue Literatur‘  umbenannt, unter der Redaktionsleitung von Andreas A. Lillin (1919-1985). Nachdem der Redaktionssitz 1959 nach Bukarest verlegt wurde, übernahm Emmerich Stoffel (1913-2008)  die Chefredaktion der „NL“, die er bis zu seiner Pensionierung 1984, leitete. 1984-1988 folgte Arnold Hauser (1929-1988), und nach einigen Jahren der Vakanz in der Chefredaktion übernahm der Literaturkritiker und Übersetzer Gerhardt Csejka, Jg.1945, die Chefredaktion  bis 1999, wo die „NL“ , aufgrund von Finanzierungsengpässen,  ihr Erscheinen einstellen musste.

Die „NL“, finanziert vom rumänischen Staat, war der kommunistischen Kulturpolitik unterworfen, so dass das Übersetzen rumänischer Autoren ab 1948 zum Pflichtprogramm gehörte. 1960 erscheinen Prosatexte, u.a.  von Zaharia Stancu (1902-1974) und Marin Preda (1922-1981). Eine Gruppe jüngerer Übersetzer, wie z.B. Anemona Latzina (1942-1993), Helga Reiter, Jg. 1931, Paul Schuster (1930-2004), nutzen die sich anbahnende Liberalisierung der Kulturpolitik der 60er Jahre, um vorrangig jüngere Autoren zu übersetzen, wie z.B. Nichita Stănescu (1933-1983), Marin Sorescu (1936-1996) und Fănuş Neagu, Jg.32. Beinahe in jedem Heft waren rumänische Autoren vertreten; ihre Präsenz orientierte sich an den Urteilen kompetenter rumänischer Kritiker, jedoch hatten die Übersetzer durchaus Entscheidungsfreiheit. In diesen Jahren bringt die „NL“ zunehmend Texte aus dem Bereich der internationalen Literatur, vor allem aber deutschsprachiger Autoren der Gegenwart aus Ost und West.

Zwar  wurde der gesamten Kultur 1983 durch das Ceauşescu-Regime  ein rigoroses Sparprogramm auferlegt, jedoch erwirkte das Redaktionsteam der „NL“ weiterhin Entscheidungsfreiheit in der Auswahl der rumänischen Texte mit der Begründung, rumänische Literatur im Ausland bekannt zu machen.

Nach der Wende und der Aussiedlung zahlreicher Siebenbürger und Banater Intellektueller, haben zwischen 1990 und  2010 Persönlichkeiten wie Dieter Schlesak, Ernest Wichner, Georg Aescht, Gerhardt Csejka maßgeblich dazu beigetragen, dass die rumänische Literatur im deutschsprachigen Raum bekannt wurde. Um  J. W. v. Goethe zu zitieren: sie betätigten sich weiterhin als ‚geschäftige Kuppler‘ !

William Totok, Jg.1951, Gründungsmitglied der „Aktionsgruppe Banat“, Schriftsteller und Publizist, forscht seit 2004 in der Behörde CNSAS in ‚securitate‘-Akten. Die Securitate wurde im August 1948 nach dem Vorbild des KGB gegründet, arbeitete nach ihrer Umstrukturierung Anfang 1970 professioneller und vielfältiger.

Dem Teilnehmerkreis offenbarte er, dass die Sprache dieser Akten eine Sprache für sich sei, zumal sie auf den Vorläufer der ‚securitate‘ , also auf die Sprache der ‚siguran]a‘ zurück geht. Schon die unterschiedlichen Bezeichnungen der auf eine Person bezogenen Akten sei gewöhnungsbedürftig. Totok empfahl den Interessierten die Lektüre des Buches von Johann Lippet  „Das Leben einer Akte“, erschienen 2009 im Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg.

Prof. h. c. Dr. Stefan Sienerth, Jg.1948, Direktor des IKGS, München, sprach über „Neue Erkenntnisse zur Biografie und Werk von Harald Krasser“, auf der Grundlage seiner Einsicht in die ‚securitate‘- Akte von Krasser.

Harald Krasser (1906-1981), Sohn eines Arztes, studierte in Leipzig und Heidelberg Kunst- und Musikgeschichte. Er war ein Kenner der europäischen Literatur und ein begnadeter Redner. In den 50er Jahren pflegte er die Vortragstätigkeit in privaten Kreisen. Er geriet dadurch, und durch die Nennung von Heinrich Zillich (1898-1988), einen Schriftsteller, NSDAP-Mitglied und Vertriebenenfunktionär,  in den Focus des kommunistischen Regimes, das bis zu sechs Spitzel auf ihn ansetzte, und einen entsprechenden ‚dosar‘ (Akte) anlegte, der 400 Seiten umfasst. Sein literarisches Werk ist sehr schmal. Nach seiner Ausreise 1976 in die Bundesrepublik übersetzte er für die Presse rumänische Autoren, sowie ‚Das Wirtshaus der Ancu]a‘  von Mihail Sadoveanu.

Dr. Cosmin Dragoste, Universität Craiova, schrieb 2007 eine Monografie über Herta Müller: „Metamorfozele terorii“, erschienen im AIUS-Verlag. Er sprach über die schwer übersetzbare Lyrik des Philosophen, Dichters und Übersetzers Lucian Blaga (1895-1961) in der deutschen Übersetzung von Wolf v. Aichelburg und Ruth Herrfurth. Aichelburg, als hervorragender Kenner des Rumänischen, bleibt im lyrischen Duktus des Gedichts ‚Pan‘, während die Übersetzung von Herrfurth dem Gedicht einen anderen Hintergrund gibt.
Dr. Nora Căpăţâna, Universität Sibiu, sprach über den Lyriker und Dichter George Topârceanu (1886-1937) und seine humorvollen, satirischen Gedichte in deutscher Übertragung. Seine ersten Verse veröffentlichte er 1905, um dann 1911 auf Einladung des Kritikers Garabet Ibrăileanu (1871-1936) die Redaktionsleitung der ‚Viaţa Românească‘ in Iaşi zu übernehmen. Lyrik zu übersetzen heißt, aus einer poetischen Sprache in eine andere poetische Sprache zu übertragen. In den 70er Jahren wurden seine Gedichte von Helene Maugsch- Draghiciu, übersetzt, die, laut Căpăţână, dem unverwechselbaren, einzigartigen Klang der Originale nicht gerecht wurde.

Dr. Maria Sass, Universität Sibiu, Direktorin der Abteilung für Germanistische und Anglo-Amerikanische Studien, brachte Ştefan Octavian Iosif (1875-1913) den Dichter, Übersetzer und Mitbegründer des Rumänischen Schriftstellerverbandes, dem Publikum näher. Iosif übersetzte aus 13 Sprachen, und zeichnete sich durch multilinguale und kulturelle Kompetenz aus.

Sein Studium schloss er in Leipzig ab, was nicht überraschte, denn in seiner Familie wurde  deutsch gesprochen. Am liebsten übersetzte er Heinrich Heine, aber auch Mörike, Hölderlin, Goethe, Lenau und Carmen Sylva.

Der erste Tag dieser Tagung bot den Zuhörern neun (!) Referate an, denen zur Auflockerung in den Abendstunden zwei Autorenlesungen folgten: der bekannte Siebenbürger Schriftsteller Joachim Wittstock, Jg. 1939, las aus seinem neuen Buch „Die blaue Kugel – Erzählungen“, die im Anschluss von der bekannten Übersetzerin und Autorin, Nora Iuga Jg. 1931, aus der rumänischen Übersetzung ergänzt wurden.
Das Leben und Werk des Schriftstellers und Übersetzers Franz Hodjak, Jg. 1944, wurde von der Universitätsdozentin Dr. Maria Trappen vorgestellt, die auch die ins Rumänische übersetzten Gedichte vortrug. ‚. . . ich habe nie eine Heimat besessen, ich habe sie nie vermisst.‘ Hodjak würde am liebsten nur  Eugen Barbu (1924- 1993) lesen, aber Maria Trappen ließ sich nicht aus dem Konzept bringen, sodass Gedichte von  M. Blecher, Eugen Jebeleanu, Maria Banuş, Aurel Rău, Adrian Popescu und Ana Blandiana den Vortrag abrundeten.

Am Vormittag des zweiten Tages folgte der Beitrag von Dr. Doris Sava, Jg. 1971, Universität Sibiu, die über „Formeln des Überlebens in Absurdistan – Überlegungen zur Übersetzung allusiver Schreibweisen in der Kurzprosa von Stefan M. Gabrian“ sprach. Gabrian (1936-1997) debütierte 1973 mit einer Novelle, der fünf weitere Veröffentlichungen: Kurzprosa, Romane sowie satirische und phantastische Prosa folgten. Aus seinem satirischen Werk gibt es eine deutsche Übersetzung durch Reimar Ungar, die in der „Neuen Literatur“ veröffentlicht wurde. Gabrian beugte sich nicht den Autoritäten, und versuchte durch seinen anekdotischen Stil auf Probleme hinzuweisen sowie bürokratische Anweisungen der Lächerlichkeit preiszu geben. Mit ihrem Referat versuchte Doris Sava ihrem Onkel Stefan Gabrian ein Denkmal zu setzen, was ihr auch gelungen ist!

Das Kurzreferat vom Übersetzer und Literaturkritiker Gerhardt Csejka, Jg. 1945, „Kulturell übersetzen – okay! Wie geht das bei Caragiale?“  beschränkte sich auf die Erläuterung der Schwierigkeit beim Übersetzen eines Buches bis zu seiner Vermarktung. Im Blick auf die Übersetzung der Komödien von Ion L. Caragiale (1852-1912) verwies er auf das Referat von Doris Sava.

Dr. Günther Czernetzky, Jg. 1957, Filmemacher, Autor und Produzent, zeigte uns aus der Reihe seiner dokumentarischen Dorfporträts aus Siebenbürgen die Produktion „Die gute alte Zeit“. Die Dokumentarreihe wurde durch die Zusammenarbeit mit Studenten der Journalistikfakultät ermöglicht, und ist in erster Linie für Zweisprachler, rumänisch/deutsch, gedacht. Allerdings, die Untertitelung gestaltet sich sehr schwierig, da z.B. im Rumänischen sehr schnell gesprochen wird. Das heißt, dass die visuelle Ebene mit der Auditiven in Einklang gebracht werden muss.

Zum Abschluss hörten wir von den Schwierigkeiten, die beim Forschungsprojekt „Das Jahr 1556  – die ersten deutschen Texte der Sitzungsprotokolle des Hermannstädter Magistrats und ihre Übersetzung ins Rumänische“ auftauchen. Denn die unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen bereiten den Übersetzern große Schwierigkeiten, u.a. durch den überladenen Satzbau, die schwer zu entziffernde Handschrift und den archaischen Wortschatz. Die Universitätsdozentinnen Dr. Ioana Constantin und Dr. Carmen Popa ermöglichen mit diesem Projekt einen tiefen Blick auf die Stadtgeschichte Hermannstadts.

Und von Lăcrămioara Popa, Universität Sibiu, hörten wir aus dem Leben  und Werk von Hans Diplich (1909-1990), dem Banater  Dichter und Schriftsteller, der durch seine vielfältigen Veröffentlichungen in Form von Nachdichtungen, Monografien, donauschwäbischen Sagen und Legenden, seiner Heimat ein Denkmal setzte. Aus Anlass seines 105. Geburtstags im Februar kommenden Jahres, wäre es an der Zeit, das Leben und Werk des Dichters Hans Diplich in einer Festveranstaltung zu würdigen.

Ein Fazit: Der Übersetzer muss darauf achten, dass er die fremde Sprache in seine „einschmelzt“,  dass seine Technik variieren sollte, nämlich entweder seitenweise vorgehen, um neugierig zu bleiben, oder das ganze Buch durchlesen und übersetzen. Es muss einen Dialog zwischen dem Autor und seinen Übersetzern geben, so wie es Günter Grass seit 1977 praktiziert; Vorschriften macht er seinen Übersetzern nicht, sondern geht partnerschaftlich mit ihnen um, indem er sie auffordert „Dichtet, Übersetzer, dichtet!“