Die Hüllen sind gefallen

Die Burzenländer Bank, das erste Jugendstilgebäude Kronstadts, welches von Anbeginn die Bestimmung hatte, eine Bank zu beherbergen

Das Bild der Apollonia Hirscherin erstrahlt in frischem Glanz.

Heutiger Zustand nach der Renovierungsaktion. Der hellgrüne Farbanstrich der Fassade lässt das Prunkportal besser zur Geltung kommen.

Der Vorgängerbau in der Purzengasse Eck Michael Weiss. Dieses Haus trug zu Recht den Namen Hirscherhaus, denn es gehörte der Familie Hirscher. Eine fotografische Meisterleistung von Heinrich Lehmann von vor hundert Jahren. Quelle Nationalarchiv Kronstadt.

So sieht die Inschrift nach ihrer Renovierung aus. Fotos: der Verfasser

So sah die noch am besten erhaltene Inschrift vorher aus.

Schon 2011 weist Dieter Drotleff in der Karpatenrundschau darauf hin, dass das Gebäude Michael-Weiss-Gasse 22 dringend renovierungsbedürftig ist. Es handelt sich um das Gebäude welches als Sitz der Burzenländer Bank gebaut wurde. Sowohl in der Siebenbürgischen Zeitung (2019) als auch in der Allgemeinen Deutschen Zeitung wird die Hoffnung geweckt, dass die Sanierung bald fertig sein wird. Die Bezeichnungen Sächsische Bank oder auch Hirscherhaus, welche sich fälschlicherweise im Laufe der Jahre eingebürgert hatten, klärt Wolfgang Wittstock in seinem Beitrag vom 20.08.2020 in der Karpatenrundschau. Das Hirscherhaus war das Haus, an dessen Stelle das Gebäude der Burzenländer Bank gebaut wurde. Von dem Haus wurde nur das Hirschgeweih übernommen, welches das neue Gebäude am Eck ziert. Mal sehen, ob es nach Vollendung der Renovierungsaktion wieder an seine alte Stelle angebracht wird.

Der Verfasser dieses Beitrags hat eine besondere Beziehung zu diesem Gebäude. Nach-dem es 1948 nationalisiert wurde, beherbergte es die Büroräume des Elektrizitätswerkes und dort war mein Vater Buchhalter, später Oberbuchhalter. Wir Kinder hatten ihn dort oft besucht und zwar durch den Eingang von der Michael-Weiss-Gasse. Beim Prunkportal in der Purzengasse war damals ein Modegeschäft.
Im gleichen Jahr der Nationalisierung ist auch der Architekt dieses Hauses Albert Schuller gestorben und zwar am 26. Oktober 1948.  Zu einem so bedeutenden Architekten für die Stadt Kronstadt hätte auch eine entsprechende Würdigung gehört, in der man nachlesen kann was er geleistet hat. Normalerweise findet man so einen Nachruf in der „Kronstädter Zeitung“, aber die letzte „Kronstädter Zeitung“ ist am 25. August 1944 erschienen. Erst 13 Jahre später gab es wieder eine deutschsprachige Zeitung in Kronstadt, am 30. Mai 1957 erschien die erste „Volkszeitung“ in Kronstadt.

Über die Entwicklung der Bank hatte Wolfgang Wittstock in seinem Beitrag geschrieben (Karpatenrundschau 6.08.2020). Im vorliegenden Beitrag soll mehr vom Gebäude, von seinem Erbauer und von den Menschen, die es bewohnt haben, die Rede sein.

Aus ihrem Vortrag, welchen die Historikerin Dr. Maja Philippi 1975 an der Volksuniversität von Kronstadt hielt, entnehmen wir folgenden Abschnitt. Es muss vielleicht vorher noch gesagt werden, dass Dr. Philippi nicht nur Historikerin war. Sie studierte Geschichte, Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie an den Universitäten in Kiel, Freiburg, Göttingen und Hamburg in den Jahren 1932 – 1937.
„Es war Albert Schuller (1877-1948), dessen Rolle bei der Gestaltung des Kronstädter Stadtbildes in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht wegzudenken ist.

1903 aus München, einer Hochburg des Jugendstils, vom Studium zurückgekehrt, hatte der junge Architekt das große Glück, schon nach wenigen Jahren einige große Aufträge zu erhalten, an denen er sein Können unter Beweis stellen sollte. 1908 wurde der damals Dreißigjährige damit beauftragt, den neuen Sitz für die Burzenländer Bank (damals noch Nationalbank A.G.) zu bauen (Ecke Purzengasse-Zwirngasse). Es wurde an der Stelle, wo früher das Haus der Apollonia Hirscher gestanden hatte, errichtet. Ihr zu Ehren wurde ein Hirschgeweih angebracht und oben das Medaillon mit ihrem Bild (gemalt von Friedrich Mieß, restauriert von Gisela Richter). Dieses Haus zeigt bereits alle Merkmale des Jugendstils und wirkte im Kronstädter Stadtbild wie ein Programm. Die Hauptforderungen, die der Jugendstil an das Bauwerk stellte, waren, dass das Gebäude wieder ein Körper werden solle, im Gegensatz zur Flächenhaftigkeit der vergangenen Baustile. Diese Körperhaftigkeit wird durch seine Gliederung erreicht, die viel lebendiger durchgestaltet, viel abwechslungsreicher ist als bei den früheren Fassadenbauten. Dabei benutzen die Jugendstilarchitekten sehr gerne das Mittel der Asymmetrie, ein Prinzip, das es außer im Rokoko in keinem der früheren Baustile gegeben hat. Die Jugendstilkünstler gingen von der Ansicht aus, dass alles Symmetrische zwar vollkommen, aber leblos, dafür alles Unsymmetrische unvollkommen, jedoch lebendig ist. Sie liebten in fast schwärmerischer Art alles Lebendige, die Bewegung, und brachten dies auch an den Häuserfronten zum Ausdruck. Dies wird erreicht durch unregelmäßiges Anbringen der Portale, Giebel, Balkone, die verschiedene Größe und Form der Fenster. Die Erker, die die Plastizität des Baukörpers betonen, sind ein beliebtes Motiv des Jugendstils. In den alten Stilen sind sich die einzelnen Gebäude sehr ähnlich, im Jugendstil jedoch ist jedes eine eigene Persönlichkeit.“

Es ist das erste Jugendstilhaus in Kronstadt, aber auch das erste Gebäude in Kronstadt, welches von Anfang an, die eindeutige Bestimmung hatte, eine Bank zu beherbergen.

Über die Entstehungsgeschichte dieses Hauses lassen wir einen Zeitgenossen zu Wort kommen, und zwar Dr. Karl Ernst Schnell, der letzte deutsche Bürgermeister Kronstadts. Im Jahre 1899 gehörte er zu den Gründern der sächsischen „Nationalbank A.G.“, die als Gegenstück zur „Kronstädter Allgemeinen Sparkasse“ gegründet wurde und wurde ihr erster Vizepräsident.

„…der Schluss war der, dass der Dreißiger Ausschuss der “Grünen“ im Januar 1898 über Antrag Dr. Karl Flechtenmachers beschloss, eine neue, eigene sächsische Bank ins Leben zu rufen. Ich wurde ersucht, die Satzungen auszuarbeiten. Ich war in wenigen Wochen mit der Arbeit fertig. Dr. Karl Lurz führte inzwischen die sonstigen nötigen Verhandlungen, insbesondere mit dem Bankhaus „Nussbächer &  Beer“, dessen Wechselportfeuile wir übernehmen sollten. Heinrich Nussbächer und Hugo Beer sollten die Direktoren der neu zu gründenden Bank werden.  Endlich am 28. Januar 1899 erschien in der Kronstädter Zeitung auf der ersten Seite des Blattes der Gründungsprospekt der Nationalbank Aktiengesellschaft, unterschrieben von 25 Gründungsmitgliedern. Am 16. März 1899 folgte die gründende Hauptversammlung. Dr. Karl Lurz wurde zum Präsidenten, ich zum Vizepräsidenten gewählt.

Der Name der Bank ist später (1920) über Betreiben der Rumänischen Nationalbank abgeändert worden. Sie hieß dann „Burzenländer Bank A.G.“ bis zu der Vereinigung mit der Hermannstädter allgemeinen Sparkasse, deren Zweigstelle sie heute ist.

Es ist selbstverständlich, dass die Bank in erster Linie gegründet worden war, um dem sächsischen Handel und Gewerbe die nötigen Mittel durch Kredite zu schaffen, aber ebenso selbstverständlich war es, dass alle Erträgnisse der Bank zu kulturellen Zwecken, für Kirche und Schule verwendet werden sollten. So ist es geschehen und wir haben jahrzehntelang selbstlos ohne Tantiemen mitgetan und gearbeitet“.
„Die Nationalbank, die ihre Geschäftsräume zuerst im Kaufhaus, an der Ecke gegen den Marktplatz hatte, erstand im Jahre 1905 das Hirscherhaus an der Ecke der Purzengasse und Zwirngasse und erbaute dort nach den Plänen des jungen Architekten Albert Schuller das große Bankhaus, wie es heute noch dort steht (1934). Für die Grundsteinlegung verfasste ich die Urkunde, die nebst Geldmünzen und dergleichen in einer verlöteten Metallbüchse eingemauert wurde“.

Heinrich Nussbächer (1861-1937) war ein Bruder von Gernot Nussbächers Urgroßvater und das Bankhaus Nussbächer & Beer hatte seinen Sitz in der Hirschergasse Nr. 1, das als Kaufhaus bekannte Gebäude am Marktplatz Eck Hirschergasse, wo auch die Nationalbank A.G. ihren ersten Sitz hatte, bis zur Fertigstellung des neuen Baues in der Purzengasse.

„Im Anstaltsgebäude habe ich gleich nach dessen Fertigstellung die im ersten Stock von mir gemietete Wohnung bezogen und ebenso auch die gegen die Zwirngasse gelegene Advokaturskanzlei, die eigens für diesen Zweck gebaut und auch nach außen durch die über den Fenstern angebrachten Reliefbildern als Advokaturskanzlei gekennzeichnet worden war.

In dieser Wohnung habe ich mit meiner Familie 23 Jahre lang gewohnt. Im Jahr 1929 zog ich über Bitten der Bank aus, weil sie die Räume im ersten Stock für ihre eigenen Zwecke dringend benötigte. In die Advokaturskanzlei, die während der Zeit, als ich Bürgermeister war, Dr. Oskar Tellmann innehatte, bin ich im Jahre 1929 wieder eingezogen. Ich übte dort bis vor kurzem die Advokatur aus, seit Jahren zusammen mit meinem Sohn Dr. Fritz Schnell und seiner Frau Dr. Annemarie Schnell“.

Dr. Karl Ernst Schnell hatte vier Kinder, zwei Töchter und zwei Söhne, die älteste Tochter war die Großmutter von Gernot Nussbächers Frau Ada geb. Schiel.

Das Erdgeschoß war ausschließlich von der Nationalbank A.G. belegt mit Eingang von der Purzengasse durch das Prunkportal mit rotem Marmor. Im Seitentrakt mit Eingang von der Zwirngasse (heute Michael Weiss) waren die Büroräume der Bank und das gemeinsame Treppenhaus für die Wohnungen im 1. und 2. Stock. In der Wohnung im 1. Stock wohnte Dr. Karl Ernst Schnell mit Fenster sowohl zur Purzengasse als auch zur Michael Weiss-Gasse und einem Bogenerker am Eck, und im Nebentrakt war seine Advokaturskanzlei.

In der Wohnung im 2. Stock mit einer Aufteilung genau wie im 1. Stock wohnte Dr. Oskar Tellmann. Der Nebentrakt hatte keinen 2. Stock, dort war schon der Dachboden für Abstellräume. Der Eingang vom Nebentrakt zum Treppenhaus hatte einen Vorhof.

Im Jahre 1912 kauft die Nationalbank A.G. auch das Nachbarhaus in der Purzengasse (heutige Nr. 20) und das entsprechende Haus in der Spitalsgasse Nr. 19. Die Arbeiten betreffend Anpassungen der Fassade und Verbindungen zwischen den Häusern, werden von der Firma Wagner & Bruss durchgeführt. Moritz Wagner (1876-1934) war der Architekt der Handelskammer (heute Sitz der Kreisbibliothek) und des Gesellschaftshauses des sächsischen Gewerbevereins (heute Sitz des Kunstmuseums), beide am Rudolfsring. Im Erdgeschoß hatte der Wirkwarenfabrikant Georg Foith seinen Verkaufsladen, sowohl vor dem Ankauf als auch danach.

Laut Bauschild hätte die Renovierung schon im Januar 2021 fertig sein sollen. Jetzt warten wir gespannt darauf, welche Funktionen die Räume bekommen sollen. Gaststätten gibt es in Kronstadt schon genug, die Michael- Weiss-Gasse ist jetzt schon Fussgängerzone und es ist bald ein Kunststück, die Purzengasse zwischen den Tischen zu überqueren.