Die Kronstädter deutschsprachige Wochenschrift auf ihrem Weg vom Zentralismus in die Globalisierung

Bemerkungen am Rand der sechzigjährigen Geschichte der KR

Wird man sechzig, heißt es, man sei in die Jahre gekommen, es sei Zeit, nicht nur an den Ruhestand zu denken, sondern tatsächlich in den Ruhestand zu treten. Mit andern Worten, man/frau tut gut, sich aus dem aktiven in ein weniger aktives, in ein beschauliches, um nicht zu sagen passives Leben zurückzuziehen. Um was zu tun? Zum Beispiel um Liegengelassenes, Aufgeschobenes, Vernachlässigtes von der Warte des Alters und aus dessen Erfahrung heraus aufzugreifen, nachzuarbeiten, den vorhandenen Möglichkeiten entsprechend zu erledigen, abzuhaken, endgültig ad acta zu legen. Oder um sich auf das eigene Selbst zu konzentrieren und seine Ruhe zu finden, bei vorhandenen Mitteln sogar zu reisen, dies und das zu erkunden, Freunde und Verwandte zu besuchen, für Enkelkinder zu sorgen, einen zweiten (oder dritten) Lebensfrühling auf diese Weise zu erleben. Oder im schlimmsten aller Fälle, um sich endgültig auf das gesellschaftliche Abstellgleis manövrieren zu lassen. Nun wird aber eine Wochenschrift sechzig und man fragt sich, ob auch sie in die Jahre kommen und ihren legitimen Anspruch auf den Ruhestand geltend machen kann. Steht auch in ihrem Fall jede Menge Nacharbeit an, spielt sie etwa mit dem Gedanken, sich auf Reisen zu begeben, sieht sie zu, dass sie ihre Nachkommenschaft auf den rechten Weg bringt oder lässt sie sich einfach auf dem Abstellgleis oder, um eine trefflichere Metapher zu bemühen, hinter Glas als würdiges Museumsstück für die Nachwelt aufbewahren? Man weiß es nicht, man wird es sehen.

Die sechzigjährige Geschichte der Kronstädter deutschsprachigen Wochenschrift beginnt im Mai 1957 in der Stadt Stalin unter dem Namen Volkszeitung. Organ des Regionsparteikomitees und des Regionsvolksrates Stalin und setzt sich unter verändertem Titel als Karpatenrundschau. Wochenschrift für Gesellschaft, Kultur, Politik und Unterhaltung bzw. als Kronstädter Wochenschrift (nach der politischen Wende 1989 bis heute) fort. Der am 30. Mai 1957 veröffentlichte Leitartikel der Volkszeitung trägt den programmatischen Titel „Spiegelbild unserer Tage“ und enthält das journalistische und kulturpolitische Kredo der Redaktion. Man verschreibt sich der noblen Sache des Sozialismus im Sinne der Neugestaltung der Gesellschaft in allen ihren Bereichen, aber auch im Sinne der Verwaltung des deutsch-sprachigen Kulturerbes, das man unter den damaligen Gegebenheiten weiterzuführen sich vornimmt. An die Leser ergeht folgende ermunternde Aufforderung: „Wendet Euch voll Vertrauen an Eure Zeitung, sie steht jedem von Euch zur Verfügung. Allen unsern Lesern wünschen wir viel Freude an der neuen Zeitung und nehmen gerne jede Anregung und Mitarbeit für ihre bessere Gestaltung entgegen.“

Das Erscheinen der Volkszeitung wurde bereits in ihrer ersten Ausgabe mit großer Begeisterung begrüßt: Man lässt es sich nicht nehmen, ein Gruß- und Dankeswort an die Redaktion zu schicken, und diese veröffentlicht die verschiedenen Wortmeldungen ganz gleich, ob sie von namhaften Literaten (z. B. Erwin Wittstock) oder von lesenden Arbeitern oder Hausfrauen kommen. Zehn Jahre später veröffentlicht die VZ am 18. Februar 1968 eine knappe Notiz (links unten auf der Titelseite in einem schmalen Kasten), in der das Einstellen der VZ und das Erscheinen einer neuen deutschsprachigen Wochenschrift angekündigt wird.  Es gehe, so die Redaktion, „im Zuge der ständigen Verbesserung unseres Pressewesens“ keines-falls um einen Abschluss, sondern vielmehr um einen Neubeginn und dieser heißt Karpatenrundschau, deren erste Ausgabe am 1. März 1968 erscheint.
 „Liebe Leser! Eine neue Wochenschrift in deutscher Sprache stellt sich Ihnen heute vor. Sie tritt mit einem vielseitigen, aber klar umrissenen Profil an Sie heran zu einem Zeitpunkt, da unsere Heimat im Anschluss an den IX. Parteitag und die Landeskonferenz der RKP im Zeichen eines großartigen Aufschwungs steht“, heißt es einleitend im kurzen Leitartikel der ersten Ausgabe.

Als Spiegelbild schöpferischer Arbeit setzt sich die neue Wochenschrift zum Ziel, aktiv mitzuhelfen „das gesellschaftliche, politische und kulturelle Bild unseres Vaterlandes zu formen“, auch sei es eine Ehrenaufgabe „im Dienst des Verbrüderungsgedankens der hier auf uraltem Kulturboden zusammenlebenden Menschen (…) zu stehen und für die Förderung fortschrittlichen Gedankenguts zu wirken.“ In diesem Zusammenhang wird zualler-erst die Neuwertung des Kulturerbes, die Förderung des bodenständigen deutschen Schrifttums, des geistigen Lebens in deutscher Sprache angestrebt. Auch möchte die KR nicht nur „die Siebenbürger und Banater vielseitig informieren und beraten, sondern auch die Wünsche und Forderungen unterschiedlicher Lesekreise des ganzen Landes (…) berücksichtigen“, so das Redaktionskollektiv, das den Artikel unterzeichnet. Die Titelseite dieser ersten Ausgabe der KR überrascht einen heute durch ihr Aussehen oder Layout, wie es im heutigen Jargon heißt: Das Foto einer charismatischen Sängerin in Minikleid und mit damals modischer Kurzhaarfrisur nimmt die halbe rechte Titelseite ein, darunter prangt der Titel „Kronstadt - Metropole der Leichtmusik“. Es handelt sich um die Ankündigung des internationalen Leichtmusikwettbewerbs „Der goldene Hirsch“ (Cerbul de aur), dem auch die nächste Ausgabe gewidmet sein wird.

Das geplant vielseitige Profil der Wochenschrift lässt sich allem Anschein nach un-schwer umsetzen, zumal der Redaktion sechzehn großformatige Seiten  zur Verfügung stehen, in denen tatsächlich alles untergebracht werden kann, was mit den im Untertitel angekündigten Bereichen zu tun hat. Heute staunt man darüber, dass man außer Berichten die Landesaktualität betreffend, sehr viel Kulturelles, Literarisches, Wissenschaftliches, aber auch Themen aus dem Alltagsbereich, wie etwa gute Ratschläge für Hausfrauen, Kosmetiktipps und Nachrichten aus der aktuellen Damen- und Herrenmode in der KR der Endsechziger und der Siebziger lesen kann. Theater- und Filmchroniken finden ihren Platz darin, ebenso wie Kunst- und Sportnachrichten. Wer sich dabei hinter dem einen oder andern Vornamen (Willi oder Herta) verbarg, kann man heute vielleicht mit einiger Mühe herausfinden.

Es scheint aber in den Anfangsjahren der KR üblich gewesen zu sein, dass die Redakteure und Mitarbeiter Artikel nicht immer mit dem vollen Namen bzw. sie gar nicht signierten, auch werden zunächst keine Redaktionskollegien namentlich im Impressum aufgeführt. Was die Umbenennung der Wochenschrift betrifft, lässt sich diese als Zeichen von Liberalisierung und überregionaler Perspektive auffassen.
Die von der Redaktion gewählte Aufstellung der Wochenschrift  weicht auf den ersten Blick nicht von den systemkonformen Vorgaben rumänischer und anderer Minderheitenpublikationen ab: Dem rumänischen Politgeschehen werden die ersten Seiten gewidmet und ggf. werden diese Seiten sogar aufgestockt, wenn die eine oder andere Rede von politischer Tragweite zu veröffentlichen ist, allerdings ohne sichtbare Schmälerung der restlichen Themenkreise. Erst in den 80er Jahren, nachdem die KR auf acht Seiten zurückgesetzt werden muss, kommen in solchen Fällen alle andern Rubriken der Publikation zu kurz.

Die KR beeindruckt durch ihre ausgeglichene Vielseitigkeit, wobei ihr authentisches Profil aus der Bevorzugung von Literatur, Kunst und Kultur hervorgeht. So etabliert sich die Kronstädter Wochenschrift als eine ernstzunehmende Förderin rumäniendeutscher Literatur, nicht nur durch die konsequente Veröffentlichung von Kurzprosa und Lyrik sowohl der bereits bekannten und bewährten Autorinnen und Autoren als auch der aufstrebenden Nachwuchsautoren, sondern auch durch das Veröffentlichen von Buchrezensionen, literaturkritischen Artikeln  und Lesermeinungen, durch das Stiften des Silberdistel-Literaturpreises und durch die Bekanntmachung und später der regelmäßigen Veranstaltung des Kronstädter Literaturkreises. Eine erste Erwähnung findet der Literaturkreis in der KR vom 15. März 1968, in der u.a. Texte von Erika Hübner-Barth, Hans Schuller und Frieder Schuller veröffentlicht werden. Man kann heute dieses Engagement der KR durch ihre damaligen Redakteure und Mitarbeiter nicht genug hervorheben und würdigen.

Ebenso schätzenswert sind das Interesse und die Förderung, die die KR dem deutschsprachigen Unterrichtswesen entgegengebracht hat. Im Zeitraum 1970-1989 begleitet die KR den jährlichen Schülerwettbewerb für das Fach Deutsch (Deutscholympiade, Landesphase, vgl. Schuster, Gudrun:„Zur neueren Geschichte der Schülerolympiaden in Rumänien“, in Leben mit und gegen Ideologien, Kronstadt, Aldus Verlag, 2006, S.212-267) und dokumentiert diesen einerseits mit kritischen Berichten, andererseits stiftet die Redaktion einen Sonderpreis für besonders originelle Arbeiten der Schüler, auch veröffentlicht man die preisgekrönten Arbeiten in der KR. Im gleichen Zeitraum bietet die KR den deutschsprachigen Lyzeen aus Rumänien die Möglichkeit Schülerzeitungen als Sonderbeilagen zu veröffentlichen, wie beispielsweise Debüt und Debatte (Honterusschule, Kronstadt) oder  Lenaulupe (Lenauschule, Temeswar) u.a.

Das Profil der KR ist im Lauf der Zeit von den jeweiligen Redakteuren geprägt worden: Man erinnert sich an das besondere Vergnügen, das einem das Lesen der anspielungsreichen Sportkommentare von Hannes Schuster bereitete, man schätzt heute noch die kritische Präzision der Buchrezensionen desselben Autors, ebenso die gründlich recherchierten Kulturkommentare von Horst Schuller-Anger und Annemarie Weber, um nur einige zu nennen.
Die KR hat trotz vielfältiger Einschränkung und schwieriger Arbeitsbedingungen, trotz ideologischer Vorgaben und wiederholter Verringerung des Personals den kommunistischen Zentralismus nicht nur überstanden, sondern ihm erfolgreich widerstanden, indem sie ihrer Aufgabe und ihren Lesern treu geblieben ist. So rettet sie sich in die Globalisierung der Nachwendezeit herüber und passt sich den Anforderungen und Gegebenheiten postmoderner Medienkommunikation an.

Als vitale Sechzigjährige erscheint die KR jeden Donnerstag als wöchentliche Beilage der ADZ. Ihre grafische Aufmachung ist im Laufe der Zeit bunter, lebendiger geworden, selbst wenn die thematische Vielfalt von früher aus guten Gründen einiges eingebüßt hat. Um Objektivität bemüht, gilt sie weiterhin als Spiegelbild unserer Tage und der Gesellschaft, in der man lebt und der Kultur, die man mitgestaltet. Dabei kommt der Vermittlung interkultureller Werte eine wesentlich größere Bedeutung zu als in den Jahrzehnten des kommunistischen Zentralismus. Die heute Sechzigjährige ist, wie man sieht, mit der Zeit mitgegangen: Sie ist jederzeit im Netz abrufbar. Man muss sich nicht mehr grämen, wenn sich der Postträger wieder einmal verspätet oder die Zeitung vergessen oder fälschlicherweise beim Nachbarn eingeworfen hat. Dem Online-Format kommt allerdings die romantische Zeitungsspezifik abhanden: Man vermisst die Sperrigkeit des Zeitungspapiers, den Geruch angestaubter und leicht vergilbter Seiten, den Reiz der etwas unscharfen Schwarz-weiß-Abbildungen, der Karikaturen und des Kreuzworträtsels, der Erstveröffentlichungen von Kurzprosa oder Gedichten. Dafür kann man, sobald man die verschnörkelten Schlüsselwörter entziffert und korrekt wiedergegeben hat, seine Meinung ins Netz stellen, sich mit andern Lesern austauschen und, warum nicht, sogar konstruktive Kritik üben. Der Weg in die Zukunft scheint geebnet. Dass die KR in den Ruhestand tritt oder sich gar hinter Glas stellen lässt, davon kann ja wohl noch lange nicht die Rede sein. In diesem Sinne alles Gute und auf die nächsten sechzig Jahre der KR!

Dr. Carmen E. Puchianu