Die Kronstädter Securitate und das „deutsche Problem“

Viele Fragen und einige Antworten aus Geheimdokumenten

In den Archivakten der Securitate, des Geheimdienstes des kommunistischen Regimes in Rumänien, zu lesen, ist gut 32 Jahre nach dem Untergang des Ceau{escu-Regimes eine höchst interessante Lektüre. Wenn es sich um Mappen, Berichte, Analysen oder Zusammenfassungen über die deutsche Minderheit in Kronstadt handelt, eröffnet sich dem Leser die Möglichkeit, einen Blick auf die Situation dieser Minderheit  zu werfen, so wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1980er Jahre in diesen bis Ende 1989 geheimen Papieren dargestellt wird. Es ist selbstverständlich eine einseitige, subjektive Perspektive, denn die Deutschen Rumäniens galten als eine potenziell gefährliche, sogar feindliche Bevölkerungsgruppe fürs kommunistische Regime. Ihr haftet, vier Jahrzehnte nach 1945, noch immer das Beiwort „national-faschistisch“ an.

Welches waren aber die vermeintlichen Gefahren, die der kommunistische Sicherheitsdienst bekämpfen wollte? Was für Argumente gab es denn, unter den  Siebenbürger Sachsen, den Banater Schwaben, den anderen Rumäniendeutschen Agenten des Westens zu vermuten und mögliche deutsche Spione aufzudecken? Wie verhielt sich die Securitate gegenüber jenen, die auswandern wollten? Inwieweit gelang es ihr zu erfahren, wie die Stimmung unter den Deutschen Rumäniens war, betreffend Alltagsprobleme, Zukunftsaussichten, Unzufriedenheit, Wünsche nach mehr Freiheit? Was wusste sie über die Beziehungen zwischen Hiesigen und Ausgewanderten, über die Politik der damaligen Landsmannschaften der Siebenbürger Sachsen oder der Banater Schwaben in der Bundesrepublik Deutschland? Konnte sie ihren Einfluss sogar unter den evangelischen oder katholischen Pfarrern geltend machen?
Das alles sind Fragen, zu denen die Einsicht in die Geheimakte einige Antworten bietet. Selbstverständlich ist die Auswertung dieser Akten, die zu ziehenden Schlussfolgerung, eine Sache der dafür zuständigen Forscher. Als Journalist ist es aber eine gute Gelegenheit, einige Themen zu erwähnen, die solche Studien berücksichtigen könnten.

Die jüngste Vergangenheit wartet noch auf ihre Aufarbeitung. Sie ist notwendig, denn ohne sie kommt es gelegentlich zu Angriffen, zu minderheitenfeindlichen Äußerungen, zu wahren Hetzkampagnen wie wir sie im Kontext von Wahlkämpfen seitens einiger extremistischen Gruppen (selbst innerhalb einer Großpartei die sich als sozialdemokratisch betrachtet) feststellen konnten. Auch das könnte als „eine Erbschaft der Securitate“ betrachtet werden.

Zu bespitzeln: Karpatenrundschau und Honteruslyzeum
Die Liste der Institutionen und Organisationen, wo sich die Securitate noch in den 1980er Jahren zu schaffen machte, um  sogenannte deutschnational-faschistischen Tätigkeiten vorzubeugen und solche abzuwenden, ist unglaublich lang. Das „deutsche Problem“ war weiterhin ein gesonderter Tätigkeitsbereich der Kronstädter Securitate geblieben. Der von Hauptmann [erban Nicolae verfasste Maßnahmenplan für 1982 sollte all das bekämpfen, was gefährlich für die Staatssicherheit werden konnte oder was dem Image des kommunistischen Rumänien schaden könnte. Die „informative Kontrolle“ galt allen „Elementen deutscher Nationalität mit national-faschistischen und irredentistischen Beschäftigungen“.

Wo wurden diese vermutet? Die Aufzählung beginnt mit der Redaktion der „Karpatenrundschau“. Es folgen: der Literaturkreis „M. Königes“ in Zeiden, die Volksuni-Vortragsreihe am Honteruslyzeum, die deutsche Laientheatergruppe an der Kronstädter Uni, die deutschen Kulturensembles an dem Kronstädter Kulturhaus (heute Redoute) aber auch von den Kulturheimen aus Zeiden, Fogarasch, Rosenau und Reps. Als verdächtig galt das deutsche Studentenmilieu an der Kronstädter Uni sowie die wichtigsten Gemeinden mit einer kompakten deutschen Bevölkerung. Eine Sondererwähnung erhält das Honteruslyzeum mit der in Klammern gesetzten Ergänzung „einschließlich der dazu gehörende Kammerchor“. Die Schüler der Allgemeinschulen aus Kronstadt und aus dem Kreis Kronstadt werden nicht vergessen. Hinzu kommen die „Elemente deutscher Nationalität“, die im Gesundheitswesen tätig sind sowie die evangelischen Pfarrämter in Kronstadt und Kreis Kronstadt, einschließlich evangelisches Erholungsheim in Wolkendorf. Die Liste wird fortgesetzt mit den Nachbarschaften in Tartlau und Heldsdorf, mit den Freundeskreisen („Kranczen“, für „Kränzchen“ im Dokument), wo oft westdeutsche und österreichische Touristen und Anverwandte anzutreffen sind. Besondere Aufmerksamkeit gilt jenen, die im literarisch-künstlerischem Bereich tätig sind, in Redaktionen, Verlagen, Bibliotheken, Museen; den Lehrkräften und Studenten, den Ingenieuren, Ökonomen, Ärzten, Historikern, Volkskundlern, evangelischen Pfarrern, jenen, die in wirtschaftlichen, wissenschaftlichem und kulturellem Austausch mit dem Ausland stehen, jenen, die touristische Dienstleistungen ausüben.
Im Ausland sollten Informationen gesammelt werden („penetrarea informativ²”) aus dem Umfeld der Radiosender „Freies Europa“, „Deutsche Welle“ und „Radio Köln“. Die Spitzel TANCU und ROLAND sollten für Begegnungen mit Vertretern der Organisationen ausgewanderter sächsischen Landsleuten vorbereitet werden. Ein besonderes Kapitel steht in Zusammenhang mit der Bekämpfung des illegalen Grenzübergangs. Es geht um jene die erwischt wurden, um jene, die Gruppen zwecks Flucht über die Grenze bildeten oder um Ausländer, die zu solchen Aktionen aufwiegeln.

Der Maßnahmenplan sieht auf die vier Jahrestrimester gestaffelte Anwerbung von neuen Informanten vor, die für diese umfassende Überwachung eingesetzt werden sollten. Es handelt sich um 13 Informanten („informatori“), zwei Mitarbeiter („colaboratori“), einen Leiter der Informantengruppe („rezident“) und um drei Gastgeber von Treffpunkten („gazde case întîlnire“). Jene, die eine Auswanderungsgenehmigung erhalten hatten, sollten über Mitarbeiter, aber auch über die Dienststelle für die Aushändigung der Reisepässe, überzeugt werden, im Ausland keine gegen Rumänien gerichtete Tätigkeit auszuüben. Jene, die von Auslandsreisen zurückkamen oder zu Besuch waren, sollten informativ ausgewertet werden, um Daten über die Vereine und Organisationen der ausgewanderten Sachsen („organizatiile emigra]iei s²se{ti“) in Erfahrung zu bringen. Besonderes Interesse galt der Anwerbung von Leuten, die mit Ausländern in Kontakt kamen, Auslandsreisen unternahmen oder beruflich auch mit Botschaftsmitgliedern zu tun hatten. Um besser im Bild zu sein, was in den Schulen mit deutscher Unterrichtssprache geschieht und selbstverständlich „vorbeugend“ zu wirken, sollten die Informationsmöglichkeiten („poten]ialul informativ“) ergänzt werden, also neue Spitzel gefunden werden.

Fünf Jahre später, im Maßnahmenplan für 1987, werden die Redaktion der „Karpatenrundschau“ und das Honteruslyzeum wieder erwähnt,wie auch die deutschen Lehrfachkräfte an der Uni, an Lyzeen und Schulen, die Pfarrer, das in Zeiden und Tartlau bestehende Potenzial. Bis zum 30. Januar sollte Hauptmann Burlacu analysieren, wie der Bedarf an Informanten gedeckt werden kann. Hinzu kamen auch 471 Personen, die politisch vorbelastet waren und die wahrscheinlich für eine Mitarbeit leichter bewegt oder erpresst werden konnten. Die  informativen Möglichkeiten sollten durch 19 Quellen („surse“) gesteigert werden. Bevorzugt werden, heißt es im Geheimpapier, Kandidaten, die sich eines guten Rufes und großen Einflusses in den Reihen der Minderheit erfreuen, die öfter das Kreisgebiet verlassen, die mit ausländischen Bürgern in Kontakt kommen. Genau so interessant für die Securitate waren auch Jugendliche, von denen anzunehmen war, dass sie sich im sozialen und kulturellen Leben der deutschen Minderheit behaupten werden.

Die in den Securitate-Akten enthaltenen Angaben geben auch Aufschluss auf die Arbeitsweise dieses Geheimdienstes, um dessen Professionalität sich ein zum Teil ungerechtfertigter Mythos gebildet hat. Die Securitate wollte und konnte Furcht einflößen; sie handelte willkürlich, scheute auch nicht vor Folter und Erpressung zurück. Sie kultivierte das Misstrauen am Arbeitsplatz oder in weiten Teilen der Gesellschaft. Sie baute sich ein weit umfassendes Netz von Informanten und Spitzel auf – auch in und aus den Reihen der deutschen Minderheit. Sie setzte auf Desinformation und Verleumdung, streute Gerüchte, organisierte Provokationen. Manches davon ist auch in den vom Landesrat für das Studium der Securitate-Archivs (CNSAS) zur Einsicht freigestellten Papieren ersichtlich, wobei die wahre Identität der Decknamen, unter denen inoffizielle Mitarbeiter agierten, wie das gesetzlich vorgeschrieben ist, geschützt wird. Über einige dieser Dokumente wird die KR in einer losen Reihenfolge berichten. Die Securitate als Machtinstrument der Rumänischen Kommunistischen Partei hat viele Schicksale auf ihrem Gewissen.  Ihre Vergangenheit darf kein Tabuthema sein.