Die Pocken

Lange Zeit wurde diese Seuche als „einheimische Krankheit“ angesehen

Zu den Schrecken der Vergangenheit gehörten neben Krieg und Hungersnot, auch eine Reihe von Seuchen. Nachdem in der „Karpatenrundschau“  schon über zwei dieser Geißeln der Menschheit, die Pest und die Cholera, geschrieben wurde, folgt nun die dritte: die Pocken (oder Blattern). Alle drei haben seinerzeit auch bei uns in Siebenbürgen und in Kronstadt unsäglich viel menschliche und wirtschaftliche Not verursacht.

Die Pocken sind die älteste dieser Seuchen, sie wurden 1980 von der WHO (die  Weltgesundheitsorganisation)  als weltweit erlöscht erklärt.
Nur in Laboratorien, im Westen wie in Russland, werden noch Pockenviren aufbewahrt, um im Falle eines unerwarteten Auftreten der Krankheit die Möglichkeit zu haben, Impfstoffe herzustellen.

Allerdings ist seit der weltweiten Aufhebung der Impfpflicht die Angst vor terroristischen Angriffen mit biologischen Waffen, darunter  auch Pockenviren, nicht gewichen.

Die Pocken sind schon in den ältesten Zeiten eine gefährliche Seuche gewesen. An vielen Mumien des alten Ägyptens sind zweifelsfrei Pockennarben festgestellt worden. Viele Forscher sehen in der im Alten Testament berichteten 6. Plage, mit der Gott Ägypten heimgesucht hatte, weil der Pharao sich weigerte die Juden aus seinem Reich zu entlassen, eine Pockenepidemie.
In Europa treten die Pocken um 165 n. Ch. als „antoninische Pest“ das erste Mal auf,  sie  verheert den Kontinent bis zum Rhein und Donau.

Durch die Kreuzzüge und den sich ausdehnenden Handel im Mittelmeer werden die Pocken nach ganz Europa eingeschleppt. In die neu entdeckten Erdteile, Amerika und Australien bringen die Europäer die Krankheit mit verheerenden Folgen für die Urbevölkerungen.

Im 18. Jahrhundert lösen die Pocken die Pest als gefährlichste Seuche ab; es starben jährlich bis 400.000 Menschen. Vor allem Kinder wurden von der Krankheit hingerafft, so dass zeitweilig ein Kind erst wenn es von den Pocken genesen war, als wirklicher Mensch betrachtet wurde. Die letzten Erkrankungen in Europa finden wir 1950 in Glasgow, 1958 in Heidelberg, 1963 in Breslau und 1967 in der Tschechoslowakei. 1975 wurde in Bangladesch der letzte Pockenfall verzeichnet, so dass die WHO  1980 die erst 1967 weltweit durchgesetzte Impfpflicht wieder aufhebt.

Wie äußerten sich die Pocken/Blattern?

Die Infektion erfolgte durch beim Husten oder Niesen ausgeschiedene Viren, die Inkubationszeit dauerte 1-2 Wochen. Die Krankheit begann mit Kreuzschmerzen, Fieber, Schüttelfrost und Rachenkatarrh, nach etwa 6 Tagen traten die Pusteln mit unangenehmem Geruch am ganzen Körper auf. Bei leichten Fällen trockneten die Pusteln nach 2 Wochen ab, es blieben die typischen Pockennarben zurück. In schweren Fällen kam es zu Erblinden, Taubheit, Lähmungen und  Hirnschäden. In etwa 30 Prozent der Fälle endete die Krankheit tödlich.

Schon vor 3000 Jahren wurde in China, später auch in Indien versucht, eine Impfung mit dem Inhalt der Pusteln, also den lebenden Viren, durchzuführen, was zu vielen Todesfällen führte. 1771 entdeckt der englische Arzt Jenner, dass eine Infektion mit den Kuhpocken gegen die echten Pocken immunisiert. 1796 führt er dann die Impfung in England ein. Als erstes Land führt 1807 Bayern die Pflichtimpfung ein, es folgen 1815 Baden, 1816 Schweden, 1867 England, 1874 das Deutsche Reich.

Trotz Impfpflicht kam es immer wieder zu Rückschlägen, denn die Schutzimpfung musste wiederholt werden, damit ein dauerhafter Schutz gewährleistet wurde. Dazu kommt, dass die Impfung präventiv durchgeführt werden musste. Nach Ausbruch der Krankheit gab es keine Möglichkeit, die Heilung zu bewirken.

Ich kann mich noch gut erinnern wie, als ich in der 2. oder 3. Klasse war, die Pockenimpfung wiederholt wurde: Wir Kinder standen im Schulhof in Reih und Glied, eine Krankenschwester hatte auf einem Tische die Fläschchen mit dem Serum, eine Spirituslampe und verschiedene andere Utensilien ausgebreitet. Dann zog sie eine Schreibfeder, die in einem Federstiel befestigt war, durch die Flamme der Lampe und ritzte mit der Feder, die sie vorher in das Serum getaucht hatte, den Oberarm des ersten Kindes. Dann kam die Feder wieder in die Flamme und in das Serum und das nächste Kind war dran. Das ging alles so schnell, dass wir nicht einmal zum Jammern und Weinen kamen.  Eine heute nicht mehr vorstellbare Prozedur.

Sehen wir nun, wie sich die Pocken bei uns, in Kronstadt ausgewirkt haben. Hier folgen wir dem von uns schon so oft bemühten Dr. Gusbeth.
Aus  den älteren Berichten erfahren wir wenig über die Pocken. Tartler erwähnt in seinen „Collectaneen“, dass es 1601/1602 viele Tote durch die Pocken gab. 1724 sterben viele Kinder an der Seuche. Gusbeth führt die spärlichen Quellen darauf zurück, dass die Pocken im Gegensatz zu der Pest, als eine einheimische Krankheit angesehen wurde und deshalb weniger Beachtung fanden.

Anfang des 19. Jahrhundert führt Dr. Barbenius die Pockenschutzimpfung nach Jenner  mit gutem Erfolg in Kronstadt ein. Aber in dem zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts gibt es einen Rückfall, denn der Impfschutz wurde  nicht konsequent durchgeführt und wiederholt, so dass die Krankheit  sich wieder ausbreiten konnte. Schwere Epidemien gab es 1795 und 1801, aber von diesen sind keine Zahlen bekannt, denn die Pocken wurden nicht separat als Todesursache geführt.

Bei der Epidemie von 1835/36 gab es 69 Tote, 1841/42 schon 331, 1850 – 1852 sind es 93. In den Jahren 1873/1874 war eine schwere Epidemie mit 640 und 1880/1881 mit 470 Toten zu beklagen. Die letzte Epidemie begann im Juli 1880 mit 35 Erkrankungen, deren Zahl stieg stetig bis im Dezember, als mit 488 Fällen der Höhepunkt erreicht war. Dann begann sie langsam abzuflauen um im Juli 1881 zu erlöschen. Zwischen Oktober 1880 und Februar 1881 wurden 74 Prozent der Fälle verzeichnet. Von den 1965 Erkrankten starben 472, das heißt 24 Prozent. Von den Erkrankten waren 28,9 Prozent geimpft, von den Verstorbenen aber nur 14 Prozent.

Die Stadtverwaltung blieb nicht untätig. Die Stadt wurde in fünf Epidemiebezirke eingeteilt, in jedem Bezirk wurden die Armen von zwei Ärzten unentgeltlich behandelt, für Mittellose stellte die Stadt die Medikamente kostenlos zur Verfügung. Die Kranken wurden isoliert, die Schulen gesperrt, alle öffentlichen Unterhaltungen verboten, der Handel eingeschränkt, das ganze Leben in der Stadt war von der Krankheit geprägt.
Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in den andern Städten Siebenbürgens. Bis  zum Ende des 19. Jahrhunderts sind nur die Jahre 1874 – 1880 frei von Pocken gewesen.    

Hinter diesen trockenen Tatsachen stehen aber unzählige Menschenschicksale. Not durch den Verlust des Familienvaters oder der Mutter, Trauer um die zu früh gestorbenen Kinder, lebenslange Verunstaltung durch die Pockennarben sind heute kaum noch vorstellbare Folgen der Pocken gewesen.

Der Sieg über die Pocken ist leider der einzige, den die WHO im Kampfe gegen die auch heute noch verheerenden Krankheiten errungen hat. Wir erinnern: Tuberkulose, Typhus, Syphilis, Hepatitis, Malaria und als neueste „Errungenschaft“ AIDS haben bis heute allen Anstrengungen widerstanden.

Im Gegenteil, es scheint, dass Krankheiten, die aus Europa verschwunden waren, wie etwa die Malaria, durch den Klimawandel bedingt, wieder auch auf unserm Kontinent vordringen. Auch die Tuberkulose konnte noch nicht besiegt werden, viele Erregerstämme sind  resistent gegen die herkömmlichen und auch gegen moderne Medikamente geworden, so dass ihre Bekämpfung immer schwerer wird. Selbst so banale Krankheiten  wie die Grippe, hat durch neue Abarten (Vogelgrippe und Schweinegrippe) in den letzten Jahren durch ihre große Virulenz für Aufregung und Panik gesorgt.