Ehemalige Honterianerin fördert innovative Theaterprojekte im Herzen Bukarests

Interview mit Roxana Lăpădat, künstlerische Leiterin von Teatrelli

Performances in Schaufenstern, Gegenwartsdramatik zu aktuellen und relevanten Themen, Koproduktionen mit renommierten ausländischen Künstlern – hinter den vielen neuen Projekten des Bukarester Theaters „Teatrelli“ steht eine ehemalige Honterianerin. Seit 2018 leitet Roxana Lăpădat das Theater auf dem Lahovari-Platz im Zentrum der Hauptstadt. Lăpădat, Absolventin des Jahrgangs 1998, arbeitet hart daran, ein eher konventionelles Theater in ein experimentelles Labor zu verwandeln, wo viel ausprobiert wird und wo man nicht davor zurückschreckt, Risiken einzugehen. Und diesem Ziel kommt sie mit jedem Projekt näher, trotz der Schwierigkeiten, mit denen die Künstlerszene seit Ausbruch der Pandemie kämpft. Über ihre Karriere und ihre Projekte sprach mit Roxana Lăpădat die KR-Redakteurin Elise Wilk.

Liebe Roxana, du hast nach Abschluss des Honterus-Lyzeums in Bukarest Philologie- (Deutsch-Englisch) und Schauspiel studiert, danach folgte ein Master in Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Erzähl uns ein wenig über deinen beruflichen Werdegang.
In erster Linie freue ich mich wirklich sehr über dieses Interview, also vielen Dank dafür!
Um es relativ kurz zu fassen, noch während meines Schauspielstudiums habe ich im Schillerhaus in Bukarest als Kulturreferentin gearbeitet. Dann war ich - ebenfalls im Bereich Kulturmanagement, PR und Journalismus - zehn Jahre lang für das Verbindungsbüro der Stadt Wien in Bukarest (Compress Romania) tätig, zuerst als Pressereferentin und Bukarester Korrespondentin für das zweisprachige Online-Magazin wieninternational.at und die Printzeitschrift „Enjoy Vienna“. In dieser Zeit hatte ich, nebenbei, auch noch kleinere Projekte als Schauspielerin, zum Beispiel habe ich bei der Deutschen Welle in Bonn die Hauptfigur Anna für den Online-Actionsprachkurs „Mission Berlin“ aufgenommen. Und ich muss zugeben, auch als Schauspielerin waren die Deutschkenntnisse wertvoll. 2012 habe ich aber die Büroleitung übernommen und musste, leider, aus Zeitgründen die Theaterprojekte aufgeben. Das Bukarester Verbindungsbüro der Stadt Wien wurde Ende 2015 geschlossen, so dass ich zu CREART – das Zentrum für kreatives Schaffen, Kunst und Tradition der Stadt Bukarest – wechselte, wo ich zwei Jahre lang die Projektabteilung aus künstlerischer Perspektive koordiniert habe. Dabei war ich vor allem für die internationalen Festivals und für Kooperationen mit internationalen Kulturinstitutionen verantwortlich. Für relativ kurze Zeit habe ich auch im Österreichischen Kulturforum als Projekt- und Kommunikationskoordinatorin gearbeitet, bis ich im September 2018 zur ersten und großen Liebe – Theater – zurückkehrte, durch die Übernahme der künstlerischen Leitung von Teatrelli. 2020 ist dann auch noch die künstlerische Koordination des Filmgartens „Gr˛dina cu filme – Cinema & More” hinzugekommen.

Für die Leser, die sich in der Bukarester Theaterlandschaft weniger auskennen: Was ist Teatrelli und an welches Publikum richten sich die Theaterprojekte, die hier entstehen?
Teatrelli ist ein kleines Theater (verfügt über 90 Plätze), das zu CREART gehört. Als ich die künstlerische Leitung übernommen habe, galt es eher als ein Unterhaltungstheater, seit 2018 sind wir aber bemüht, die konventionelle Bühne in ein künstlerisch anspruchsvolles Theaterlabor mit Publikum zu verwandeln, durch die Umsetzung von innovativen Projekten. Dadurch, dass Teatrelli über eine modulare Struktur verfügt, ändert sich das Set-up des Saals fast von einer Produktion zur anderen, was für das Bühnenbild von innovativen Projekte ein großer Vorteil ist. Auch sind wir fest davon überzeugt, dass es ganz wichtig für die Bukarester Theaterlandschaft ist, dass es auch im Bereich der Subvetionstheater eine Institution gibt, die eben die Idee des künstlerischen Labors mit Publikum, sowie das Experiment im Bereich der darstellenden Kunst fördert.

Ich werde nicht fragen, wie es dir während der seit einem Jahr anhaltenden Coronakrise ging, da ich glaube, es ist eine Frage, die Kulturschaffende inzwischen satt haben. Stattdessen will ich dich fragen: Wie geht es weiter? Sind die für die Zukunft geplanten Projekte total verschieden von denjenigen, die vor Corona stattgefunden haben? Inwiefern hat sich eure Strategie geändert und an die Beschränkungen angepasst?
Nicht total, aber schon teilweise haben sich die für die Zukunft geplanten Projekte geändert. Selbstverständlich gibt es weiterhin Produktionen die halt für den Theatersaal gedacht sind, genau wie vor Corona. Es gibt aber auch Projekte, die wir an die neuen Bedingungen angepasst haben oder sogar für diese Zeitspanne entwickelt haben. 2020, noch kurz vor Corona, haben wir eine Serie von Performative Lectures, Work in Progress Produktionen / Performances gestartet. Es handelt sich dabei um Gegenwartsdramatik und um Texte die zum ersten Mal (in Rumänien) inszeniert werden. Konkret ist es die Rede von Aufführungen in verschiedenen Etappen, im Sinne eines Theaterlabors: das Publikum sieht zuerst eine Produktion in einer Embryo-Etappe, obwohl viele der Meinung sind, die Vorstellung ist schon vollkommen, und mit jeder Etappe kommt dann eine neue Interpretationsebene hinzu. Es ist eine Serie,die wir prioritär fortführen möchten. Dadurch, dass es für jede Etappe konkret relativ kurze Probezeiten gibt (von 7-14 Tagen, auch wenn die Arbeit im Vorfeld 1-2 Monate dauert), können die Etappen an die konkreten Bedingungen vor Ort angepasst werden. Anfang Mai haben wir beispielsweise, mit wirklich großem Erfolg, eine Work in Progress Performance – „INT. EXT.“ - in den Schaufenstern der Bukarester privaten Gegenwartskunstgalerie Galateca aufgeführt.

Es ist eine kollektive Performance, die das Befinden der Künstler während der Pandemie thematisiert und die von einem supertollen Team entwickelt wurde: Bobi Pricop, Mihai Păcurar, Teona Galgo]iu, Simona Dabija, Eduard Gabia, Kinga Ötvös, István Téglás. Es folgt dann Ende Juni eine andere Work in Progress Vorstellung von Eugen Jebeleanu, die die Grenze zwischen Theater und Film erforschen soll. Um nur einige Beispiele zu nennen.

Und, total unerwartet, in diesem so komplizierten Jahr für die ganze Kulturszene, wird endlich ein Traum wahr: eine Co-Produktion mit Rimini Protokoll, mit Unterstützung des Goethe-Instituts. Es handelt sich um „The Walks“, eine von Rimini Protokoll entwickelte Performance-Serie für bestimmte Orte und Körper in Bewegung. Eine App ist die Bühne des Projekts, also ist es eine Produktion, die auch während Corona-Restriktionsmaßnahmen passend ist und „aufgeführt“ werden kann. Die Audiodateien auf der App enthalten Instruktionen für Nutzerinnen und Nutzer, die ihre Nachbarschaft neu entdecken und mit ihr interagieren können. Das Gehen wird halt als theatrales Szenario konzipiert: dank Stimmen, Erzählungen, Geräuschen und Musik werden Schritt für Schritt vertraute Orte zu Theaterbühnen und Landschaften zu Szenografien. CREART/Teatrelli und das Goethe-Institut werden die Bukarester Ko-Produzenten sein.

Empfehle uns drei Vorstellungen, die man unbedingt bei „Teatrelli“ sehen sollte.
Allererst würde ich „Urban GIF Show“ nach einem Konzept von Florin Fieroiu erwähnen. Und ich tue das nicht, weil es sowohl für Florin, als auch für uns die erste und lang erwartete Zusammenarbeit mit dir, als Dramatikerin, markiert hat, sondern weil es die erste Vorstellung war, die nach dieser Labor-Struktur entwickelt wurde. Das ganze kreative Team ist wirklich hervorragend: Florin Fieroiu – Konzept, Vlaicu Golcea – Musik,  Cristina Milea – Kostüme und Bühnenbild, Elise Wilk – urbane Gedichte, Ioana Ila{ Bodale – Video, mit Nicoleta Lefter, Alexandra Mihaela Dancs, Simona Dabija, Paul Cimpoieru, Denis Bolbarea und Vlaicu Golcea als Performers.

Auf alle Fälle möchte ich auch „Feindschaft“  („Du{m˛nie”) nach einem Text und unter der Regie von Gabriel Sandu, mit Rodica Mandache, István Téglás und Edith Alibec erwähnen. Die Vorstellung hatte ihre Premiere im September 2020, also nicht lange her, und während Corona. Und wir hatten ein Riesenglück, die ersten drei Vorstellungen live spielen zu können.

Unbedingt muss ich auch „Maria de Buenos Aires” nennen. Es ist eine Vorstellung, die heuer, im Februar, zum ersten Mal aufgeführt wurde, in der Regie von Răzvan Mazilu, mit Live-Musik von Astor Piazzolla, mit Ana Bianca Popescu, Gheorghe Visu und Lucian Ionescu in den Hauptrollen, sowie Emy Dr˛goi live am Akkordeon. Drago{ Buhagiar hat dabei Teatrelli in ein verfallenes Bordell im Buenos Aires der 20er Jahre, mit einer unglaublichen Atmosphäre, mit alten Möbelstücken und alten Teppichen umgewandelt.

Ebenfalls kümmerst du dich um das Projekt „Grădina cu filme“. Letzten Sommer waren Kulturveranstaltungen unter freiem Himmel möglich und manche Festivals wie TIFF fanden ausschließlich im Freien statt. Was plant Ihr in diesen Sommer?
Seit letztem Jahr kümmere ich mich tatsächlich auch um den Filmgarten „Gr˛dina cu filme – Cinema & More”. Ganz bestimmt werden wir die Serie der rumänischen und europäischen Film-abende fortführen, sowie die Tanzfilmabende, die wir im Vorjahr mit großem Erfolg eingeführt haben. Ebenfalls soll der Filmgarten auch heuer zur Location einiger wichtiger Filmfestivals werden, wie das Bucharest International Filmfestival (BIFF) oder DokStation – Music Documentary Film Festival. Außerdem wird Anfang Juni im Filmgarten die erste Auflage eines Filmfestivals, das den Filmemacherinnen gewidmet ist, stattfinden, es handelt sich dabei um ein Projekt des EUNIC Romania Clusters – das Netzwerk der europäischen Kulturinstitute in Rumänien. Auch planen wir heuer zwei Open Calls vorzubereiten – einen Open Call für unabhängige Theatervorstellungen und -lektüren, sowie einen Open Call für New Band in Town. Außerdem werden akustische Konzerte, Artist Talks & More auf dem Programm stehen. Und was für den Filmgarten visuell als Kennzeichen gilt, sind die zwei Streetart-Wandarbeiten von Sweet Damage Crew und Radu Pandele.

Kommen wir zurück auf deine Schuljahre in Kronstadt. Du warst in der Schülertheatergruppe, die von Frau Carmen Puchianu geleitet wurde. Stammt von hier deine Leidenschaft fürs Theater?
Da ich in den ersten acht Klassen die deutsche Abteilung der 12er-Schule besucht habe, hatte ich leider nur noch in der 9. Klasse die Chance, Frau Puchianu als Deutschlehrerin zu erleben: und ich erinnere mich auch jetzt noch, wie wir während der Deutschstunden mit ihr auch Theater gespielt haben – beispielsweise hatten wir gruppenweise Fragmente aus dem „Nibelungenlied“ und aus „Nathan der Weise“ zu inszenieren. Sie wechselte, leider, gleich nach unserer 9. Klasse zur Uni. Aber – wie höchstwahr-scheinlich in jeder deutschen Schule – haben wir auch in der 12er Schule fast jährlich Theaterstücke inszeniert oder es gab die Krippenspiele und die Gedichtvorträge zu Weihnachten in der Bartholomäer Kirche. Ich weiß nicht, ob ich zu der Zeit schon eine Leidenschaft fürs Theater entwickelt hatte, es kam aber irgendwie ganz natürlich für mich, Theater zu spielen, aber es war nichts Besonderes. Dann bin ich zum Germanistik-Studium nach Bukarest gekommen und hier habe ich mich unwiderruflich ins Theater verliebt. Unter anderem gründete Carmen Iliescu eine kleine Theatergruppe der Germanistikstudenten und ich habe auch jetzt noch wunderbare Erinnerungen daran. Außerdem war es für mich die Zeit, wo ich die Bukarester Theaterlandschaft und den Gegenwartstanz entdeckt habe, was für mich einfach neue Welten geöffnet hat, so dass ich zwei Jahre nach dem Abschluss meines Germanistik-Studiums, auch aufgrund einer Krisenzeit in meinem Privatleben, entschieden habe, Schauspiel zu studieren. Und es war zweifellos eine der besten Entscheidungen, die ich getroffen habe.

Welches sind deine schönsten Erinnerungen aus der Schulzeit?
Wenn ich mich auf die Honterus-Zeit beziehe, dann waren es ganz bestimmt die Deutschstunden, die Frau Puchianu zu Theaterstunden umwandelte, die Rumänischstunden von Frau Dobrescu, die Deutschstunden von Manfred Egenhoff, von dem ich gelernt habe, frei meine Meinung auszusprechen und der auch noch ganz toll Gitarre spielte, die „Konzerte“ der Abschlußklassen, im Hofe des B-Gebäudes, bei denen jeder Prof „besungen“ wurde und, selbstverständlich, die Honterusfeste.

Besuchst du Kronstadt oft? Wie findest du, hat sich die Stadt in den letzten Jahren verändert?
Obwohl meine Eltern weiterhin in Kronstadt leben, schaffe ich es leider nur relativ selten (etwa 4 bis 5 Mal im Jahr) nach Kronstadt zu kommen. Abgesehen von der subjektiven Perspektive der Heimatstadt, der Kindheitsstraßen, des zu Hause im tiefsten Sinne des Wortes – was immer einen ganz besonderen Zauber auf mich ausüben wird – bin ich der Meinung, dass sich die Stadt in den letzten Jahren stark entwickelt hat, im besten Sinne des Wortes: und ich habe das nicht nur im Stadtzentrum bemerkt, sondern auch in den verschiedenen Wohnblock-Vierteln, wo beispielsweise auch meine Eltern leben. Außerdem verfügt die Stadt, vor allem im Sommer, wenn alle Schanigärten offen sind, über ein ganz kosmopolitisches Flair, in der historischen Szenerie, mit den alten Gebäuden, was mir unheimlich gefällt. Trotzdem ist es für mich auch jetzt noch unerwartet, dass während der Woche, außerhalb des Stadtzentrums, nach 20-21 Uhr alles ganz still wird.

Was fehlt, deiner Meinung nach, dem kulturellen Leben in Kronstadt?
Ich glaube, es fehlt in erster Reihe eine etablierte und vielfältige Theaterlandschaft, wenn ich das beispielsweise im Vergleich zu Hermannstadt, Klausenburg, Temeswar oder Neumarkt am Mieresch betrachte. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass es in Kronstadt keine Theaterhochschule gibt, aber ich glaube ehrlich, es ist mehr als das. Außerdem gibt es für die alternative Szene – mit Ausnahme des Amural-Festivals, das ich großartig finde – keine etablierten Events oder Festivals, die als ein Muss in der Agenda der Kulturliebhaberinnen und -liebhaber aus Rumänien und aus dem Ausland gelten sollen.

Wir danken für das Interview!