„Ein offenes Haus für Leute, die gerne singen“

Kronstädter Bachchor feiert runden Geburtstag

Hans Eckart Schlandt, langjähriger Leiter des Bachchors, hielt den Jubiläumsvortrag. Foto:Christine Chiriac

„Der Bachchor hat uns immer wieder mit schönen musikalischen Aufführungen beschenkt. Es waren bewegte Jahre, und es grenzt fast an ein Wunder, dass der Chor fortbestanden hat. Wir freuen uns über seine Geburtstagsfeier.“ Mit diesen Worten begrüßte der Forumsvorsitzende Wolfgang Wittstock die „Geburtstagsgäste“, die vergangene Woche dem Jubiläumsvortrag über den Kronstädter Bachchor beiwohnten. Die Geschichte der Singgemeinschaft wurde von ihrem langjährigen Leiter, dem Organisten Hans Eckart Schlandt, zusammengefasst. Er selbst war Schüler des Chorgründers, Victor Bickerich, und kennt die meisten Anekdoten aus erster Hand.

Bickerich war vier Jahrzehnte lang an der Schwarzen Kirche tätig und leitete den Männergesangverein, aus dem später der Bachchor hervorging. In Kronstadt gab es schon vor seiner Ankunft (1922) ein reges musikalisches Leben, doch was fehlte, war Bach-Musik. Bickerich gelang es, das Manko nachzuholen, indem er 1924 die erste Darbietung der „Matthäus-Passion“ leitete, 1929 die ungekürzte Fassung, zwei Jahre später die Erstaufführung der „Johannes-Passion“.

Dennoch wollten nicht alle Mitglieder des Männergesangvereins derart anspruchsvolle Werke einstudieren und Bickerich sah sich gezwungen, für die „Matthäus-Passion“ freiwillige Sänger zu suchen, die er im Januar 1933 zur ersten Probe traf. Es war die Geburtsstunde des Bachchors.
Der 23. August 1944 brachte die erste Zäsur in die Karriere der Singgemeinschaft. Zwangsinternierungen und Enteignungen betrübten die Stimmung, Instrumentalisten durften nicht mehr in der Kirche auftreten. Die darauffolgende Zäsur der Endfünfziger mit dem Schriftsteller- und dem Schwarze-Kirche-Prozess bezeichnet Schlandt als „die vielleicht traurigste Zeit in der Geschichte des Chors, den es vom November 1959 bis März 1960 praktisch nicht mehr gegeben hat.“

1962 trat Walter Schlandt die Nachfolge von Bickerich an. Unter seiner Stabführung wurden erneut größere Projekte mit bekannten Solisten in die Wege geleitet, wenngleich das Orchester mehrheitlich aus Laienmusikern bestand. 1965 übernahm Hans Eckart Schlandt von seinem Vater die Leitung des Bachchors. Er setzte Bickerichs Tradition fort, indem er Bachchor-Konzerte mit Feiern des Kirchenkalenders verband. „Meine schönste Aufführung war Bachs h-Moll-Messe nach dem Abschluss der Sanierungsarbeiten in der Schwarzen Kirche. Es war ein unvergessliches Konzert“, erinnert sich der Chorleiter. Leider bleibt ihm auch die schwierigste Zeit seines Wirkens in reger Erinnerung: das Abschiednehmen Anfang der neunziger Jahre, als die meisten Chormitglieder auswanderten.

Der Neustart gelang, die Geschichte ging weiter: 1993 gründete Hans Eckart Schlandt den Jugendbachchor; 2004 übernahm sein Sohn Steffen beide Chöre; ein Jahr danach konnten „Messias“ von Händel und „Elias“ von Mendelssohn aufgeführt werden. Später kamen Werke von Franck, Bruckner und Orff hinzu – sowie Adventskonzerte in kleinen, beinahe verlassenen Gemeinden. Im Bachchor singen zurzeit 34 Choristen aus sieben Konfessionen mit. Steffen Schlandt beschreibt das Ensemble als „offenes Haus für Leute, die gerne singen“ und bereitet die nächsten Stationen vor: das Chortreffen in Bekokten am 25. Mai, ein „Bachchorfest“ am 23. Juni sowie die Wiederaufnahme von „Elias“ im Rahmen der „Musica Coronensis“ im Oktober.