Ein Wanderweg voller Geschichten

Hörbeiträge über das obere Harbachtal als Smartphone-App

Erklärende Hörbeiträge über Smartphone für Wanderungen bei Seligstadt – eine begrüßenswerte Premiere. Foto: der Verfasser

Eine Wandertour in Rumänien bietet meist hügelige Landschaften, Sträucher, Bäume, Weiden und Gerüche. Rund um Seligstadt/Seliştat ist nun ein neuer Sinneseindruck hinzugekommen und Folgendes kann beobachtet werden: Eine Gruppe von Wanderern bleibt plötzlich stehen und bildet einen Kreis. Aus der Hosentasche holt man ein Smartphone hervor. Jeder einzelne beugt sich leicht über das Gerät, verstummt und lauscht. Was sie hören, ist nicht der neuste Musikhit aus den Charts, sondern eine von insgesamt zwölf Reportagen über das Leben in Siebenbürgen.

Rund acht Kilometer lang ist der erste Audiowanderweg Rumäniens, der von Seligstadt nach Bekokten/Bărcut führt. Die ersten Wanderer zeigten sich begeistert: „Es macht den Weg viel attraktiver“, freute sich einer der Teilnehmer. Zu hören gibt es nämlich Geschichten rund um die Siebenbürger Sachsen und das Leben in den Dörfern des oberen Harbachtals. Wie es vor vielen Jahren einmal war und mit welchen Problemen die Anwohner heute noch zu kämpfen haben. So erzählt ein alter Mann von den sogenannten Nachbarschaften. Das ist ein Zusammenschluss von Dorfbewohnern, die sich stets in allen Lebenslagen zur gegenseitigen Hilfe verpflichtet haben. Themen sind auch immer wieder die Auswanderungswellen, von denen die Bewohner erzählen. Bei der letzten offiziellen Erhebung hat man 36.000 Deutsche in Rumänien gezählt. Nach dem ersten Weltkrieg waren es schätzungsweise 500.000 bis 800.000.

Warum die idyllische Stille auf dem Wanderweg manchmal durch lautes Artilleriefeuer unterbrochen wird, ist ebenfalls in einem der Beiträge zu hören. Darin erzählt ein ehemaliger Reserveoffizier der Bundeswehr, dass sich gleich neben dem Wanderweg das größte militärische Übungsfeld der NATO in Rumänien befindet. „Die Geschichten sollen einen Einblick in das Denken der Bevölkerung geben“, sagt Johannes Klein, Pfarrer und Leiter des Jugendzentrums Seligstadt. „Es geht hier nicht nur um reine Wissensvermittlung. Die Audiobeiträge sind eine Collage von Sichtweisen.“

Deutsche und rumänische Schüler und Studenten im Alter von 16 bis 28 Jahren haben einen Teil der Hörbeiträge unter professioneller Anleitung selbst erstellt. Radioprofis haben die Beiträge dann rund gemacht. Initiiert wurde das Projekt durch Anne Wiebelitz und Antonia Schwarzmeier in Zusammenarbeit mit dem Jugendzentrum Seligstadt und der Unterstützung des Instituts für Auslandsbeziehungen.

„Seligstadt ist ja nur 30 km von Fogarasch/Făgăraş entfernt. Trotzdem ist das Leben dort so anders, als in der Stadt. Die Leute leben einfacher und haben trotzdem spannende Perspektiven auf das Leben. Der Audiowanderweg versucht das zu widerspiegeln“, so Anne Wiebelitz.

Wer den Audiowanderweg und seine Geschichten kennenlernen möchte, der benötigt vor allem ein Smartphone mit GPS (Global Positioning System). Die App mit den Hörbeiträgen kann auf der Homepage des Jugendzentrums heruntergeladen werden. Sobald man sich mit dem Telefon in Reichweite der Wegpunkte befindet, spielt die Applikation die Audiodateien automatisch ab. Bislang ist die App nur für Android-Systeme verfügbar. Neben einer deutschen Version, soll es künftig auch noch eine rumänische geben. Wer selbst kein Smartphone besitzt, kann nach Voranmeldung (Tel.: 0268/211/994; klein@deltanet.ro) eines ausleihen.

Die ersten Teilnehmer waren sich am Ende nach einer regnerischen Wanderung durchweg einig. „Wir sind nass, aber begeistert”, so ihre Schlussfolgerung.