Eine Ironikerin mit sprunghaftem Arbeitsstil

Gespräch mit der Kronstädter Schriftstellerin Carmen Elisabeth Puchianu

Carmen Elisabeth Puchianu in der KR-Redaktion
Foto: Hans Butmaloiu

Dr. Carmen Elisabeth Puchianu ist Lehrstuhlinhaber für Germanistik (Deutsche und Rumäniendeutsche Literatur) an der Philologischen Fakultät der Transilvania-Hochschule Kronstadt. Dem breiten Publikum dürfte sie aber besser bekannt sein als Schriftstellerin und Dichterin, die in ihrer Heimatstadt lebt und schreibt, die auch das Studententheaterensemble „Die Gruppe“ betreut bei deren Aufführungen sie mit viel Freude und Engagement mitspielt. Über ihre literarische Tätigkeit, den Schreibprozess, über  ihren ersten Roman „Patula lacht“, der unlängst im Passauer Verlag „Stutz“ erschienen ist und inzwischen in Kronstadt, Hermannstadt und Bukarest vorgestellt wurde, sowie über ihre Vorhaben spricht Carmen Elisabeth Puchianu im nachfolgenden Interview, das in der KR-Redaktion aufgenommen wurde.


Wie verbinden Sie Ihre schriftstellerische Tätigkeit mit Ihren anderen künstlerischen und beruflichen Tätigkeiten?

Die vielen künstlerischen Bereiche, mit denen ich mich beschäftige, hängen sehr eng miteinander zusammen. Letztendlich konvergieren sie alle irgendwie auf das Schreiben. Einerseits befasse ich mich  auf der Bühne mit Theateradaptionen, wo ich dann meistens sehr bekannte Texte aus meiner persönlichen Sicht aufarbeite, an meine theatralischen Zwecke anpasse und letztendlich auch dort etwas Neues schaffe. Auf der anderen Seite ist mein ziviler Beruf sozusagen, mit dem ich ja meinen Lebensunterhalt verdiene, auch sehr eng an das Schreiben gebunden, also  an die Literatur.

Ich unterrichte schon seit mehr als 30 Jahren Literatur in verschiedenen Formen, davon die letzten 15 oder schon mehr an der Universität im Umgang mit Studenten, wo ich Literaturwissenschaft betreibe oder betreiben sollte. Meine Neigungen gehen auch dort mehr ins Kreative und ich versuche den Studenten den Zugang zu literarischen Texten über die kreative Schiene zu ermöglichen. Insofern habe ich fast ständig mit dem Schreiben zu tun, was aber nicht heißt, dass ich ständig schreibe.

Im Gegenteil: es gibt Abschnitte in meinem Leben, wo ich so gut wie gar nichts eigenes Literarisches habe schreiben können, weil für mich alle anderen Aktivitäten, vor allem mein Beruf und der Alltag an sich, sehr fordernd sind. Ich bin allein und auf mich selber gestellt und muss alles selbst machen, angefangen vom Hundespaziergang bis zur Hausarbeit, bis zum Einkauf und natürlich der ganzen Unterrichtsvorbereitung. Es hat Zeiten gegeben, wo ich auch selber sehr gezweifelt habe an meinem Status als Schreibende, als Schriftstellerin. Es hat Momente gegeben, wo ich gedacht habe, dass ich das eigentlich alles nicht machen kann.

Kostet es Sie viel Kraft oder Zeit literarisch aktiv zu sein? Setzt das auch Verzicht oder Opfer voraus?

Ja, es kostet mich schon sehr viel Kraft und vor allem Zeit, die ich eben so wenig habe. In geringem Maße bleibt mir die Zeit, wo ich sagen kann: jetzt kann ich mich einfach hinsetzen und schreiben.

Auf der anderen Seite bin ich eher undiszipliniert in dieser Beziehung. Ich bin nicht der Typ, der plant, von 20 bis 22 Uhr zu schreiben. Oder: Heute schreibe ich das und das und morgen schreibe ich ein Gedicht. Das kann ich nicht  – aus sehr persönlichen Gründen. Ich bin nicht so veranlagt: Ich beneide alle, die das können. Opfer? Ja, es verlangt mir auch Opfer aber in dem Sinne, dass ich zum Beispiel eine Idee für einen Text habe, oder ich wache manchmal mit einem Satz  im Kopf auf und den möchte ich unbedingt aufschreiben und komm dann einfach nicht dazu. Irgendwann ist die Idee, ist der Satz weg und ich empfinde das dann als ein Opfer, dass ich diesen Satz, diese Idee aufgeben musste, einfach weil ich nicht Zeit oder die Selbstdisziplin hatte, sie in den Momenten aufzuschreiben, als sie da waren.

Wird manches bereits Geschriebene umgestaltet, neu erarbeitet?

Ja, im Prinzip schon. Bleiben wir bei dem Vergleich mit dem Satz. Es hängt davon ab, was der Satz mir vorgibt, was er mir suggeriert. In der Zeit, wo ich hauptsächlich Lyrik geschrieben habe, funktionierte mein Schreiben so, dass ich ein Gedicht niederschrieb ausgehend von irgendeinem manchmal sehr kleinen Impuls. Wenn ich auch am nächsten oder übernächsten Tag den Text akzeptabel fand, dann behielt ich ihn als ein Gedicht, das man eventuell verwerten könnte.

Wenn das aber nicht zutraf, dann verwarf ich einfach den Text. Bei der Prosa läuft es ähnlich: Das heißt, wenn ich kurze Texte schreibe, gelingt es mir meistens sehr abgerundete, kompakte Sachen zu produzieren. Das heißt dann für mich, dass sie gut sind. Natürlich werde ich sie hin und wieder noch vornehmen. Es gibt  immer so eine Periode – die Rumänen sagen „punem la dospit“, der Teig muss gären - der Text auch. Der ruht dann, die erste Überarbeitung findet meistens sehr viel später statt. Beim Schreiben eines Romans ist das natürlich wesentlich schwieriger und in diesem Fall geht es auch gar nicht ohne eine wiederholte Überarbeitung.

Wie lange haben Sie an „Patula lacht“ gearbeitet?

Sehr lange Zeit. Von Anfang an wollte ich Prosa schreiben, einen Roman schreiben. Ich habe mir immer gewünscht, selber einen epischen langen Atem entwickeln zu können. Das klappte nicht von Anfang an. Viele  Jahre  habe ich nur Gedichte geschrieben, auch auf dem Hintergrund der Ceauşescu-Zeit, wo es mir auch einleuchtete, dass man im lyrischen Text eher Freiheit finden kann, sich metaphorisch auszudrücken, ohne dass man dem System große Kompromisse anbietet.

Ich habe immer wieder angesetzt, einen Roman zu schreiben. Es gibt ein kleines Manuskript (40 der 50 Typoskriptseiten) aus den frühen 80er Jahren, das ich in englischer Sprache geschrieben hatte. Immer wieder habe ich angesetzt und ich habe es immer wieder sein lassen, weil ich gemerkt habe: Man kann keinen Roman einfach so aus dem Ärmel schütteln, man braucht selber auch die Reife um einen anspruchsvollen Text verfassen zu können.

Ich habe dann schließlich und endlich 2003 nochmal einen Anlauf genommen zu diesem Buch und habe mehr oder weniger kontinuierlich und konsequent dran bis 2010 geschrieben. Wie gesagt, es hat Zeiten gegeben, wo ich monatelang, vielleicht auch ein Jahr lang, nichts dran gemacht habe. Weil ich nicht die Zeit hatte oder mir die physischen und mentalen Ressourcen gefehlt haben. Als ich etwa ein Drittel des heutigen Textes geschrieben habe, habe ich das meinem Verleger nach Passau geschickt. Und der war richtig begeistert von dem, was ich und wie ich das geschrieben hatte.

Ich betone das, weil er immer sehr kritisch ist. Ich hatte dann gemerkt, ich könnte den Roman schreiben, aber auf gar keinen Fall in einer klaren traditionellen Struktur, wo man von A bis Z eine kontinuierliche Handlungslinie verfolgen kann. Das Konzept der Gedankenassoziationen, des immer Hin- und Herspringens aus einer Zeitebene in die andere, aus einer Perspektive in die andere ist das einzige Prinzip, das ich durchhalte und das mir auch diesen sprunghaften Arbeitsstil gestattet.

Sie sind eine deutsch schreibende Schriftstellerin in Rumänien. Welchen Stellenwert messen Sie dieser Tatsache zu?

Die deutschsprachige Literatur in Rumänien hat schon einen etwas schwierigen Stand. Vor allem nach der Wende. Damit sage ich ja nichts Neues. Die wenigen Autoren, die noch hier leben und schreiben, konfrontieren sich zum Einen mit der Situation, dass sie in Rumänien ein sehr geringes Publikum direkt ansprechen können.

Das heißt, dass die Rezeption dieser Literatur in Rumänien auf einer sehr kleinen Ebene stattfindet und auch in einer Weise, die die Autoren vielleicht nicht immer beglückt oder die von ihnen nicht so erwünscht wird. Ich war vor Kurzem in Hermannstadt, habe dort mein Buch vorgestellt und hatte die freudige Überraschung erlebt, dass wesentlich mehr Leute gekommen sind, als ich mir vorgestellt hatte. Insofern war es ein positives Erlebnis.

Ich habe auch feststellen können, dass die Passagen, die ich vorgelesen habe, sehr gut angekommen sind. Aber im Großen Ganzen waren die Reaktionen so formuliert, dass man eigentlich mehr daran interessiert war, inwieweit eine solche Geschichte die eigene Geschichte wiedergibt oder der eigenen Geschichte nachempfunden wird, oder inwieweit eine klare Identifizierung der Personen mit realen Personen nachvollziehbar wäre.

Das ist eine Rezeptionsweise, die für die Autoren natürlich nicht eine ausschlaggebende Art der Rezeption bedeutet. Es wäre für einen Autor genauso wichtig oder sogar wichtiger, ein Feedback über die schreibtechnischen Aspekte zu bekommen, über Art und Weise, wie Realität in Literatur umgewandelt wird. Das ist das, was der Autor eigentlich macht, was er dann bestätigt haben möchte. Ästhetische Qualitäten sollten eher im Vordergrund stehen als diese, sagen wir, empirische, unmittelbare Oberfläche des Buches. Die kritische Rezeption fehlt.

Die andere Schwierigkeit wäre die Tatsache, dass man der rumänischen Literatur gegenüber einen Stand zu vertreten hat und dass man in dieser großen Szene der rumänischen Literatur eben sehr wenig wahrgenommen wird. Auch auf Grund dessen, dass die Bücher nicht sofort und nicht alle ins Rumänische übersetzt werden können.

Nach der Wende kamen mit der  Freiheit auch neue Themen als Impulse fürs Schreiben. War das in Ihrem Fall  auch so?

Ja, auf jeden Fall. In den ersten Jahren nach dem Umsturz, Anfang der 90-er Jahre, habe ich sehr wenig Literarisches geschrieben. Ich habe mich richtiggehend verzettelt in sehr spontanen, meistens überkritischen Glossen oder, wie soll ich es nennen?, Ausbrüchen in der deutschsprachigen Presse.

Eben weil man das Bedürfnis hatte, von der Leber weg, alles zu sagen was einen beschäftigte, auch z. B. im Kontext der Auswanderung der deutschsprachigen Minderheit. Nachdem man in den 80er Jahren immer nur in der Metapher lebte, sich nur metaphorisch ausdrücken konnte, waren nun alle Dämme gebrochen. Anschließend habe ich mich, Gott sei Dank, von dieser Euphorie erholt und habe mich wieder meiner eigenen Literatur zugewendet und dann auch diesen Themenbereich aufgegriffen: das Leben in einer schwindenden Gemeinschaft im Verhältnis zu der mehrheitlichen Gemeinschaft. In den letzten Jahren hat mich das zunehmend  beschäftigt.

Natürlich aus der Perspektive meiner eigenen Situation, meiner eigenen Biografie und der Familie aus der ich komme, wo drei Kulturen und drei Sprachen zusammen gekommen sind. Dieses interkulturelle Thema, das auch, könnte man sagen, als Modetrend behandelt wird, habe ich versucht, aus einer, meine ich, sehr authentischen Perspektive anzugehen und zu zeigen, dass dieses viel gepriesene, wunderbare Miteinander im realen Leben, im Alltag einer Familie eigentlich gar nicht so zustandekommen kann. Insofern geht man als Schriftstellerin immer mit, mit der Thematik, mit der Zeit und den Wandlungen die sie begleiten.

Wenn diese Wandlungen, wie im Falle der Auswanderungswelle, negative Folgen haben, wirkt sich das nicht   bedrückend aus und beeinflusst es nicht auch die Perspektive des Autors?

Ehrlich gesagt, wenn ich schreibe, denke ich weder an die Sachsen, noch an die Rumänen oder an andere. Ich denke einfach daran, dass ich etwas los werden will, dass ich mir etwas von der Seele schreiben will. Ich glaube, das ist bei allen Autoren ähnlich. Ich bin an und für sich eine Ironikerin, nicht wirklich pessimistisch. Eher eine Skeptikerin, eine Ironikerin eben. Ich bemühe mich, das den Lesern in meinen Geschichten zu zeigen.

Dem, sagen wir, Gemeinschaftspessimismus in Bezug auf die vom Untergang bedrohten Sachsenkultur halte ich etwas entgegen, wovon ich meine, dass es allem zum Trotz lebensfähig ist. Es gibt Dinge,  über die man sich aufregen muss und das betrifft zum Beispiel auch das Verhältnis zur kommunistischen Vergangenheit. Man kann sich nicht immer und ewig als ein Opfer jener Zeit betrachten, man muss irgendwann auch  die Größe oder die Fähigkeit haben, sich darüber  hinwegzusetzen und dieser Zeit auch etwas Anderes abgewinnen. Zumindest sich über die Zeit mokieren  und nicht ständig das Gefühl haben, die Securisten säßen einem im Nacken. Selbst wenn sie einem vielleicht tatsächlich noch im Nacken sitzen ...

Die Aufarbeitung sollte also eher den Historikern und anderen Fachleuten überlassen werden als den Literaten...

Vielleicht eher den Literaten als den Historikern und Soziologen, weil sie die Dinge aus einer völlig anderen Perspektive darstellen. Ganz konkret: In meinem Roman erzähle ich eine Episode, wo die Protagonistin als junge Frau zur Securitate zitiert wird. Sie kennt den Grund nicht und wird auch nie erfahren, warum sie dorthin gerufen wurde.

Sie ist sich keines besonderen Vergehens bewusst, aber sie weiß auch, dass sie mit diesen Leuten nichts zu tun haben will. Es wird eine richtig skurrile Szene erzählt – eine Art Verhör die zwei Securisten veranstalten. Am Ende muss die junge Frau eine Erklärung abgeben und die auch unterschreiben. Die erzählte Situation, die an sich eine erschreckende sein könnte, mit der sich wahrscheinlich sehr viele, die die frühere Zeit erlebt haben, identifizieren können, wird mit einem Schlag relativiert. Man sieht, inwieweit man damals auf diese Weise überleben konnte. Für mich ist diese ironische Betrachtungsweise schon sehr früh zu einer Lebenshaltung geworden ohne die ich wahrscheinlich vieles nicht hätte verkraften können.

Was können Ihre Leser in Zukunft von Ihnen erwarten?

Es gibt ein Zukunftsprojekt, das kann ich hier preisgeben: Ich arbeite bereits an einem nächsten Buch.  Ich  will es nicht unbedingt Roman nennen, man weiß ja nie, was am Ende herauskommt Es wird mit der Patula-Geschichte einigermaßen verknüpft sein.

Es wird eine Art Abschluss zu ihrer Geschichte bieten. Auch dort wird wohl die eine oder andere Episode an die 80er Jahre erinnern. Auf der anderen Seite: Unsere Gegenwart entbehrt nicht gerade solcher Themen, die einen immer noch ein bisschen an die kommunistische Zeit erinnern. Ich vermeide es, nicht nur Lokalitäten genau zu benennen (mit einigen Ausnahmen) sondern  auch Zeiten sehr konkret festzulegen.

Ich selber bin eher unpolitisch veranlagt im Sinne, dass ich keiner Partei angehöre und meine, dass man auch nicht so einseitig der einen oder anderen Tendenz frönen sollte. Andrerseits ist man nolens-volens immer politisch, wenn man sich mit seiner Zeit auseinandersetzt.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte
Ralf Sudrigian