Eine Reise durch die Ukraine

Teil 1: Zugfahrt nach Kiew und der Platz der „himmlischen Hundert“

Ein Blick auf den Maidan

Touristen vor dem Foto eines ukrainischen Rockstars, der bei der Maidan-Demonstration im Februar 2014 sein Leben verlor

Hohe Gebäude und breite Straßen prägen das Bild von Kiews Altstadt
Fotos: die Verfasserin

Auf dem Bahnhof der moldawischen Hauptstadt Chişinău riecht es nach Lindenblüten. Neben den Behnhofskassen schwimmt ein oragenfarbener Fisch in einem Aquarium. Rechts vom Aquarium befindet sich ein improvisierter Mini-Altar mit ein paar orthodoxen Ikonen und mehreren Plastikblumen. Der Raum ähnelt mehr einem kuriosen Museum als einem Wartesaal. Auf dem Bahnsteig sind kaum Menschen zu sehen. In der Moldau fährt man lieber mit der „Rutiera“ oder der „Marschrutka“- das ist ein kleiner, weißer Sprinter mit 10 bis 20 Plätzen, in den man oft auch 30 Leute hineinstopft. Das Geld für die Karte wird von Mensch zu Mensch gereicht, bis es nach vorne zum Fahrer gelangt. Zugfahrten sind weniger populär- besonders, weil sie teurer sind. Auf Gleis 2 wartet ein tannengrüner Zug. Auf den Tafeln, die an den Waggons angebracht sind,  steht in kyrillischen Buchstaben: „Chişinău-Moskau“. Die Abfahrt ist für 21.30 Uhr eingeplant. Erst am übernächsten Tag um 5.00 Uhr morgens wird der Zug in der russischen Hauptstadt ankommen. Das sind 31 einhalb Stunden.

„Mit diesem Zug fahren die Leute, die in Moskau arbeiten. Er ist aber viel zu teuer- umgerechnet etwa 100 Euro. Da nimmt man besser das Flugzeug“, meint einer der Kontrolleure. Ein Ticket mit der Fluggesellschaft „Air Moldova“ kostet, falls man es rechtzeitig kauft, nur 50 Euro. Bis nach Kiew zahlt man 1100 MDL (etwa 50 Euro) für einen Platz im Liegewagen. Falls man zu zweit reist, bekommt man von der netten Frau am Schalter das ganze Abteil mit vier Liegen nur für sich. Mit einer 17stündigen Fahrt von Chişinău nach Kiew begann an einem Juniabend unsere abenteuerliche Reise in die Ukraine. Sie führte mit dem Zug in die ukrainische Hauptstadt, von dort in die malerische Hafenstadt Odessa, danach mit dem Bus zurück nach Chişinău und anschließend nach Kronstadt. In einer Woche wurden alle unsere Vorurteile, was die Ukraine betrifft, zerstört. Es ist ein Land voller Überraschungen, das auf jeden Fall eine Reise wert ist.

17 Stunden mit dem Nachtzug

Das auswärtige Amt Bukarest warnt auf seiner Webseite vor Reisen in die Ukraine. „Vermeiden Sie Reisen, die nicht unbedingt nötig sind“, steht es dort mit roten Buchstaben. Auf der Liste der Städte, die man besser vermeiden sollte, steht auch Odessa, eines unserer Reiseziele.
Seit Frühjahr 2014 finden in der Ukraine bewaffnete Auseinandersetzungen statt. In Folge eines in Minsk vereinbarten Friedensplans haben sich die Kämpfe aktuell zwar abgeschwächt, könnten aber zur jeder Zeit eskalieren. Als der Zug den Bahnhof aus Chişinău verlässt, ist der Himmel schon tintenblau. Auf den Fluren des Liegewagens geht das Zugpersonal auf und ab. Nachdem alle Karten kontrolliert werden, ziehen sich die Leute in den Speisewagen zurück, wo sie aus großen Plastiktaschen Tomaten, Zwiebel, Käse und Brot auspacken und zu Abend essen. Dazu hören sie russische Schlager aus einem alten Kasettenrekorder. Gegen Mitternacht wird es still. Man hört nur den Klang der Räder auf dem Gleis. Die ganze Nacht hindurch fährt man durch die Moldau. Am frühen Morgen um 7 Uhr erreicht der Zug den Grenzort Vălcineţ. 

Hitze, Staub und kein Englisch

Nach der Passkontrolle geht es weiter durch die Ukraine. In manchen Stationen hält der Zug länger. Dann hat man Zeit, auszusteigen. Auf einem unbekannten ukrainischen Bahnhof verkauft eine alte Frau Erdbeeren und Himbeeren. Sie haben einen Geschmack, der an die Kindheit erinnert. Wir essen sie im Speisewagen mit roten Tischtüchern. Dazu bestellen wir Kaffee. Die nette Kellnerin winkt ab, als wir zahlen wollen. Der Nescafe sei im Preis der Zugfahrt inbegriffen, meint sie zwinkernd. Gegen Mittag sind alle Tische des Speisewagens besetzt. Es gibt Krautsuppe und als zweiten Gang Nudeln mit Kraut, dazu Salat und frisches Brot.

Ein junger blonder Mann namens Vasili, der spitze weiße Schuhe mit Krokodil-Muster trägt und auch in Kiew aussteigen wird, meint, wir könnten bei ihm Euro in Ukrainische Griwna wechseln. Die Kellner aus dem Speisewagen übersetzen für uns aus dem Ukrainischen ins Rumänische. Wir erklären ihm, dass wir ins Stadtzentrum müssen, wo unsere Airbnb-Gastgeberin Irina in der Wohnung wartet, die wir für drei Nächte gemietet haben. Nach einer halben Stunde Dolmetschen, Google Translate und ein wenig Englisch erklärt Vasili sich bereit, Irina von seinem Mobiltelefon anzurufen und uns anschließend zur Wohnung zu bringen.

Auf dem Bahnsteig nimmt er unsere Koffer und geht voran. Wir folgen ihm ein wenig ängstlich. Fast unerträgliche Hitze herrscht an diesem Juni-Nachmittag in Kiew. Vor unseren Augen erscheinen riesige, graue Wohnblocks. Wir gehen an mehreren Basaren vorbei, wo China-Ware aus Plastik verkauft wird. Alles scheint staubig zu sein. Die U-Bahn ist gesperrt. Eine Polizistin kann  mir nicht erklären, warum. Sie sagt bloß „Bus to University“.  Vasili sagt: „Let´s go“ und deutet auf eine Marschrutka-Haltestelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite. In der Haltestelle verbringen wir fast eine halbe Stunde. Kleine, gelbe Busse halten an und fahren weiter. Vasili winkt jedes Mal mit einem „No“ ab. Dann zeichnet er drei Ziffern auf ein Papier: 229. Das ist der richtige Bus.

Günstige Wohnungen nach dem Fall der Griwna

Die Hitze wird fast unerträglich. Nach insgesamt 10 Stunden Fahrt mit Zug und Auto von Kronstadt nach Chişinău und weiteren 17 Stunden mit dem Zug würde man ein Vermögen für eine Dusche ausgeben. Endlich steigen wir in den Bus 229 ein, der bis zum Kiewer Unabhängigkeitsplatz „Maidan“ hält. Dort steigen wir aus. Vasili ruft Irina an, fragt noch 2-3 Passanten nach dem Weg und in kurzer Zeit stehen wir vor der Wohnungstür. Unsere Gastgeberin spricht kein Wort Englisch. Sie zeigt uns die Wohnungsschlüssel, sagt etwas auf Urkainisch und verschwindet. Vasili sagt höflich „Let´s go“ und geht auch. Touristenwohnungen sind zur Zeit in Kiew besonders günstig. Die Dreizimmerwohnung, die wir gemietet haben, liegt im Herzen der Stadt und kostet knapp 10 Euro pro Person pro Nacht. Die Landeswährung Griwna ist als Folge der anhaltenden Spannungen in der Ukraine auf einen historischen Tiefstand im Vergleich zu Euro und Dollar gefallen.

Unsere Wohnung liegt in einer Gegend mit breiten Straßen, riesengroßen, imponierenden Gebäuden und vielen Bäumen. Das sieht schon ganz anders aus als in der Gegend des Bahnhofs. Auf dem Kühlschrank in Irinas Küche sind Magnete mit der Europa-Fußballmeisterschaft 2012 angebracht. Damals gab es in Kiew einen Touristenandrang. Trotzdem hat man den Eindruck, dass hier niemand Englisch spricht. Die kyrillischen Buchstaben machen das Ganze noch schwerer. In den Restaurants muss man eine englische Speisekarte verlangen. Doch nicht überall ist eine vorzufinden. Eins ist sicher: falls man die Ukraine besuchen will, sollte man jemanden dabei haben, der Ukrainisch oder Russisch spricht.

Der Maidan und die Schokolade des Präsidenten

Der erste Tag in Kiew beginnt mit einem Besuch des Maidan. Hier versammelten sich im Herbst 2013 tausende Ukrainer, um Präsident Janukowitsch zu stützen und eine Wende herbeizuführen. Am 20. Februar 2014 kam es hier zu blutigen Auseinandersetzungen. Rund einhundert Demonstranten wurden erschossen. Zweieinhalb Jahre sind seit dem „Tag der himmlischen Hundert“ vergangen. Blumen und bunte Trauerkerzen zeugen davon, dass sie nicht vergessen wurden. Ihre Fotos schmücken eine Seite des Maidan. Vom  Unabhängigkeitsplatz startet die knapp zwei Kilometer lange Hauptstraße  „Kreschatik“. Der Boulevard ist teilweise bis 100 Meter breit. Hier findet man die üblichen Zaras, Mangos und McDonalds, viele Cafés und Restaurants, die eher Touristenfallen sind. In einem kleinen, zierlichen Laden findet man Schokoladenspezialitäten aus Lviv, köstliche heiße Schokolade und handgemachte Kühlschrankmagneten in Katzenform.

Doch nicht nur Lviv-Schokolade ist gut. Wer gerne Süßigkeiten ausprobiert, sollte „Roshen“-Schokobonbons kaufen. „Roshen“ ist ein 1996 in Kiew gegründeter Süßwarenhersteller, dessen Name eine Herleitung des seit 2014 regierenden ukrainischen Staatspräsidenten Petro Poroschenko ist, der auch Eigentümer der Schokofarbik ist. Jährlich produziert Roshen bis zu 450.000 Tonnen Süßigkeiten. Aber auch das Eis schmeckt köstlich. Besonders zu empfehlen ist „Plombir“, eine russische Einsspezialität, die sich an die französische Eissorte „Glace plombière“ anlehnt. Das Original stammt aus der Epoche Napoleons III. Ein Plombir-Eis kostet nicht mehr als 10 Griwna, das sind umgerechnet etwa 1,6 Lei.