Eine Reise in die Ukraine

Teil 2: Elsas Ozean, ein Flug über den Dnjepr und das jüdische Viertel

Uferpromenade am Dnjepr

Über 80.000 Besucher hatte laut Medienberichten das Konzert der Band Okean Elzy am 18. Juni 2016 im Olympiastadion von Kiew

Auf einer Gleitseilbahn kann man über den Dnjepr fliegen.
Fotos: die Verfasserin

Bei der U-Bahn-Station “Maidan Nesaleschnosti” (Platz der Unabhängigkeit) fahren wir mit einer Rolltreppe in die Tiefe. Es ist die längste Rolltreppenfahrt meines Lebens. Ich googele gleich „tiefste U-Bahn der Welt“ und der Treffer ist tatsächlich Kiew. Die ukrainische Hauptstadt hat eines der tiefstgelegenen U-Bahn-Systeme der Welt. Die tiefste Station der ganzen Welt, „Arsenalnaja“, liegt 105,5 Meter unter der Erde. Genau „Arsenalnaja“ ist unser nächstes Ziel. Die Station liegt am Arsenalplatz in der Nähe des Kiewer Höhlenklosters, das wir besuchen wollen. Eine Fahrt mit der U-Bahn kostet 4 Griwna. An der Kasse bekommt man einen grünen Kunststoffchip namens „Zheton“, den man einwerfen muss.

Aus der tiefsten Station der Welt kommen wir wieder an die Oberfläche und besuchen das Höhlenkloster „Lavra“, eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der ukrainischen Hauptstadt. Mehr als eine Million Touristen besuchen jährlich dem Klosterkomplex, der seit 1990 zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt. Vor dem Eingang in die Höhlen müssen sich alle Frauen lange Röcke umbinden, die ihre Beine komplett bedecken, und ein Kopftuch anlegen. In den künstlich geschaffenen Höhlen, die wir betreten, haben seit dem 12. Jahrhundert Mönche von der Welt komplett abgeschieden versucht, sich durch ihr Gebet Gott zu nähern. Die langen Höhlengänge umfassen kleine Mönchszellen und winzige unterirdische Kirchen. Auch werden die Höhlen als Bestattungsort verstorbener Mönche genutzt. Entlang der Gänge stehen in Nischen die Särge mehrerer Mönche, deren Körper sich im Laufe der Jahrhunderte mumifiziert haben.
Durch die Höhlen geht man mit einer angezündeten Kerze.

Ein gelb-blauer Ozean

Für die Rückfahrt auf den Maidan bestellen wir ein Taxi. Auf längeren Strecken und wenn man nicht mit dem Kleinbus oder der Metro fahren will, lohnt sich eine Taxifahrt auf jeden Fall, die Preise sind niedriger als in Bukarest. Am Telefon bekommt man Informationen über die Automarke des Taxis, die Wartezeit und den Preis. Etwa: „Weißer Wolga, 20 Minuten, 40 Griwna“. Am Maidan betreten wir noch einen Souvenirladen. Es sind die leuchtend bunten und reich bestickten Kleider und Blusen im Schaufenster, die uns hineingelockt haben. Die berühmte ukrainische Folklore-Bluse „Vyshyvanka“ gibt es mit Mustern in allen möglichen Farben. Auf der Straße haben wir viele junge Frauen gesehen, die diese Bluse tragen. Auch viele junge Männer sind mit traditionelle bestickte Hemden angezogen. Die Blusen sind handgefertigt und kosten nicht viel- die Preise fangen bei 500 Griwna an (umgerechnet 80 Lei).

Im Souvenir-Laden werden ukrainische Fahnen und Accessoires in den Farben der Flagge angeboten: Handyhüllen, Feuerzeuge, Ohrringe, T-Shirts, Schlüsselanhänger, Blumenkränze- alles ist gelb-blau. Außerdem kann man hier (und auch auf den Verkaufsständen im Freien) Klopapier mit Putins Gesicht kaufen. In ein Meer von ukrainischen Flaggen, blauen und gelben Blumen und Folklore-Motiven hat sich am Nachmittag des 18. Juli das Olympische Stadion in Kiew verwandelt. Hier hat das Endspiel der Fußball-Europameisterschaften am 1. Juli 2012 (Spanien gegen Italien) stattgefunden.

An diesem Abend findet kein Fußballspiel im Stadion statt, sondern ein Konzert, auf das die Kiewer schon seit 2 Jahren fieberhaft warten. Okean Elzy (deutsch: Elsas Ozean), die vielleicht beliebteste Rockband der Ukraine, hatte im Juni 2014 ihr 20jähriges Bestehen gefeiert. Angesichts der angespannten Lage im Land wurde es zu einem Konzert für die Einheit der Ukraine. Die Band, die sich auf sozialer Ebene engagiert, war auch während der großen Demonstrationen auf dem Maidan aufgetreten. „Okean Elzy spielt für die Wende in der Ukraine“, „Es sind singende Botschafter“, stand damals in der internationalen Presse. Beim Konzert im Juni 2014, das auch im Olympiastadion stattfand, hatte der Leadsänger Swjatoslaw Wakarchuk die über 70.000 Konzertbesucher aufgefordert, während der schweren Zeit zusammenzuhalten und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht zu verlieren. Zwei Jahre später sieht das Stadion wie ein gelb-blaues Meer aus. Junge Leute schwenken die ukrainische Flagge, Mädchen tragen Blumenkränze im Haar, junge Männer tragen weiße Hemden mit Stickereien. Viele Konzertbesucher haben kleine Kinder dabei. Für viele ist es ihr erstes Konzert, an das sie sich immer erinnern werden.

Swjatoslaw Wakarchuk ist der Frontmann der Band, die 1994 gegründet wurde, und stammt aus Lemberg. Sein Vater war Rektor an der Lemberger Universität und ukrainischer Bildungsminister. Er selbst ist seit 2009 Doktor der Physik und war im Jahr 2007 für einige Monate Abgeordneter des ukrainischen Parlaments, das er aus Enttäuschung über das politische System schnell verließ. Die Songs für die Band komponiert er selbst, die meisten Liedtexte sind in seiner ukrainischen Muttersprache.
Als die Band auf die von Tausenden von bunten Lichtern erhellte Bühne tritt, jubeln Tausende von Fans. Später stand in den Medien, dass über 80.000 Menschen das Konzert in Kiew besucht haben. Manche Nachrichtensender sprachen sogar von 100.000.

Während des Konzertes geht die Sonne unter, der Himmel färbt sich rosa und dann dunkelblau. Als der Leadsänger Wakarchuk einen Song dem verstorbenen Rockstar Kuzma Skryabin widmet, ist der Himmel schon schwarz. Alle Lichter auf der Bühne werden gelöscht und Tausende von Handy-Displays werden in den Tribünen und auf dem Stadion  angeschaltet. Sie leuchten wie Sterne. Es ist der vielleicht ergreifendste Moment des Konzertes. Es folgen abwechselnd energievolle Songs und Balladen. Die Band scheint unermüdlich zu sein. Auch wenn man kein Ukrainisch spricht, versteht man alles. Die Stimmung, die von den Liedern ausgeht, braucht keine Übersetzung. Man fühlt, dass es Songs sind, die den Menschen Mut machen und ihnen Hoffnung schenken. Nach mehr als zweieinhalb Stunden verlässt die Band zum ersten Mal die Bühne. Noch fünf Mal kommt sie für Zugaben zurück. Vier Stunden lang hat das Konzert gedauert. Eine Stunde nach Mitternacht verlassen die Zuschauer das Stadion. Manche singen die Lieder der Band. Ein Mächen, eingewickelt in eine Flagge, verkauft beim Ausgang Magneten mit Bildern vom Konzert. Die Menschengruppen bewegen sich Richtung U-Bahn. Die Kiewer Metro hat in dieser Nacht in Anbetracht auf das Konzert ihr Programm bis um 2 Uhr nachts verlängert. Während der Fahrt nach Hause sind wir sicher, dass wir ein Stück Geschichte miterlebt haben.

Ein Flug über den Dnjepr

Den nächsten Tag verbringen wir am Ufer des Dnjepr. Europas drittlängster Fluss durchfließt Russland, Weißrussland und die Ukraine und mündet im Schwarzen Meer. In Kiew kann man auf dem Fluß Schifffahren, es gibt eine nette Promenade mit vielen Cafes und mehrere Strände, wo man sich sonnen und baden kann. Auch Adrenalinsüchtige werden ihren Spaß haben. Eine Gleitseilbahn verbindet die zwei Seiten des Flusses und von den Brücken über den Dnjepr kann man, fest angebunden an ein Seil, in die Tiefe springen. Der Tag beginnt mit einem Kaffee in einem knallrosa Pappbecher, den wir auf der Uferpromenade trinken. In der ganzen Stadt gibt es bunte Wagen in Schneckenform, an denen man Kaffee kaufen kann. „Magic Snail“ (deutsch: die Zauberschnecke) heisst die nette Anlage. Ein Milchkaffee kostet 15 Griwna und schmeckt köstlich.

Anschließend buchen wir eine anderthalbstündige Fahrt mit einem gelben Schiff für 150 Griwna pro Person. Wir fahren vorbei an mehreren Sandstränden, auf denen Leute in der Sonne liegen. Von  der gegenüberliegenden Seite blickt uns das Wahrzeichen der Stadt entgegen: das Denkmal des Fürsten Wladimir, eine über 20 Meter hohe Bronzestatue. Nach der Schiffrundfahrt stehen wir etwa eine Stunde Schlange, um mit einer Gleitseilbahn auf die andere Seite des Flusses zu gelangen. Der Spaß kostet 200 Griwna pro Person und lohnt sich auf jeden Fall. Es ist, als ob man über den Fluß fliegt. Auf der anderen Seite des Dnjeprs liegen wir ein wenig in der Sonne. Danach überqueren wir die Fußgängerbrücke und schauen den Bungee-Jumpern zu, die in die Tiefe springen. Am Ufer des Dnjeprs ist es auch abends schön. Sobald es draußen dunkel wird verwandeln sich die Schiffe in schwimmende Diskos und überall herrscht Partystimmung.

Etwa 15 Gehminuten entfernt vom Flußufer befindet sich einer der schönsten Plätze in Kiew:  das jüdische Viertel. Man kann sich kaum satt sehen an den hohen, bunten Häusern mit wunderschöner Architektur. Auf dem Bürgersteig sind Decken ausgebreitet. Darauf sind Bücher, Schmuck und Kleidungsstücke, die verkauft werden. Ein älterer Mann fertigt Ölgemälde, auf denen Taucher in den Tiefen des Meeres zu sehen sind. Er erzählt, dass er früher bei der Flußpolizei gearbeitet hat. Dann singt er ein paar ukrainische Lieder. Ein paar Straßen weiter werden Souvenirs verkauft: von handgemachten Puppen bis Taschen aus Rindsleder kann man alles Mögliche kaufen. In den vielen Lokalen, die auf den Straßen des Viertels zu finden sind, kann man interessante Gerichte wie Borsch mit Fasanfleisch und Brennesseln kosten.

Elise Wilk