Erinnerungen an den Kaffee

Von den billigen Rezepten der Urgroßmutter bis zum Espresso

Heute ist uns der Kaffee eine absolute Notwendigkeit. Wie sah es aber vor 70 – 80 Jahren damit aus? Ich erinnere mich aus meiner Kindheit an den „Milch- Kaffee“ zum Frühstück, heute würde man es „Latte macchiato“ nennen. Der Kaffee bestand aus „Kathreiner´s Kneipp Malzkaffee“, der mit „Frank“-Zichorienkaffeeersatz gemischt wurde. Die Mischung hatte einen etwas eigenartigen, gewöhnungsbedürftigen Geschmack. Zubereitet wurde er in einer „Kaffeemaschine“, das war eine Kaffekanne, die einen Ausguss besaß, auf die Kanne wurde ein Aufsatz gesetzt, der einen feinen Siebboden hatte. In diesen Aufsatz kam das oben genannte Gemisch, dann wurde kochendes Wasser darüber gegossen. Wenn das durchgelaufen war, wurde der Inhalt der Kanne noch einmal aufgegossen. Dann kam der „Kaffee“ in eine zugekorkte Flasche, aus der er zum Gebrauch in die mit warmer Milch gefüllte Kaffeetasse dosiert wurde. In meiner Erinnerung war es eine alles andere als gut schmeckende Lösung.

Meine Urgroßmutter hatte noch einige billige Rezepte für „Kaffee“:
1. Zuckerrüben und/oder Zichorie wurden im Bratrohr braun geröstet, noch warm gemahlen und möglichst luftdicht aufbewahrt, denn das Pulver war hygroskopisch. Wie es schmeckte? Schwer zu sagen, das einzige sichere ist, dass es sehr bitter war und die Milch intensiv dunkel färbte.
2. Von dem frisch, im Steinofen gebackenen Brot wurde die schwarze Kruste abgehackt, gesammelt und wie oben gesagt verwendet.
Das zweite Problem bildete der Zucker. 1944 - 1945  war es noch kein Problem, aber 1946 war Zucker Mangelware und man musste sich schon Einiges einfallen lassen. Zuckerrüben gab es noch im Garten und auf dem Feld. Aus diesen wurde ein Sirup gekocht, mit Kalk gereinigt und zum Süßen verwendet. Wie das schmeckte? Scheußlich ist kein Ausdruck dafür, aber der Geschmack konnte durch verschiedene Gewürze überdeckt werden und so wurde es möglich, damit Kuchen zu backen, der zum „Kaffee“ gereicht wurde.

Durch diese Erinnerungen wurde ich angeregt, in dem „Buch der Erfindungen“, 8. Auflage von 1886 nachzuschlagen. Dabei fand ich einiges Interessantes über den Kaffee und auch darüber wie er vor mehr als hundert Jahren verfälscht wurde. So wurde in England eine Maschine patentiert, mit der „Kaffebohnen“ hergestellt werden konnten, die aus gefärbten Brotkrumen bestanden. Die meisten Verfälschungen wurden mit gemahlenem Kaffee begangen. Da wurde ausgelaugter Kaffeesatz zugesetzt, geröstete Zichorie, Möhren, Rüben, Eicheln, Gerste, Roggen, Lupinen und das Gemisch dann als Kaffee verkauft. Der Autor gibt als Prüfung an, etwas von dem verdächtigen Pulver auf Wasser zu streuen: echter Kaffee schwimmt einige Zeit auf der Oberfläche, die angegebenen Zusätze sinken schnell oder werden gelöst, wobei sie das Wasser färben.
Wir, zumindest wir Älteren, erinnern uns noch gut, als auch bei uns im staatlichen Handel nur ein Gemisch von Kichererbsen mit Kaffee, das damals „nechezol“ hieß, erhältlich waren.

Dabei wurde schon damals, wie auch später zwischen Fälschungen und sogenanntem „Kaffeeersatz“ unterschieden. Die Ersatzkaffees wurden aus zwei Gründen verwendet: Einmal, um billigen „Kaffee“ zu erhalten und zweitens, um den Kaffeegenuss von der schädlichen Wirkung des Koffeins zu befreien. So war schon im 19. Jh. der „Malzkaffee“ verbreitet. Hierzulande gab es den „Inkakaffee“, dem man auch heute noch hie und da in den Regalen der Supermärkte begegnet.
Eine Erinnerung aus der Zeit des glorreichen Sozialismus: Als ich 1967 zum ersten Mal in die damalige DDR reisen durfte, konnten wir unsern Freunden mit Kaffee eine Freude bereiten, einige Jahre später waren wir es, die sich über ein Päckchen Kaffee freuten.  
Mit dem Kaffee geht es ähnlich wie mit vielen Nahrungs- und Genußmitteln: Immer neue „wissenschaftliche“ Studien belegen, dass der Kaffee nicht schädlich, oder im Gegenteil, sehr gefährlich ist, dass  ein  mäßiger Genuss der Gesundheit zuträglich ist oder dass schon zwei Tassen am Tage gefährlich werden können usw. usf. Wahrscheinlich hängt das Ergebnis der Studien von dem Auftraggeber ab.

Wir  lassen uns aber nicht verblöden. Eine Tasse guten Kaffees, ob er nun aus der elektrischen Kaffeemaschine, dem Espresso oder im „ibric“, dem türkischen Kaffeekännchen, auf der Gasherdflamme oder besser in heißem Sand gekocht wurde, tut immer gut. Ob man nun den Geschmack noch verfeinern will, zum Beispiel mit Kardamom, Zimt, Vanille oder sonst was, hängt vom Geschmack ab und ist nicht jedermanns Sache, ebenso die Frage nach viel, wenig oder gar keinem Zucker, Milch oder Sahne.
Zum Schluss hier noch eine Bemerkung zum Kaffee aus dem Jahr 1735:
In dem Band „Theatrum Molarium oder Schauplatz der Mühlen-Bau-Kunst“ des Jacob Leupold, das posthum 1735 herausgegeben wurde, ist ein Kapitel der Kaffeemühle gewidmet, das uns heute ein nachsichtiges Lächeln hervorruft. Ich habe versucht den Text behutsam der heutigen Sprache anzunähern, ohne aber die Ausdrucksweise zu stark zu ändern.
„Von Caffere=Mühlen

3.  Wer hiervon vor 50 oder mehr Jahren etwas gedacht hätte, würde schlechte Aufmerksamkeit gehabt haben, nachdem aber dieses Land und Leut verderbliche Unkraut, wodurch das Geld aus denen Ländern Europas denen Ungläubigen häufig zugejagt, unser alter Caffee, das Gersten-Bier aber, fast in Vergessenheit gestellt, und von denen wenigsten, ob gleich zu ihrem eigenen Schaden, nach alter Art recht gut gebrauet oder gelassen wird, jetzo Mode ist. Sollte jemand von dessen Zubereitung, Güte und Unterscheid mehrere Nachricht verlangen, der darf dieserhalb nur die allererste Caffee-Schwester, so ihm zu handen kömmt, fragen, die wird nach dieser Art Leuten gewohnten Aufrichtigkeit sich ein Plaisir machen, ihren Lebens-Saft, so viel wie möglich fortzupflanzen, auch die Stärke und Schwäche, die Natur und Eigenschaft, die Einbildung und Fantasie, und was etwan sonsten noch daran hängen möchte, ihm aus treuem Herzen entdecken.“ Man sieht, unser Herr Leupold war kein Freund des Kaffees, er trauert den Zeiten nach, da Bier das Getränk war.
  
Erwin Hellmann