Fremde Nachbarn

Zwischen Diskriminierung und Integration: Roma in Rumänien

Verträumte Dorfidylle oder verlangsamte Entwicklung? Roma-Familien setzen immer noch gern auf 1 PS.

Rareş, Olga, Mariana und Annette Schorp vor dem Dorfladen in Deutsch-Weißkirch.

Filzpantoffeln in allen Größen und Farben warten auf Menschen mit kalten Füßen.
Fotos: Anna Brixa

Bis ans Limit beladene Pferdewagen am Rande von Schnellstraßen, glitzernde Kopftücher, raschelnde bunte Röcke, handlesende Wahrsagerinnen und viele, viele wild anmutende Kinder: Rumänische Roma sind ein beliebtes Fotomotiv für Touristen und Journalisten aus dem Westen. Zweifellos gehören sie zum Bild vieler Westeuropäer von Südosteuropa – und insbesondere Rumänien – dazu. Wirklich dazu gehört aber, das haben sie hier wohl noch nie.

Die wechselhafte Geschichte der nach den Ungarn zweitgrößten ethnischen Minderheit im Land hat eine lange Tradition, und ebenso lang ist auch die Geschichte ihrer Ausgrenzung. War zu Zeiten des Kommunismus zwar eine offene Diskriminierung verboten, so wurden die Roma als Ethnie nicht anerkannt. Im Zuge der politischen Wende verloren sie als erste ihre Arbeitsplätze – und bis heute sind vor allem sie es, die noch in Dörfern ohne fließendes Wasser, Strom- und Gasanschlüsse leben. Fährt man mit dem Auto durch ländlichere Gegenden, so sieht man einen kleinen Ausschnitt dieses offenen Elends am Rande von Straße und Gesellschaft: Zusammengezimmerte, vermüllte Hütten mit allerlei bunter Wäsche an kreuz und quer gespannten Leinen, gleichermaßen zerzauste Kinder und Tiere; zur späteren Stunde junge Frauen, die ihren Körper zum Verkauf anbieten.

Aber auch im Mikrokosmos der sächsischen Dörfer hatte die Ausgrenzung der Roma lange Tradition. Sie lebten dort, wie auch die Rumänen, nicht etwa auf den Hauptstraßen, sondern stets am Rand. Nahte ein Angriff der Türken und flüchteten die Sachsen in ihre Kirchenburgen, so blieben die Rumänen und die Roma sprichwörtlich „draußen“. Diese Form der Klasseneinteilung, über viele Jahrhunderte hinweg gewachsen, scheint nicht leicht zu überwinden; heute aber bedeutet das vielerorts abwertend geäußerte „Zigeuner sein“ viel eher eine soziale Kategorie: nämlich in der Regel, arm zu sein. Auch trotz vielfältiger Förderungen aus EU-Mitteln hat sich die Situation der rumänischen Roma in den letzten Jahren noch nicht spürbar verbessert.

Das unfreiwillige Erbe der „Siebenbürger Roma“

Vor diesem Hintergrund scheint die aktuelle Entwicklung vieler rumänischer Dörfer wie eine Ironie des Schicksals: Nach der massenhaften Abwanderung der Siebenbürger Sachsen sind es vielerorts ausgerechnet die Roma, die in deren verlassene Häuser einziehen und das Dorfbild zunehmend prägen.

Diese Tatsache stößt längst nicht überall auf Begeisterung, sondern oft auch auf Unwillen und Protest. Und auf offene Fragen: Gerade die Roma sollen die althergebrachten Traditionen der Siebenbürger Sachsen aufrechterhalten, oder zumindest deren Häuser erhalten? Wie soll das gehen? – Doch die Gegenfrage lautet: Wie soll es sonst gehen, bzw. wer soll es sonst machen? Und: Ist es überhaupt Sinn der Sache, das Rad der Zeit anhalten oder eine bereits vergangene Zeit unter Verwendung neuer Protagonisten künstlich wiederzubeleben? Wie viel Prozent dieses Wunsches sind Nostalgie und die Sehnsucht nach der Wiederherstellung einer bereits unwiderruflich verlorenen Heimat?

Als Erfolgsbeispiel einer gelungenen Verknüpfung dorfinterner und touristischer Interessen, der vorbildlichen Erhaltung örtlicher Bausubstanz und Integration unterschiedlicher Dorfbewohner gilt seit Langem das zum UNESCO-Weltkulturerbe zählende Dorf Deutsch-Weißkirch/Viscri bei Reps/Rupea. Dort wird das alte siebenbürgisch-sächsische Dorfbild nicht nur mit der Unterstützung von Prominenten wie Prinz Charles von Wales erhalten – der hier ebenfalls ein Sommerhaus besitzt – sondern eben unter anderem auch von den Roma, die etwa 70 Prozent der Dorfbevölkerung ausmachen. Neben dem in Rumänien bekannten Mihai Eminescu Trust (MET) unter langjähriger Leitung von Caroline Fernolend sorgt auch der Verein „Viscri începe“ („Viscri legt los“) regelmäßig für positive Schlagzeilen: Hier stellen Romafrauen Socken, Filzpantoffeln, Marmelade, Saft und andere Produkte her, die sich zu gefragten Exportgütern entwickelt haben und dem Verein ganze 30.000 Euro jährlich an Umsatz einbringen.

Integration auf leisen Sohlen

Rareş hat schlecht geträumt: Im Traum, so erzählt er weinend, habe ihn der Hofhund Bobby gebissen. Seitdem traut sich der kleine Junge kaum noch vor das Haus – die paar Meter bis hin zum Dorfladen, den seine Mutter Mariana betreibt, rennt er, so schnell ihn seine abgewetzten blauen Filzhausschuhe tragen. Aus Angst vor Bobby. Dieser liegt derweil faul in der Sonne, hebt ab und zu träge seinen Kopf und versteht die Welt nicht mehr.

Der gähnende Mischlingsrüde ist nur ein Teil des idyllischen Bildes, das sich um den Dorfladen herum bietet. Auch hier trocknet bunte Wäsche auf der Leine, doch daneben wiegt sich zusätzlich noch frisch eingefärbte Schafwolle im Wind. Mariana betrachtet kritisch den neuen Farbton: Doch, er ist schön geworden. Und auch ihre Hände, die sie uns lachend zur Begrüßung vorzeigt, sind tiefgrün. In der Küche der kleinen Wohnung köchelt die Gemüsesuppe auf dem Herd; an einem Plastiktisch in der Mitte bearbeitet Kollegin Olga mit kräftigen Bewegungen blaue Filzstiefel. Und mittendrin ist überall Rare{, der ständig Gefahr läuft, miteingefärbt zu werden.

Mariana erwidert die Frage danach, was einmal ihr Traumberuf gewesen ist, mit einem vorsichtigen Lächeln. Träumen, das passt irgendwie nicht nach Deutsch-Weißkirch. Oder etwa doch? – Was sich verändert habe, seit es den Dorfladen gibt? Alles, einfach alles, sagen Mariana und Olga. Das Allerwichtigste sei natürlich, dass sie dadurch eine Möglichkeit haben, Geld zu verdienen. Doch mindestens ebenso wichtig ist es, Freude an dem zu haben, was man macht. Ohne den Laden wäre es hier wohl so wie im Nachbardorf, wo man nicht viel mehr tun kann, als sich um die Kühe und das andere Getier zu kümmern.

Dass das in Deutsch-Weißkirch anders ist, hängt natürlich stark mit seiner schönen Kirchenburg, den gut erhaltenen Sachsenhäusern und dem daraus entstandenen Tourismus zusammen. Doch die langjährige erfolgreiche Projektarbeit hat längst nicht nur hübsch anzusehende Fassaden, sondern noch etwas viel Wertvolleres hervorgebracht. Etwas, was sich leise hinter den Kulissen entwickelte, Schritt für Schritt: Eine funktionierende Dorfgemeinschaft, in der man sich trotz aller Unterschiede füreinander verantwortlich fühlt und zusammenhält. Ein System, in dem Vielfalt nicht stört, sondern stärkt.

(Fortsetzung folgt)