„Für uns ist jedes Konzert eine Feier“

Interview mit Steffen Schlandt, Leiter des Bachchores, anlässlich des 90. Geburtstags des Chors

Der Bachchor sang das Weihnachtskonzert 2022 in der römisch-katholischen Kirche Sankt Peter und Paul. Foto: Béla Benedek

Der Kronstädter Bachchor wird 90. Kirchenmusiker Victor Bickerich rief ihn 1933 ins Leben, 1962 trat Walter Schlandt, Organist und Kantor der Schwarzen Kirche die Nachfolge an – drei Jahre darauf übergab er die Stabführung an Hans Eckart Schlandt. Seit 2004 führt dessen Sohn, Dr. Steffen Schlandt, die Familientradition weiter. Bickerichs Grundgedanke Bachchor-Konzerte mit Feiern des Kirchenkalenders zu verbinden wird bis heute erhalten. Im Repertoire des Bachchors standen schon immer anspruchsvolle Werke, wie Passionen und Oratorien von Bach, Mozart und Brahms, wie auch Werke von Händel, Haydn, Mendelssohn, Lassel, Orff oder Bruckner. Am 1. April wird die „Johannespassion“ aufgeführt. Mit Chorleiter Steffen Schlandt sprach KR-Redakteurin Laura Căpățână Juller. 

Am 1. April findet in der römisch-katholischen Kirche Sankt Peter und Paul in der Klostergasse eine Aufführung der Johannespassion von J. S. Bach statt. Der Bachchor stellt  das Werk zusammen mit dem Ensemble Capella Coronensis und Solisten vor. Wie war die Vorbereitungszeit?

Der Bachchor probt gewöhnlich einmal die Woche. Für die Johannespassion haben wir in den letzten zwei Monaten zwei Mal wöchentlich, manchmal auch an Wochenenden geprobt. Mehr als die Hälfte der Choristen sind Laien und zwei Drittel von ihnen singt die Johannespassion zum ersten Mal. Dadurch, dass die meisten Sänger nicht Deutsch können und dieses Werk auch nie gesungen haben, ist die Vorbereitung ein relativ komplizierter Prozess. Er ist möglich, aber man muss deutlich mehr strampeln als wenn man es mit einem Chor in Deutschland, Österreich oder der Schweiz machen würde. Dort beherrschen die Musiker die Sprache, das Repertoire und sie kennen die Tradition dieses Werkes.

Obwohl Kronstadt eine Stadt war, wo man die Matthäus- und Johannespassion öfters aufgeführt hat, ist es ein Werk, das heute bei uns Seltenheits-Charakter hat, einfach weil sich auch die Leute geändert haben. Die sächsische Komponente aus der Stadt ist so klein geworden, dass man für solche Konzerte außer unseren Gemeindemitgliedern auch andere Sänger braucht. Und die Leute müssen den Inhalt verstehen, um ihn auch ausdrücken zu können. Denn der Inhalt ist das Wichtigste, die Musik ist nur die Kleidung. Unser Ziel ist es, dass sich die Sänger mit dem, was sie singen, identifizieren. Man will am Karfreitag mitfühlen, mitbeten, mittrauern, mitspüren wie es dazu kommen konnte, dass die Menschen so brutal sind, dass sie einen anderen Menschen umbringen und sich daran erfreuen. Der hohe Inhalt ist der Opfertod, – also Jesu opfert sich für uns, damit wir erlöst werden.

Die Johannespassion ist ein hochdramatisches Werk, konzeptuell eine Hochleistung (300 Jahre alt und trotzdem so frisch) und daher muss auch der Chor Konzept, Musik und Interpretation so gut hinüberbringen, dass es wie aus einem Guss wirkt. 

Der Bachchor hat in letzter Zeit auch andere Konzerte in der katholischen Kirche gesungen? Warum dort?

In der Schwarzen Kirche sind jetzt gerade mal 7 Grad. Es ist viel zu kalt. Die katholische Kirche verfügt über eine Heizung.

Nach der Wende gab es ein Problem wegen der Besetzung der leeren Stellen im Chor durch die massive Aussiedlung. Mit der Zeit traten Sänger bei, die anderen Konfessionen angehören. Welches ist die Situation heute?

Im Chor ist immer eine sehr starke Fluktuation. Die Menschen kommen und gehen, Jugendliche verlassen nach der Schule die Stadt, es kommen neue Leute hinzu. Im Moment sind wir gut besetzt. Wir sind ein multikonfessioneller Chor, die Sänger kommen aus acht Konfessionen, sie sind katholisch, griechisch-katholisch, orthodox, evangelisch, reformiert, uniert, baptistisch und adventistisch. 

Welches sind Ihre Forderungen an die Sänger?

Sie müssen singen können, ein gutes Gehör mitbringen und an den Proben teilnehmen.

Welches sind die Herausforderungen des Chors?

Die Herausforderungen des Chors sind einerseits die Motivation der Sänger aufrecht zu erhalten – sie nehmen ja ehrenamtlich teil. Und andererseits die permanente und stetige Erfrischung durch junge Stimmen, damit der Chor nicht nur im Alter wächst. Es muss immer Nachwuchs kommen. Denn frische, junge Stimmen verändern immer den Klang. Die Altersgrenzen bei uns liegen zwischen 17 und 70 Jahren.

Wie kann man die Leute motivieren, am Chor teilzunehmen?

Man muss ihnen Qualität anbieten. Wir geben ihnen die Noten, im Winter beheizte Räume und die Möglichkeit, bei Konzerten teilzunehmen. Das Schöne ist, außer den Proben, natürlich im Konzert zu singen. Denn dann ist es meist festlich, dann singen sie mit Hingabe, dann kommt das Publikum und die Choristen fühlen die Aufregung, fühlen, dass sie wichtig sind und etwas Gutes tun.

Der Hauptgrund warum sie herkommen, ist, besondere Musik gemeinsam zu machen. Sie sollen das Gefühl haben, ein Teil von dieser Bewegung zu sein, die Musik heißt und die einen Menschen sowohl körperlich als auch seelisch erfüllt. Sie wollen ihr Leben mit etwas erfüllen, wo sie mitmachen und gefordert sind.

Haben Sie ein Konzert für die Jubiläumsfeier vorbereitet? 

Wir singen am 25. Juni ein Sommerkonzert, wir haben aber nicht extra eine Feier dafür geplant. Für uns ist jedes Konzert eine Feier. Wir wollen durch die Musik feiern und nicht uns selbst feiern lassen. Eine Veranstaltung mit Reden wäre nicht in unserem Sinne. Gemeinsam Musik zu machen ist uns viel wichtiger. Wir freuen uns bei der Einweihung der Bistritzer Kirche und Orgel Anfang Mai als Chor dabeizusein. 

Vor wenigen Wochen wurde das Außerordentliche Konzert zum Europatag (8. Mai 2022 Kronstadt und Paris), an dem sich der Bachchor und das Crescendo Ensemble aus Paris beteiligt haben, zum Konzert des Jahres 2022 in Kronstadt gewählt. Bitte nennen Sie ein unvergessliches Konzert.

Ein sehr schönes Konzert war die Matthäuspassion, die wir 2018 gesungen haben. Das ist etwas ganz besonderes für uns gewesen. Aber ich würde nicht nur in der Vergangenheit schwelgen und immer nur daran denken, wie schön es damals war. Ich versuche immer, den jeweiligen Auftritt als wichtigste Veranstaltung für den Sänger zu gestalten. Er soll nicht sagen, es ist ein kleines oder unwichtiges Konzert, sondern er soll in jedem Moment das Beste anbieten, was er kann. Er soll wissen, dass er jetzt wichtig ist. Und dann kommt der nächste Moment und der ist auch wichtig. Der Moment des Konzerts ist der kostbarste und wichtigste. 

Wie hat sich das Repertoire in den Jahren geändert?

Es hat sich insoweit geändert, dass wir uns immer den Sängern anpassen mussten, die wir hatten. Wenn wir sehr gute Sänger hatten, konnten wir das Repertoire hochschrauben, wenn nicht, mussten wir leichtere Werke wählen. 
Wenn wir weniger Musiker hatten, mussten wir ein anderes Repertoire bieten, welches mit kleinerer Besetzungen passt. Mit 45 Sängern sind wir jetzt an der Schwelle. 

Es kommt aber eigentlich nicht nur auf die Anzahl der Choristen an, sondern auch auf die Klangfähigkeit. Wir müssen es so machen, dass die lauten und sicheren Stimmen die anderen Stimmen mitziehen. Die Musik ist ein Geschenk, das uns allen gegeben ist und wir sollten uns alle daran erfreuen. Und wenn man sich bemüht, kann man besser werden.

Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft des Bachchores?

Das erste kleine Ziel ist die Fortführung des Chors, dass wir in 10 Jahren das hundertjährige Jubiläum feiern; da bin ich eigentlich zuversichtlich. Ich wünsche mir, dass es auch danach weitergeht. Was auch immer kommen mag, wir müssen eine schöne Übergabe machen, sodass der schöne Geist, der jetzt besteht, weiter erhalten bleibt und auf die nächsten Generationen übertragen wird. Wir sind unter den letzten sächsischen Chorleitern hier und man weiß nicht wie die Zukunft aussehen wird. Aber ich wünsche mir, dass der Chor die kirchenmusikalische Komponente weiterhin behält, und dass Bach als Markenzeichen bleibt.

Bitte schildern Sie uns eine schöne Erinnerungen von ihren Anfängen im Bachchor.

Ich habe mit 16 begonnen im Chor mitzusingen – vor über 30 Jahren. Ich kann mich erinnern, dass der Bachchor ein Ort war, wo deutlich mehr Sachsen als jetzt waren. Es war ein Gefühl in einer Gemeinschaft Zuhause zu sein. Nach der Wende waren es Wenige.

Ich sehe es überhaupt nicht mit traurigen Augen, dass wir im Chor jetzt gemischt sind, im Gegenteil. Die Stimmen sind jetzt teilweise besser als davor, es sind mehr Völker und frisches Blut. Das bringt einen Austausch und eine Bereicherung. Aber ich bin traurig, weil es keine Sachsen mehr gibt.  Ich wäre froh, wenn wir 40 Sänger/-innen im Chor hätten die aus der Gemeinde sind  und 40 weitere, die unsere Freunde und Mitstreiter wären. Den Verlust der deutschen Komponente spürt man überall.

Eine schöne Erinnerung habe ich an die Zeit, als ich ein Kind war und die Generation meiner Eltern große Freundeskreise hatte, die sich alle im Chor impliziert haben und viel leichter Gemeinsamkeiten gefunden haben, sowohl sprachlich als auch von der Mentalität her. Was heute im Bachchor passiert ist ein Zusammenwachsen einer neuen Gemeinschaft, für die das oberste Gut die Musik ist und außerdem die Identifikation der Musik mit ihren höheren Inhalten.

Vielen Dank für das Gespräch!