Gespräche, die nicht vergangen sind

Zu: „Gedanken zu Gegenwart und Geschichte. Interviews aus drei Jahrzehnten journalistischer Tätigkeit“ Herausgegeben von Dieter Drotleff, aldus Verlag Kronstadt, 2021, 166 Seiten, ISBN 978-606-984-031-3


Im Vorjahr erschien im Kronstädter aldus Verlag mit finanzieller Unterstützung des Departements für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens der Band „Gedanken zu Gegenwart und Geschichte“. He-rausgeber ist unser Kollege Dieter Drotleff, der dafür 35 von ihm geführte Interviews ausgewählt hat. Sie entstanden in der Zeitspanne 1990 – 2020 und wurden in der Kronstädter Wochenschrift „Karpatenrundschau“ veröffentlicht, die bis 1996, seitdem sie als Beilage in der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“ erscheint,  eine selbständige Publikation war. Je ein Interview wurde in der ADZ, beziehungsweise in dem ADZ-Jahrbuch veröffentlicht.

Der Band erweist sich als wertvolle Dokumentation für alle, die sich für die Geschichte der deutschen Minderheit in Rumänien nach dem Sturz des Ceau{escu-Regimes interessieren. In den Gesprächen geht es um Aussagen, Einschätzungen und Meinungen der Befragten zu grundlegenden Themen die damals, wie auch heute, diese Minderheit beschäftigten. Einige davon wären: Zukunftsperspektiven, Erhaltung und Pflege des Kulturerbes, Vertretung der Minderheit, Wandlungen in den evangelischen Kirchengemeinden, die Beziehungen zu den ausgewanderten Landsleuten, Förderung des deutschsprachigen Unterrichts. Die Gesprächspartner kommen aus ganz verschiedenen Bereichen (Politik, Diplomatie, Kirche, Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Schulwesen u.a.) und sind Personen die im Laufe dieser drei Jahrzehnte führende Ämter beim Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien inne hatten und haben oder die deutsche Minderheit im rumänischen Parlament vertraten bzw. vertreten (Thomas Nägler, Paul Philippi, Ingmar Brandsch, Wolfgang Wittstock, Paul Jürgen Porr, Ovidiu Gan]). Vertreten sind ebenfalls Botschafter und Konsuln, Historiker (z.B. Harald Zimmermann, Harald Roth, Gernot Nussbächer, Paul Binder, Paul Niedermaier, Agnes Ziegler), Bischöfe und Pfarrer (Christoph Klein, Reinhard Guib, Johann Orendi, Matthias Pelger), Gemeindekuratoren, Vertreter von Stiftungen und Gesellschaften (z.B. Christian Habermann, Elke Sabiel, Anneli Ute Gabanyi, Klaus Terfloth), der Schriftsteller Hans Bergel, Persönlichkeiten wie Chefrabbiner Moses Rosen, Ex-Kulturminister Ludovic Spiess.

Obwohl der Band im Titel auf Gegenwart und Geschichte Bezug nimmt, kreisen die Gedanken in fast allen Gesprächen immer wieder um die Zukunft der deutschen Minderheit in ihrem Heimatland Rumänien.  Wenn diese Zukunft direkt angesprochen wird, sind die Antworten differenziert. Der erste Vorsitzende des Landesforums, Dr. Thomas Nägler, ist 1991 skeptisch: „In Rumänien wird demnach die deutsche Minderheit nach dem Ableben der jetzigen Alten verschwinden. Es bleiben hier noch Einzelgruppen und Individuen die man nicht mehr als Volk, in historischem Sinn, bezeichnen kann.“ Der damalige Bischof (das Interview entstand im selben Jahr 1991) D. Dr. Christoph Klein, verbindet Zukunft mit Hoffnung: „Gewiss werden weniger Siebenbürger Sachsen – ebenso wie Banater Schwaben zurückbleiben, es wird eine kleine Gemeinschaft sein, die – wenn es ihr gelingt, von alten Vorstellungen Abschied zu nehmen – hier auf eine Zukunft hoffen darf, in der weniger die Institution als die Person, weniger die Gemeinschaft als der Einzelne, weniger das Volksganze als Zellen wie Familie, Freundschaft und geistliche Gemeinde eine Rolle spielen werden und in der man sich zu einem sinnvollen Leben finden kann.“ Es war die Zeit, in der die Auswanderungswelle neue Realitäten für die Existenz und den Fortbestand der Deutschen in Rumänien vorgaben. Auswandern oder Bleiben war eine Frage, die direkt die persönliche Zukunft betraf, sich aber auch auf die Perspektiven der Minderheit als Gemeinschaft auswirkte. Ein Interview wie jenes mit Prof. Dr. Paul Philippi („… be Ru higt in Rumänien bleiben“, KR 47/ 25. November 1993) ist besonders aufschlussreich. In einem ein Jahr vorher geführten Interview verglich Chefrabbiner Moses Rosen die Deutschen in Rumänien mit den Juden: eine Minderheit der ehemaligen Minderheit. In anderen Gesprächen geht es um das noch fehlende Minderheitenschutzgesetz oder um das Kronstädter Altenheim, um aktuelle Probleme der evangelischen Landeskirche 500 Jahre nach der Reformation, um eine klare Verurteilung der Verleumdungskampagne gegen Staatspräsidenten Johannis aber auch gegen die deutsche Minderheit, um den Kampf gegen die Korruption  - Themen die vom Forumsabgeordneten Ovidiu Gan] 2017 angesprochen werden. Die Gegenwart jener Jahre bis hin zu den Herausforderungen, die 2020 die Corona-Pandemie für die Honterusgemeinde brachte (eines der Themen des Gesprächs mit Gemeindekuratorin Ortrun Mahl) wirken sich mehr oder weniger deutlich auf die gemeinsame Zukunft aus.

Heimatkunde, Pflege des Brauchtums, Denkmalschutz, die eigene Geschichte samt Kapiteln, die vor 1989 nicht angesprochen werden konnten (z.B. die Russlanddeportation), sind in der Interviewauswahl verstärkt vertreten, wobei deren Bedeutung für die eigene Identitätsbekundung unterstrichen wird, wie auch die große Verantwortung, das historische und kulturelle Erbe der Vorfahren nicht nur vor Verfall und Vergessen zu retten, sondern der Öffentlichkeit vorzustellen, es entsprechend zur Geltung zu bringen. So betrachtet, hat die Geschichte der Rumäniendeutschen eine Zukunft. Nicht nur in Museen und Büchern, sondern auch in der Kulturszene, im Tourismus, im wissenschaftlichen Austausch. Anregungen, erfolgreiche Initiativen, Forschungsergebnisse sind in diesen Gesprächen vorzufinden – Inhalte, die die KR-Leser sicherlich interessiert haben dürfen; Aussagen, die über die Tagesaktualität reichen  und die nun, dank dieses Bandes, wiederentdeckt werden oder sogar einen erweiterten Leserkreis erreichen.