Höhepunkte einer Studienfahrt in die Bukowina (2)

Das Nationaltheater in Czernowitz

Büste von Rose Ausländer, die am 11. Mai 2018 im ehem. jüdischen Viertel enthüllt wurde.

 Vom 8. - 18. Mai besuchte eine interessierte Teilnehmergruppe die Nord- und Südbukowina, also die Kirchenburgen im Buchenland, die Moldauklöster in der Nordbukowina, und in der  Ukraine Czernowitz, eine Stadt mit Vergangenheit ‘wo Menschen und Bücher lebten’ wie Paul   Celan es einmal nannte.

In seinem ausführlichen Vortrag führte uns Prof. Dr. Petro Rychlo (*1950) in das literarisch- künstlerische Czernowitz. Rychlo promovierte über Stefan Hermlin und schrieb seine Habilitation über Paul Celan.Wir tauchten ein in die Welt des Ernst Rudolf Neubauer (1828-1890), ein österreichischer Dichter, der 1850 als Gymnasiallehrer nach Czernowitz entsandt wurde, wo er 1862 die erste deutschsprachige Zeitung „Bukowina“ herausgab, die mit ihrer literarischen Beilage zu einem Forum junger Bukowiner Autoren wurde. Er förderte die literarische Begabung seines Schülers, Mihai Eminescu (1850-1889), der zum bedeutendsten Lyriker der rumänischen Sprache wurde: der letzte Romantiker der Weltliteratur! Von Neubauer gefördert wurde auch Karl Emil Franzos (1848-1904), der in dem galizischen Ort Czortkow aufwuchs, zunächst dort eine Klosterschule der Dominikaner besuchte, um dann auf das deutsche Gymnasium in Czernowitz zu wechseln. Er profilierte sich in Latein, musste jedoch auf ein Studium der Altphilologie verzichten, da er als Jude kein Stipendium erhielt. Trotz seines Jurastudiums in Wien und Graz blieb ihm der Staatsdienst verwehrt, so dass er sich dem Journalismus zu wandte. 1887 ließ er sich in Berlin nieder, wo er die erste kritische Gesamtausgabe der Werke Georg Büchners als Verleger herausbrachte. Geprägt von der deutschen Aufklärung schrieb er „Aus Halb-Asien, Culturbilder aus Galizien, der Bukowina, Südrussland und Rumänien“. In seinen Erzählungen wies er auch auf die sozialen Probleme der Unterdrückten des Russischen Reiches, der Donaumonarchie und des Balkans hin: „Vom Don zur Donau“.
Nach dem 1. Weltkrieg folgt die zweite Generation Literaten, und es erblüht die deutsch-jüdische Dichtung. Diese Generation verfolgte keine Heimatdichtung, sondern wollte an die neue Richtung eines Kafka, Trakl und Werfel anknüpfen. In dieser Zeit wird Alfred Margul-Sperber (1898 – 1967) zu einer Integrationsfigur, da er in seiner Funktion als Redakteur des „Czernowitzer Morgenblatt“ junge Talente förderte, und mit vielen europäischen Persönlichkeiten eine rege Korrespondenz führte: u.a. mit Hermann Hesse, Thomas Mann, Karl Kraus – um nur einige zu nennen. Diese Generation der Literaten hatte das Talent zum Schreiben!
Paul Celan (1920-1970) besuchte eine hebräische Volksschule und das rumänische Gymnasium. Er begann 1938 ein Medizinstudium in Paris, welches durch den 2. Weltkrieg unterbrochen wurde. 1941 erhielt die Familie Antschel, so der Geburtsname Celans, durch den rumänischen Bürgermeister Popovici eine Aufenthaltsgenehmigung für Czernowitz, die aber nur kurzfristig Schutz bietet, da im Juni 1942 die Juden  - auch mit dieser Genehmigung – nach Transnistrien deportiert werden, so auch seine Eltern, die dort den Tod finden. Nach dem Krieg, 1945-1947 ist er als Lektor und Übersetzer im Bukarester Verlag ‘Cartea Rus˛’ tätig. Über Ungarn flieht er Ende 1947 nach Wien, wo erstmals seine Gedichte erscheinen. 1948 zieht er weiter nach Paris, wo er ein Germanistikstudium beginnt, welches er 1950 abschließt. Seine ‘Todesfuge’ konzipierte er 1944-1945 in Czernowitz; im Mai 1947 erschien sie zunächst in rumänischer Übersetzung; eine größere öffentliche Wahrnehmung erreichte das Gedicht in seinem 1952 veröffentlichten Gedichtband „Mohn und Gedächtnis“, der ihm auch den Durchbruch bringt.
Zitate aus der Todesfuge wie „der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ fanden als Redewendungen Eingang in den deutschen Sprachgebrauch.
In ihrer Kindheit und Jugend erlebte Rose Ausländer (1901-1988) das sogenannte „goldene Zeitalter“ der Juden in Czernowitz, aber auch Flucht während des 1. Weltkriegs nach Budapest, nach Wien, mit der Rückkehr 1919 nach Czernowitz. 1920, nach dem Tod des Vaters, entschließt sie sich zur Auswanderung in die USA, gemeinsam mit ihrem Freund Ignaz Ausländer. Dort kann sie ihre ersten Gedichte in deutschsprachigen Zeitungen veröffentlichen. Nach der Scheidung 1930 kehrt sie 1931 nach Czernowitz zurück, weilt aber auch immer wieder für kurze Zeit in den USA: 1934, 1937, 1939. Anfang Juni 1946 verlässt sie mit dem letzten Transport Czernowitz Richtung Rumänien, begleitet von ihrer Familie. Der Aufenthalt in Bukarest ist sehr kurz, da ein erneutes Angebot zur Einwanderung in die USA eintrifft. 1964 kehrt Rose Ausländer endgültig nach Europa zurück, reist sehr viel, erlebt in Wien antisemitische Anwürfe und geht nach Düsseldorf, wo sie nach einem Unfall in das „Nelly Sachs Haus“ zog, wo sie im Januar 1988 stirbt.

Heimatlos (1985)

Mit meinem Seidenkoffer
reise ich in die Welt
Ein Land nüchtern
eines toll
Die Wahl fällt mir schwer
ich bleibe heimatlos

 

Die dritte Generation Literaten, die zwischen 1920 – 1924 geboren werden, konnte sich -  zum Teil -  erst in der Emigration verwirklichen. So z.B. Immanuel Weissglas (1920-1979), der wie sein Schulfreund Paul Celan in Czernowitz aufwuchs. Er überlebte die rumänischen Lager, 1941-1944, in der Ukraine, und zog 1945 nach Bukarest, wo er als Redakteur, Verlagskorrektor und Übersetzer arbeitete. Erst 1970 veröffentlichte Weissglas Gedichte, so den Band  ‘Gottes Mühlen in Berlin’  und  ‘Karriere am Bug’ . Sein  Gedicht „ER“, wurde in der Literaturwissenschaft als eine der Quellen für Celans ‘Todesfuge’ betrachtet.
Wer war diese junge Lyrikerin Selma Meerbaum-Eisinger, die als jüngste der Czernowitzer Dichterinnen im August 1924 geboren wurde, und mit 18 Jahren im Lager Michailowska jenseits des Bugs an Flecktyphus starb, nein, ermordet wurde, weil man ihr, wie allen jüdischen Gefangenen jegliche medizinische Hilfe verweigerte? Sie war eine Cousine zweiten Grades von Paul Celan. Selma Meerbaum wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Der Vater führte einen kleinen Farben- laden, stirbt jedoch sehr früh an Tuberkulose. Sie besucht die Mittelschule in Czernowitz und ist in der zionistischen Jugendorganisation ‘Junge Wache’ aktiv, wo sie Lejser Fichmann kennen lernt.
Ihm widmet sie die 57 Gedichte, die von ihren Sehnsüchten und Wünschen erzählen, von Sorgen, Angst und Leid; sie schreibt sie in knapp zweieinhalb Jahren, denn er soll, wenn er diese Gedichte erhält, von ihrer Liebe und dem Wunsch nach seiner Nähe wissen. Er jedoch erwidert ihre Liebe nicht. Nach seiner Rückkehr aus dem rumänischen Arbeitslager, 1944, las er ihre Gedichte, die von ihren Freundinnen gerettet wurden. Er gab die Gedichts-Sammlung zurück, aus Sorge, sie könnte auf seinem Weg nach Palästina verloren gehen. Dort kam er nie an, denn das Flüchtlingsschiff wurde im Schwarzen Meer von einem sowjetischen U-Boot torpediert.
Die Freundinnen brachten die losen Blätter mit ihren Gedichten nach Israel. Dort veröffentlichte sie Selmas ehemaliger Gymnasiallehrer Hersch Segal als Privatdruck. Erst 1980 wurden ihre Gedichte von dem deutschen Literaturhistoriker Jürgen Serke herausgebracht, und lösten eine literarische Sensation aus!
Seinen Vortrag beendete Prof. Rychlo mit der Erkenntnis, dass das Kapitel der Bukowina-Literatur endgültig abgeschlossen ist, trotz des von ihm initiierten Literaturfestivals, welches er seit 10 Jahren veranstaltet.
Unser Czernowitz-Aufenthalt ging mit dem 1866 eröffneten Jüdischen Friedhof, dem Zentrum des Chassidismus in Sadagora und einem Klezmerkonzert zu Ende. Der Besuch des Friedhofs war enttäuschend, denn da der Baumbestand entfernt wurde, wuchert das Gestrüpp den Friedhof erbarmungslos zu. Außerdem goss es in Strömen!
In Sadagora, auch bekannt als Zentrum des Pferdehandels, ließ sich 1842 der „Wunderrabbi“ Israel Friedmann mit Familie und einer großen Schar seiner Anhänger nieder, wo er einen großen Palast maurischen Stils erbauen ließ, der innerhalb kurzer Zeit zu einem Zentrum des Chassidismus wurde.
Czernowitz liegt eine kurze Flugstunde von unserer Haustür entfernt! Auch wenn der Flughafen bzw. der Grenzübergang wie ein Relikt aus der kommunistischen Zeit anmutet, so war dieser Aufenthalt in der ehemaligen Hochburg der Literatur, Multikulturalität und geschichtlicher Tradition eine Bereicherung!
Zurück in Rumänien, widmete sich die Reisegruppe den Moldauklöstern. Fünf Besichtigungen waren vorgesehen, nämlich: Dragomira, Sucevita, Moldovita Humor und Voronet. Die Teilnehmer zeigten sich jedoch nach den ersten Besichtigungen, Führungen so begeistert, dass der Reiseleiter zusätzlich noch Putna und Arbore  in das ohnehin reichhaltige Programm aufnahm!
Und zum Abschluss der Reise ging es zur Kirchenburg Birthälm, zum ‘Rothenburg des Ostens’ Schäßburg, sowie auf der Rückfahrt nach Bukarest zum Schloss Pele{ und dem Kloster Sinaia.