Kapitalismus und Kommunismus im Urteil eines namhaften Siebenbürger Sachsen (II)

Stephan Ludwig Roth brachte Lob der kleinbürgerlichen Gesellschaftsordnung

Wie er in seinen Aufzeichnungen festgehalten hat, glaubte er, in deren Reihen Kommunisten identifiziert zu haben. Über den deutsch-katholischen Priester Johann Würmle vermerkt er nämlich, dass der „die Liebe aus dem Dogma ins Leben eingeführt wissen wolle, als „Institut des Sozialismus von freien Stücken“.  Roth meint dazu: „Die Idee mag schön sein – sie scheint mir aber unausführbar“.  Die Predigt über Johannis den Täufer, die er miterlebt hatte, bezeichnete er „kommunistisches Evangelium vom Tal füllen und Berge ebenen.“

Aus der ungarischen Zeitung „Erdélyi Hírado“ vom 17. März 1848 übernahm Roth den Bericht, dass im Gebiet der „Drei Szeklerstühle“ die Menschen von der Erwartung erfüllt seien, es werde nun der den Armen versprochene Kommunismus eingeführt. Er selbst bzeichnete  die damaligen Forderungen der  hörigen Bauern nach Aufteilung der adligen Güter als kommunistische Bestrebungen. Ein Historiker jener Jahre, namens László Kövari, behauptete, das Volk träume von Kommunismus. Als es im Frühjahr 1848 zu bäuerlichen Exzessen im Oberalbenser Komitat kam, wurden die Behörden aufgefordert, gegen die aufständischen Bauern hart durchzugreifen, denn sonst werde der Kommunismus eingeführt. Der Obergespan des Hunyader Komitats, László Noptsa, forderte in einer Bittschrift am 29. März 1848 den Gouverneur Siebenbürgens auf, er möge die Juden aus Deva vertreiben. Klage führte er namentlich gegen einen Juden namens Ignácz Svartz, der unter den Zigeunern „kommunistische Propaganda“ betreibe. Im Revolutionsjahr 1848 fand Roth Forderungen rumänischer Bauern auf der Volksversammlung von Blasendorf, an der er auch teilgenommen hatte, „kommunistisch“, und bedauerte, dass sie nur „speziell zurückgewiesen“, das Prinzip als solches aber nicht verdammt worden sei, wie es sich gehört hätte. Auch in den Reihen sächsischer Untertanen  des Kokelburger Komitats glaubte Roth, dass sie im Revolutionsjahr 1848  „dem lockenden Kommunismus mehr als wünschenswert, die Ohren geneigt hätten“.

Diese hier genannten Berührungspunkte Roths mit kommunistischen Ideen und Auftritten  sind von der Forschung wenig beachtet worden. Es ist nicht viel, sie sollten aber nicht übersehen werden, was hier erfolgt. 
Roth hat die kommunistischen Ideen und Einrichtungen als Hirngespinst und Utopie bezeichnet und abgelehnt. Er vertrat die Ansicht, das Leben in Gütergemeinschaft sei eine Utopie. Damit widersprach er den kommunistischen Vorstellungen im Allgemeinen und speziell jenen von Karl Marx und Friedrich Engels. Im Gegensatz zum Marxismus war für Roth das Privateigentum heilig, da auf seiner Grundlage der Wohlstand der menschlichen Gesellschaft ruhte und folglich die Stärkung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung das Ziel seines Einsatzes war. Seiner festen Überzeugung nach sei es notwendig, den Widerspuch  zwischen den beiden entgegengesetzten Rechtsprinzipien des Eigentums zu beseitigen, schrieb er in seiner Schrift „Untersuchungen und Wohlmeinungen über Ackerbau und Nomadenwesen“. Mit anderen Worten heißt es dort weiter: „ Das Nomadenprinzip der gemeinschaftlichen Güterbenutzung (der älteste Kommunismus) muß gänzlich beseitigt werden und das bereits anerkannte Recht  des besonderen Eigentums (Recht des Privatbesitzes) zum ausschließlichen und vollkommenen Besitz  erhoben werden.“ Es soll nur „einerlei Eigentum Gültigkeit haben“. Dazu seien zwei Schritte notwendig: 1. die gemeinschaftliche Benutzung des Privateigentums hört auf.  2. der Besitz der Gemeindeweide wird an sämtliche Ortsbewohner aufgeteilt. Der allgemeine Grund wird zum Privatgrund gemacht. Dadurch kommt der Ackerbau in den „Zustand der Entfesselung und gelangt in Freiheit. Die Bevölkerung tritt hiedurch aus einem minder vollkommenen Rechtszustand in einen vollkommenen über.“

Roth hat gegen Ende seines Lebens seine Ansichten über das Zunft- und Fabrikswesen etwas revidiert. Während seines Aufenthalts in Wien im Jahre 1845 scheint er erkannt zu haben, dass die Industrialisierung nicht aufzuhalten war. Er hat Recht behalten, denn es folgte auch bei den Sachsen in den Jahrzehnten vor 1900 eine verstärkte industrielle Entwicklung, die er nicht mehr erlebt hat.

In dem vom zweiten Sachsentag 1890 angenommenen Programm, das der namhafte Volksführer der Sachsen, Karl Wolff, vortrug, heißt es: „Unser Kleingewerbe in den Städten ringt seit der Auflösung der Zünfte und Einführung der Gewerbefreiheit mit dem Untergange. Es geht völlig zu Grunde, wenn wir es nicht in den Stand setzen, durch eine bessere Fachausbildung in geänderten Betriebsformen (d. h. Fabriken) den verloren gegangenen goldenen Boden des Handwerks wieder zu finden. Gegen die Großindustrie hilft nur die gleiche Waffe: die Einbürgerung der Großindustrie. Gelingt es uns, sie einzubürgern, dann gelangen wir nicht nur für Ungarn, sondern auch für Mittel- und Westeuropa zu einer Bedeutung, welche den Bestand unseres Volkes mehr sichert als Pergamente“ (Pivilegien).

Was wurde aus den kommunistischen Visionen?

 Es gab in den meisten europäischen Ländern am Ende des 19. Jahrhundert sozialistische Parteien. Den größten Erfolg hatte die sozialistische Bewegung in Russland, wo sie als bolschewistische Partei 1917 unter der Führung von Lenin an die Macht gelangte und ein sozialistisches Regime errichtete. Es war aber nicht der ideale Arbeiterstaat, sondern eine Diktatur des Proletariats. Auch sonst hat die kommunistische Bewegung versagt und  nach dem Zweiten Weltkrieg in den Ländern des real exsistierenden Sozialismus zu Diktatur, Raub der Freiheit und zu wirtschaftlichen Rückschlägen geführt, was zu ihrem Machtverlust führte. 

St. L. Roth hat, wie dargestellt, sowohl am Kapitalismus als auch am Kommunismus Kritik geübt. Er hatte Recht, das Gemeinschaftseigentum abzulehnen und den Privatbesitz zu fördern. Die Kollektivwirtschaften auf dem Lande haben im Nachkriegsrumänien beispielsweise bewiesen, dass Kollektivbesitz zu Misserfolg führt. Auch sonst hat der Gemeinschaftsbesitz in den sozialistischen Ländern keinen Erfolg gebracht. Die sozialistische Welt ist heute größtenteils Vergangenheit und besteht in den Nachfolgestaaten in abgewandelter Form oder ist in einen kapitalistischen Staat umgewandelt worden. Durch die Einführung der Marktwirtschaft und einer Reformpolitik konnte der  Kapitalimus nicht nur überleben, sondern den Sozialismus verdrängen. Das beste Beispiel in Europa ist die Bundesrepublik Deutschland, die durch ihre Erfolge auf wirtschaftlichem Gebiet ihresgleichen sucht. Der Kommunismus ist jedenfalls nach den bisherigen Erfahrungen keine Gesellschaftsordnung der Zukunft, die Entwicklung hat nicht zwingend zum Kommunismus geführt. Die so lautende marxistische Lehre ist durch die geschichtliche Entwicklung der  menschlichen Gesellschaft nicht bestätigt worden. Was die Marxisten als Wissenschaft präsentierten, war und ist ideologische Parteipolitik. Der Volkswitz meint dazu ironisch lächelnd, Marx habe inzwischen seine Aufforderung „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“,  um den Kapitalismus zu stürzen, der Realität entsprechend, geändert in „Proletarier aller Länder verzeiht mir, dass ich Euch irregeleitet habe.“  

Für die Deutschen Rumäniens hat der Sozialismus, um es kurz zu sagen, nach Verfolgung, Deportation, nationaler Diskriminierung,  Verlust ihres Privatbesitzes, für  den Großteil von ihnen den Verlust der Heimat gebracht. Die Aussiedler aus  Rumänien haben in ihrer neuen Heimat, der Bundesrepublik Deutschland, entgegenkommende Aufnahme gefunden. 

Es hat zur Zeit Roths Pläne für eine Umsiedlung  der Sachsen nach Deutschland gegeben, da ihnen in Siebenbürgen Magyarisierung oder Rumänisierung drohte. Roth hat diese Pläne abgewiesen und zum Verbleib im schönen Siebenbürgen geraten. Dazu hat er eine erfolgreiche Überlebensstrategie entwickelt. Als Bürger eines nichtdeutschen Staates, setzte er auf eine doppelte Loyalpolitik gegenüber dem Vaterland, bei gleichzeitigem Bekenntnis zum Deutschtum und deutschem Mutterland, und wurde zu einem Vorkämpfer für friedliches Zusammenleben der Völkerschaften Siebenbürgens und Förderer der Wirtschaft und Kultur, hauptsächlich des Schulwesens. Ob Roth in unserer Zeit, was die Aussiedlung betrifft, auch so wie wir geurteilt hätte? Wir glauben, dass er angesichts der vielfachen nationalen Verfolgungsmaßnahmen, der wirtschaftlichen Enteignungen der Sachsen, der erhöhten Rumänisierungspolitik, und nicht zuletzt als Folge der Diktatur des kommunistischen Regimes auch so, wie unsere Generation entschieden hätte. Wenn nicht mehr, so bestätigt Roths Urteil über Kommunismus und  unsere Zukunft historische Tatsachen. 

Wir dagegen können der Auffoderung Roths folgen, wenn auch nur zum Teil in Siebenbürgen. Roth hat nämlich in den nationalen Auseinandersetzungen als Vermächtnis hinterlassen: „Mer wällen bleiben wat mer sen“, als Deutsche, wenn auch geteilt, in Siebenbürgen und sonst in der Welt, vor allem in Deutschland.

Die Bedeutung Roths kommentiert sein zeitgenössischer Biograph Franz Oberth wie folgt: „Die Kugeln, welche Roth durchbohrten, haben ihm Unsterblichkeit verliehen. So lange ein sächsisches Herz schlägt, wird sein Name unvergessen sein. Sein Denkmal von Erz kann verrosten und in Staub zerfallen, sein Nachruhm wird es überleben. Mit ungeschwächter Bewunderung hängt das Sachsenvolk an dem Andenken dieses Mannes.

Der Sachse kann mit freudigem Gefühle den Tempel seiner Ahnen betreten und sich nach den herrlichen Bildern seiner nationalen Vorzeit umsehen; er darf sich nicht scheuen, dieselben mit den großen Männern seiner Mitnationen zu vergleichen. Zahlreiche Beweise liefert hierfür die Geschichte der Sachsen, die Geschichte Siebenbürgens.Um wie viel voller muss  dem Sachsen aber sein Herz schlagen, wenn es in einer verhängnisvollen Zeit, wo ein großes Missgeschick seiner Nation und mit ihr deutscher Sitte und Bildung an der äußersten Ostgrenze europäischer Zivilisation schmachvoller Untergang drohte, in seinem Volke echt deutschen Sinn männlich tätig findet und einem ausgezeichneten Charakter begegnet, der alle Bürgertugenden des Siebenbürger Deutschen in sich vereint und in seiner Reinheit und Stärke hervorbildet, dass sie selbst über die gewaltsame Vernichtung seiner irdischen Hülle sich triumphierend erheben. – Würdig ist Stephan Ludwig Roth, dass seinem  Andenken in der Geschichte des Sachsenvolkes ein Ehrenplatz angewiesen werde; würdig, dass es nach dem ganzen Umfang seines gemeinnützigen und tatenreichen Lebens, das fern von Eitelkeit und Eigendünkel auf Grundlage wahrer und natürlicher Humanität unermüdlich für das Wohl seines Volkes tätig war, als erhebendes und aneiferndes Vorbild seiner nationalen Mit- und Nachwelt übergeben werde. So lange ein sächsisches Herz schlägt, wird ein Name unvergessen sein.