Kleiner Mann – seltenes Original

Worte am offenen Grabe von Gernot Nussbächer im Namen des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde und des Archivs der Honterusgemeinde

Vor der Gruft von Gernot Nussbächer. Thomas Sindilariu spricht zur zahlreich erschienenen Trauergemeinde. Akad. Prof. Dr. Paul Niedermaier, Hermannstadt, Conf. Dr. Edit Szegedi, Klausenburg und Dr. Ioan Drăgan, Generaldirektor der Staatsarchive Rumäniens waren eigens angereist, um gemeinsam mit den Kronstädter Kollegen dem Sarg zu folgen. Foto: Aurelian Stroe, Bukarest

Die Schnelligkeit und die besondere Art, wie Gernot Nussbächer von uns gegangen ist, haben es mir persönlich sehr schwer gemacht, die im Voraus entworfenen Gedanken vollends auch auszusprechen. Daher seien sie schriftlich nachgereicht.

Einen kleinen Mann begraben wir heute. Einen kleinen Mann, der mit seinem zeitlos alten Rucksack und seiner bescheidenen, zwiebelhaft-vielschichtigen Kleidung zum Bild der Stadt gehörte, seiner Kronstadt. Die Begegnung mit ihm, gleichgültig ob „nur“ menschlicher oder wissenschaftlicher Natur, prägte sich einem jeden in einer Weise ein, wie nur Originale das vermögen. In jeder Begegnung suchte er durch das Aufzeigen der Besonderheiten der Kronstädter Geschichte für deren wahren Wert in Anbetracht des oberflächlichen Zeitgeists zu sensibilisieren und so eine persönliche Beziehung aufzubauen. Auf diese Beziehung war Verlass, insbesondere, wer persönlichen Prüfungen ausgesetzt war, seien sie auch nur auf der beruflichen Ebene angesiedelt, durfte mit seinem Zuspruch und auch Einsatz rechnen sowie mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit hierbei.

Lasst uns mit den Worten seines Jahrgangskollegen Joachim Wittstock nach der „uns angebotenen Welt“ fragen, in der Gernots Jugend und der Beginn seines beruflichen Werdeganges lagen. Es war die Zeit unmittelbar vor dem Schwarze-Kirche-Prozess 1958, dessen wir dieser Tage gedenken, damit also der tiefste Stalinismus. Die Antwort, die Gernot mit seinem Schaffen als Historiker auf diese Hochphase der Politisierung der Geschichtsschreibung zu geben verstand, zeigt, wie man, ohne seine berufliche Glaubwürdigkeit zu opfern, forschen muss aber auch kann, um nicht in Konflikt mit dem Regime zu geraten. Er verzichtete bewusst auf die Verfassung einer Doktorarbeit, weil er sich mit der dafür erforderlichen Vorbedingung, dem Eintritt in die Kommunistische Partei Rumäniens, nicht anfreunden wollte. Während die Namen der parteilinientreuen Historiker schon weitgehend vergessen sind, hatten und haben Gernots Forschungsergebnisse nicht nur Bestand, sondern zeigen auch auf, dass es weniger um akademische Titel als um wahres handwerkliches Können des Historikers letztlich geht. Mit diesem unkonventionellen Ansatz hat er vielen jüngeren und älteren Forschern und Kollegen geholfen und sie auch inspiriert. Mit Blick darauf sprach er einmal über die Kronstädter Historiker- und Archivarsschule. Als Institution gibt es sie nicht, als Netzwerk umso mehr, wenn ich in die Runde blicke, die Anrufe und Schreiben der Kollegen von nah und fern der letzten Tage hinzuzähle, ist das eine Realität, die seinem Wirken mit zu verdanken ist. Die Wahl seiner Gruft steht in diesem Zeichen: in ihr liegt Friedrich Wilhelm Seraphin, sein Urgroßvater, einer der aktivsten Mitarbeiter in der seit 1880 tätigen „Kommission zur Herausgabe der Quellen zur Geschichte der Stadt Kronstadt“. Wenig hat Gernots Schaffenskraft so beflügelt, wie der Vorschlag von Dr. Harald Roth in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, den im Staatsarchiv in Vorbereitung befindlichen Band zu Kronstädter Zunfturkunden als Fortsetzung der „Quellen Kronstadts“ erscheinen zu lassen. Mindestens ein Quellen-Band, der Gernot Nussbächers Namen unter den Herausgebern tragen wird, wird noch folgen, sowie auch 5 Bände in der Serie „Aus Urkunden und Chroniken“, darunter 3 Bände zu Kronstadt – darüber haben wir noch eine Woche vor seinem Tod en détail geredet.

Ein Original kann Vorbild sein – etwa wenn es darum geht, wie man ohne ideologische Verrenkungen einen ideologisierten Unrechtsstaat übersteht, von dem wir nicht wissen, ob er nicht doch wiederkehrt. Ein Original hat aber auch Kanten. Gernot hatte Kanten, die ten. Nichts ließ ihn so ungehalten werden, wie die seltenen Situationen, in denen er auf einen historischen Sachverhalt keine Antwort wusste. Er konnte auch schroff sein, v.a. wenn der Moment nicht passte, und antwortete dann meist mit „lies Nussbächer“, ohne genau zu sagen welchen seiner knapp 1600 Beiträge. Ihn zu ehren, war nicht leicht – manchen gelang es, die Universitäten in Klausenburg und Hermannstadt scheiterten jedoch mit dem angebotenen Ehrendoksein Wesen, ihn von etwas abzubringen, war so gut wie unmöglich. Als es um den Erhalt der rumäniendeutschen Presselandschaft 2008 ging, gehörte er zu den entschiedensten Verfechtern der Causa. Es ist also keine Überraschung, dass klare Positionen ähnlicher Art auch in seinem Testament zu finden sind.

Sein Scheiden aus dieser Welt erfolgte am 21. Juni zeitgleich zum Erscheinen seiner letzten Veröffentlichung in seiner geliebten Karpatenrundschau über die Honteruslinde, in deren Vertrocknen er sich wohl selbst ein Stück weit sah. Todes- und Beerdigungstag fallen um genau drei Jahre versetzt zu seiner Frau Ada aus – an Zufall mag glauben, wer da will!

Die Beerdigungs- und Trauungshektik in der Honterusgemeinde an diesem Wochenende hat es verhindert – ein würdevoller Brauch aus der guten alten Zeit wurde im Falle Gernots gar nicht erst in Erwägung gezogen: die sogenannte „Beerdigung aus der Kirche heraus“, also in Prozession nach Aussegnung in der Schwarzen Kirche, eine Ehrerbietung, die uns als Kirche und Minderheit in Anbetracht von Gernots Ausstrahlung weit über diese unsere Grenzen hinaus gut gestanden hätte – der letzte dem diese Ehre zuteilwurde, war Viktor Bickerich 1964.

Der Kreis schließt sich, die Friedhofsglocke und wohl auch die Große Glocke der Schwarzen Kirche haben ihn zur ewigen Ruhestätte begleitet – es ist ihr Klang gewesen, der ihn zur ersten Veröffentlichung anregte: Opus 1, „Was die Grosse Glocke erzählt“ (Volkszeitung vom 20. Juni 1957). Was bleibt, ist: „lies Nussbächer“ und das werden wir! Gleich den Schatzgräbern in Gottfried August Bürgers gleichnamiger Ballade ist dies zu tun, denn es lohnt, wie das Beispiel der Spur zur Neubewertung des Reformationsgeschehens in Kronstadt vor 475 Jahren zeigt, die ich letztes Jahr erarbeiten konnte. Die alles verändernde Spur der Interpretation hatte in Gernots Weinberg ihren Anfang, seinen systematisch angelegten Sammlungen, in dem die Schatzgräber der historischen Forschung noch manches finden werden, denn zu diesem Zweck hat Gernot seine Sammlungen für das Archiv der Honterusgemeinde bestimmt.

Kronstadt 23. Juni 2018