„Man soll Kronstadt so kennenlernen, wie es ist“

Eine Facebook-Seite macht die Geschichte der Stadt für jeden zugänglich

Die Burggasse im Winter 1923 nach einem heftigen Schneefall. Bildquelle: Kronstädter Kreisbibliothek

Irene von Brennerberg (Violinistin und Violinlehrerin), Honoria Popovici (Opernsängerin, die beim Untergang der Titanic starb), Karl Lehmann (Bergsteiger, Bergführer und Fotograf), Elena Safrano (Tochter reicher Kaufleute); bedeutende historische Gebäude, Denkmäler, Tore, Statuen, Grabsteine, aber auch architektonische Details wie Türklopfer, Türklinken, Steinengel oder Stuckaturen aus dem Kulturerbe sind nur einige der unzähligen Beispiele von Informationen über die Stadt unter der Zinne, die regelmäßig online erscheinen. Die Facebook-Seite „My Name:Brasov“ bietet seit zwei Jahren wertvolle Daten zur siebenbürgischen Stadt, die 1234 unter dem Namen Corona erstmals urkundlich erwähnt wurde. 15.000 Fans verfolgen sie, 6000 davon kommen aus dem Ausland (Deutschland, Großbritannien, Italien, Spanien, Japan u.a.). Interessante Archivbilder und kurze Texte zum Dargestellten geben einen klaren Hintergrund zu Bauten, Orten, Persönlichkeiten und Ereignissen. Zudem erscheinen manchmal Bilder, die bestimmte Straßen oder Gebäude vor Jahren vs. von heute darstellen. Die Änderungen, die die Zeit brachte, sind manchmal erstaunlich. Auch Fotos mit Kronstadts Sehenswürdigkeiten, die in einem schönen Licht, oder aus weniger bekannten Perspektiven gemacht wurden, ziehen die Blicke der Onlineleser auf die Seite. Hinter den gut dokumentierten Posts scheint ein ganzes Team zu stecken, das sich mit Geschichte und Fotografie auskennt.

Eine große Leidenschaft

Dabei ist diese systematische Arbeit einem einzigen Menschen zu verdanken: Cătălin Paraschiv. Der 42-jährige gebürtige Kronstädter hat eine Leidenschaft für Geschichte und ist in seine Heimatstadt verliebt. Als Sohn eines Geschichtslehrers hat er von klein auf das Interesse für die Vergangenheit entwickelt, für alte Gebäude, Denkmäler, Plätze, Hügel, für namhafte Bürger. Von der Klostergasse aus, wo er aufwuchs, wanderte er schon als Grundschüler alle Gassen und Hügel um die Altstadt ab. „Ich kenne alle Gassen, Gebäude, Höfe, Tore, Höhlen, Grotten, Katakomben in der Umgebung. Ich spielte oft Reiseleiter mit den Freunden und zeigte ihnen das ‘geheime Kronstadt‘, die Innere Stadt, die Zinne, die Warthe“, erzählt er begeistert. Er spricht sichtlich erfreut über den Prozess, an Informationen über historische Daten zu kommen. Bibliotheken, Antiquariate, aber auch zum Großteil Feldforschung gehören zu seinem Alltag dazu. Der Familienvater, der Vollzeit im Horeca-Bereich angestellt ist, verbringt seine Freizeit hauptsächlich mit Spaziergängen, Interviews, oder mit dem Erkunden alter Büchern und Dokumente.

„Es ist eine Aufgabe, die niemals endet“, meint Paraschiv. Jede Recherche öffnet neue Interessengebiete, wirft neue Fragen auf, die beantwortet werden wollen. Eine Herausforderung, die der Mann gerne annimmt. Während seiner Recherchen hat er angefangen, die deutsche Sprache zu verstehen, „würde ich die Sprache aber beherrschen, wäre alles viel einfacher, ich würde viel schneller an Informationen kommen“.
Umso dankbarer ist er den Leuten, die ihm beim Dokumentieren helfen. Viele Institutionen kennen ihn bereits und unterstützen seine Arbeit durch Empfehlungen, Dokumente, Übersetzungen.
Sein ständiger Mitarbeiter ist Liviu Mititeanu, ein Renter der manchmal von Paraschiv gefundene Themen forscht. „Er hat Zeit, genau das, was mir fehlt. Hätte mein Vater gelebt, hätte ich viel gewusst“, sagt Paraschiv. Beide Eltern sind verunglückt, als er noch ein Kind war.

Informationen zu jedem Haus
Cătălin Paraschiv geht gerne zu Fuß, immer mit weit geöffneten Augen und dem Handy bereit, Fotos zu machen. Zu den Bildern sucht er später den Hintergrund. Seine „Ermittlungen“ sind bislang in Alben mit rund 3000 alten Postkarten, zahlreichen Notizbüchern und 39 Hefte festgehalten. Jedes Heft ist einem Wohnviertel, oder einer bestimmten Straße gewidmet. Auf den Seiten der Hefte sind Straßennamen und Hausnummern aufgeschrieben. Wie ein Forscher sucht er Daten zu einzelnen Häusern der Inneren Stadt, deren Baujahr, Eigentümer, Nutzung. „Meist finde ich Bruchteile von Geschichte und ‘grabe‘ dann weiter“. Fotos, Lithographien, Karten sind systematisiert in Foldern am Computer und im Telefon gespeichert.
„Das Schwierigste ist es, in Höfe eintreten zu dürfen“, erklärt er. Die Leute seien ängstlich, wollen keinen Besuch. „Ich bin ein einfacher Mensch. Ich stelle keine Institution dar, sodass ich wenig Zugang habe. Ich kehre aber immer wieder zurück, bis ich erfahre, was mich interessiert.“

Zudem erhält er von den Facebook-Fans oder von Bekannten Bilder oder Hinweise, die ihm neue Wege öffnen. Wenn ihn etwas davon anzieht, „muss ich es mit eigenen Augen sehen, mich vergewissern, wo es ist, in welchem Zustand es sich befindet und von da an beginnt die Suche nach Daten“. Seine Posts sind meist kurz und bündig, allerdings ausreichend, um sich schnell (wie das auf Facebook ist) zu informieren.

„Viele wissen eigentlich nur wenig über die Stadt und deren Geschichte“

Ohne jeglichen Plan schuf Paraschiv in zwei Jahren durch seine Seite, die eine beneidenswerte Anhängerzahl hat, einen Brand. Dabei war seine Absicht nur, „dass die Leute Kronstadt so kennenlernen, wie es ist und dass die Informationen über die Stadt nicht verloren gehen.Denn viele wissen eigentlich nur wenig über die Stadt und deren Geschichte“. Bescheiden erklärt er sich überrascht und gleichzeitig erfreut über die Beliebtheit der Seite. Mit 15.000 Likes könnte er leicht als Influencer (jemand, der in sozialen Netzwerken besonders bekannt, einflussreich ist und bestimmte (Werbe-)Botschaften o. Ä. vermittelt) herüberkommen und beginnen, alles aus kommerzieller Perspektive zu betrachten. Doch scheint er ehrenamtlich weitermachen zu wollen. „Ich kenne mich mit Geschäften nicht aus und will die Seite so weiterführen, wie bisher, denn es geht nicht um mich, sondern um Kronstadt“. Gerne würde Paraschiv den ganzen Kreis erkunden, besonders auch die Festungen besichtigen, doch fehlt ihm dazu ein Auto.

Derzeit arbeitet er auch an einem Buch über Gaststätten von früher aus der Inneren Stadt, spielt auch mit dem Gedanken einen eigenen Blog zu gründen, sowie auch einen Youtube-Kanal und eine Internetseite „My Name:Brasov“. Hier soll er die vielen Informationen, die noch unbekannt sind, ans Tageslicht bringen.

Audio-Touren durch die Altstadt

Sein Wissen hat er auch in zwei Audio-Touren durch die Kronstädter Innere Stadt investiert. Gemeinsam mit seinem Mitarbeiter, Tudor Georgescu, haben sie „Din poartă’n poartă prin Brașov“ geschaffen. Mit Kopfhörern in den Ohren und einem ans Internet angeschlossenen Handy können rumänisch sprechende Touristen die Gassen zwischen den mittelalterlichen Wehrtürmen und auch außerhalb deren besuchen und Informationen zu bedeutenden Gebäuden und Persönlichkeiten der Stadt hören oder am Bildschirm lesen. Insgesamt 22 Sehenswürdigkeiten stehen auf www.mandala-journeys.ro zur (kostenpflichtigen) Verfügung. Eine männliche Stimme präsentiert kurz die Geschichte Kronstadts von dessen Anfängen bis in die Gegenwart.

Danach kann die Erkundungsreise beginnen: Postwiese - Bailuescu-Villa - Rudolf-Park - Rektoratsgebäude - Wilhelm Czell Palais - Klostergasse - Apollonia-Hirscher-Gasse - Schwarze Kirche (Außenstatuen und Turm) - Rathaus - Purzengasse - Honterushof - Neologe Synagoge - Schnurgässchen - Olympia-Sportanlage - Weberbastei - „Andrei Șaguna“-Lyzeum - Waisenhausgässer-Tor - Katharinentor - Anger - Erste Rumänische Schule - Kirche Sf. Nicolae - Graft-Allee - Graft-Bastei und die Verbindung zum Weißen Turm und zum Schwarzen Turm. Anhand einer digitalen Karte, wo alle Attraktionen gekennzeichnet sind, können Zuhörerinnen und Zuhörer ihre Trasse beliebig wählen. Für jede Station sind eine Audiodatei und ein ausführlicher Text vorbereitet, mancherorts sind auch Fotos, Ansichtskarten, Karten oder Lithographien zu sehen.