Theater macht Spaß

10 Honterianerinnen schreiben für die Bühne

Am Abend der Buchvorstellung lasen die Autorinnen aus ihren Stücken vor

Der von Petra Antonia Binder herausgegebene Theaterband erschien im April im Aldus-Verlag

Die Buchvorstellung am 19. April war sehr gut besucht.
Foto: Sarah Elisabeth Sarb (2)

Am Mittwoch, dem 19. April, war um 19 Uhr abends im Cafe „Tipografia“ kein einziger Platz mehr frei. Schüler, Eltern und Lehrer hatten sich versammelt, um an einer Buchvorstellung der besonderen Art teilzunehmen. Beim von Petra Antonia Binder koordinierten Band „Begegnung mit der Dramatik. Kronstädter Schüler schreiben Theater“, der vor Kurzem im Aldus-Verlag erschienen ist, handelt es sich um eine Premiere: noch nie wurde ein Buch mit von Honterusschülern geschriebenen Theaterstücken herausgegeben. Der Band, der mit der finanziellen Unterstützung des Departments für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens durch das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien und das Demokratische Forum der Deutschen in Kronstadt erschienen ist, umfasst mehrere Kurztheaterstücke, sowie das Stück „Spiegel der Zeit“. Letzteres handelt über die Identität der Siebenbürger Sachsen und wurde schon im Dezember 2016 in einer szenischen Lesung vorgestellt. Die jungen Theaterautorinnen sind: Diana Alexe, Teodora Banu, Ana Badea Caliţoiu, Alexandra Ciolan, Andra Gorun, Maria Ivănescu, Ana Lăcătuş, Andreea Maria Oros, Ioana Paul, Emilia Sandu und Bianca Stăncescu. Das Buch stellt den Abschluss eines erfolgreichen Projektes dar, das sich über fast ein Jahr erstreckt hat.

Von Übungen bis zum „richtigen“ Theaterstück

Der Band ist in drei Teile untergliedert. Der erste Teil beinhaltet mehrere kurze Texte, die das Resultat einer Schreibübung sind. Petra Antonia Binder, die Koordinatorin des Projektes, hat selbst einen Masterstudiengang in szenischem Schreiben an der Bukarester Hochschule für Theater und Film (UNATC) absolviert und kennt verschiedene Methoden, mit denen die Kreativität gefördert wird. Die Schülerinnen erhielten die Aufgabe, einen kurzen Text in Dialogform zu schreiben, der mit dem Satz „Ich glaube, ich komme nicht mehr nach Hause“ beginnt und mit dem Satz „Lass ihn sein, er will nicht und fertig“ endet. Dafür hatten sie nur 15 Minuten Zeit. Die Ergebnisse sind witzig, voller Phantasie und mit oft unerwarteten Wendungen.

Im zweiten Teil findet der Leser eine kleine Sammlung von sehr kurzen Theaterstücken (10-minute-plays), die im Rahmen eines Workshops entstanden. Dabei erhielt jede Teilnehmerin ein abstraktes Wort und musste, ausgehend von diesem Wort, ein kurzes Stück mit wenigen Personen schreiben, nicht länger als fünf bis sieben Seiten (also in höchstens zehn Minuten aufführbar). Dabei wurden der Einbildungskraft der Stückeschreiberinnen keine Grenzen gesetzt.
In den Mini-Stücken werden mit viel Phantasie und nicht selten auch mit Humor Themen behandelt, die mit dem Alltag der Schülerinnen zu tun haben: die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, die erste Liebe, die Freundschaft während der Teenager-Jahre. Aber es werden auch große Fragen nach dem Sinn des Lebens gestellt. Natürlich handelt es sich bei den Texten im ersten und zweiten Teil um Schreibübungen von Anfängern, trotzdem merkt man in jeder Zeile den Enthusiasmus mit dem die Schülerinnen ihre Aufgaben erfüllt haben. Die zehn jungen Autorinnen haben ihre Arbeit an den Stücken wirklich ernst genommen. Und manch eine von ihnen hat währenddessen entdeckt, dass Schreiben Spaß macht.

Ein gelungenes Dokumentartheaterstück

Die Übungen aus den ersten beiden Teilen haben die Schülerinnen auf das Schreiben des Textes vorbereitet, den die Leser im dritten Teil finden: das Theaterstück „Spiegel der Zeit“. Es ist ein Text, der eine sehr gute Basis für eine mögliche zukünftige Dokumentarheatervorstellung bietet. „Es ist das erste richtige Projekt, bei dem ich mitgemacht habe. Und es war eine großartige Erfahrung, die ich jederzeit wiederholen würde“, sagte eine Schülerin bei der Buchvorstellung. Das Ziel des Projektes, das im Rahmen des deutschen Jugendforums Kronstadt durchgeführt wurde und vom Institut für Auslandsbeziehungen (Ifa) in Stuttgart gefördert wurde, war, zusammen mit Jugendlichen ein Theaterstück zum Thema „Identität der Siebenbürger Sachsen“ zu schreiben. Im Mai 2016 hat Antonia Binder das Projekt im Johannes-Honterus-Lyzeum vorgestellt. Sie war auf der Suche nach Jugendlichen, die sich für das Thema interessieren und auch in einem Theaterteam mitmachen wollen. Zu ihrer Überraschung stieß ihr Angebot auf große Begeisterung. Das Stück haben die Schülerinnen nach einer ausführlichen Dokumentationsarbeit im Honterus-Archiv, nach Gesprächen mit Historikern, Zeitzeugen, einfachen Leuten und einer Serie von Workshops, alles unter der Koordination von Binder, erarbeitet. In ihren Reisen durch mehrere siebenbürgische Dörfer haben sie viel fotografiert und gefilmt. Am Ende haben sie alle Informationen gesammelt. Die Fakten, die sie während der Dokumentation am meisten interessiert haben, wurden Ideen für ein Theaterstück. Ihre Inspiration haben die Autorinnen aber auch aus dem Alltag genommen: entweder stammen sie aus Familien mit multikulturellem Hintergrund oder kennen jemanden, der aus einer solchen Familie kommt.

Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen

Dokumentartheater ist zurzeit in Rumänien sehr angesagt. Auf den Bühnen der unabhängigen und inzwischen auch der staatlich finanzierten Theater kann man sehr gute Aufführungen sehen, die von wahren Fakten handeln. Die Autoren behandeln dabei entweder Begebenheiten aus der Vergangenheit, die tiefe Spuren in unserer Gegenwart hinterlassen haben, oder aktuelle politische oder soziale Ereignisse. Als Quellen fungieren oft Berichte, Bücher, Filme, Zeitungen Dokumente und Interviews. Die Dokumentation wird oft von dem ganzen Theaterteam unternommen. Dabei gehen die Schauspieler und der Regisseur wie Journalisten während einer Recherche vor. Sie sammeln alles, was mit ihrem Thema zu tun hat. Danach endet die „journalistische“ Arbeit und es beginnt die künstlerische: der Rohstoff wird in ein fiktionales Werk eingearbeitet, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen.

Die Dokumentartheaterstücke, die zurzeit auf den rumänischen Bühnen zu sehen sind, behandeln oft Themen aus der Vergangenheit. Für manche Stücke haben die Autoren Securitate-Dossiers als Quelle verwendet. „Tipografic Majuscul“ (deutsch: Schrift in Großbuchstaben) in der Regie von Gianina Cărbunariu handelt vom Fall des Schülers Mugur Călinescu, der im Jahr 1981 anti-kommunistische Parolen auf mehrere Gebäude der Stadt Botoşani geschrieben hat. Im Falle von anderen Stücken führten die Autoren eine Serie von Interviews mit Zeitzeugen. Um Stoff für das Stück „20/20” zu erhalten, das von den interethnischen Konflikten Anfang 1990 inNeumarkt/Târgu Mureş handelt, hat die Regisseurin Gianina Cărbunariu über 60 ungarische Familien interviewt. Die Stücke handeln auch von weniger bekannten Aspekten der heutigen Zeit, wie das Leben von philippinischen Dienstmädchen in Rumänien („Domestic products“ in der Regie von Ioana Păun) oder die Probleme, mit denen sich Whistleblower in europäischen Unternehmen und Behörden konfrontiert werden („Oameni obişnui]i“, deutsch: Gewöhnliche Menschen, Regie Gianina Cărbunariu). Aber sie handeln auch von Aspekten, die seit Jahren diskutiert werden, wie das Problem der rumänischen Kinder, deren Eltern im Ausland arbeiten („Ro-Vegan“ in der Regie von Catinca Drăgănescu). Die Regisseurin und Autorin Gianina Cărbunariu hat sich in ihrem 2010 bei den Münchner Kammerspielen inszenierten Stück „Sold Out“ (deutsch:Ausverkauft) auch mit einem Thema aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen befasst, und zwar mit dem Freikauf der Rumäniendeutschen während des kommunistischen Regimes. Beim Dokumentartheaterstück „Spiegel der Zeit“ wurde jedoch nicht nur eine einzige Episode aus der Geschichte thematisiert, sondern gleich mehrere: die Deportation, die große Auswanderungswelle nach der Weltkrieg, der zweite Weltkrieg, die Gegenwart.

Ein Stück Geschichte

„Spiegel der Zeit“ ist in drei Episoden eingeteilt. Den Rahmen zu den drei Geschichten bildet eine vierte Episode, die von Petra Antonia Binder verfasst wurde. In der ersten Episode unternimmt eine junge Frau eine Zeitreise in die Vergangenheit. Dabei erlebt sie die Deportation ihrer Großeltern Anfang 1945 und die Auswanderung ihrer Eltern nach der Wende.  Die zweite Episode erzählt die Geschichte von zwei Freunden, die im zweiten Weltkrieg gegeneinander kämpfen müssen – der eine dient der deutschen Wehrmacht, der andere kämpft in der rumänischen Armee. Die dritte Episode spielt in der Gegenwart und handelt von vier Honterianern mit verschiedenem familiären Hintergrund. Die Personen, die den Rahmen des Stückes darstellen (vierte Episode), haben auch eine Geschichte. Es sind zwei Sachsen, Erwin und Hans, die in ihrem Heimatdorf geblieben sind, während ihre Freunde und später auch ihre Kinder ausgewandert sind. Sie sitzen auf einer Bank vor der Dorfkirche, warten auf den Milchmann und sprechen vom „Damals“ und vom „Heute“. Nachdem man „Spiegel der Zeit“ gelesen hat, stellt man sich Fragen. Was für Spuren hinterlässt die Vergangenheit? Was können wir tun, um die Traditionen zu retten? Werden die Sachsen verschwinden? Und man wird zum Denken und Handeln angeregt.


Wie der Historiker Thomas Şindilariu bei der Buchvorstellung betonte, gehört ein Stück erstens auf die Bühne, und erst dann in ein Buch. Es wäre sicher eine gute Idee, wenn die Schüler „Spiegel der Zeit“ auch aufführen würden. Theater spielen wird  immer öfter  von Lehrern als Unterrichtsmethode eingesetzt. Es fordert die Phantasie der Jugendlichen, stärkt das Selbstvertrauen und ist ein gutes Mittel zum Erlernen einer Fremdsprache. Außerdem lernt man in einer Theatergruppe, wie Teamarbeit funktioniert. Das kann im zukünftigen Berufsleben sehr hilfreich sein – unabhängig davon, welche Karriere man wählt. Durch Theaterarbeit kann man aber auch verschiedenen wichtigen Themen der Geschichte nahe kommen und einige Aspekte besser verstehen. Im Laufe der Zeit gab es mehrere Theatergruppen im Honterus-Lyzeum, die Tradition wurde jedoch mehrmals unterbrochen, und somit existierte keine Kontinuität. Die Leidenschaft, mit der sich die zehn jungen Autorinnen ihrem Projekt hingegeben haben und der Enthusiasmus, mit dem das Endergebnis ihrer Arbeit von ihren Schulkollegen empfangen wurde, sollte für die Lehrer ein Signal sein, dass es doch nötig ist, eine Schultheatergruppe zu gründen.