TIFF 2015: emotionale Tornados

Ein Rückblick auf die 14. Auflage des Internationalen Filmfestivals in Klausenburg

Das diesjährige Plakat des Festivals ist eine Anspielung auf Stanley Kubricks Film „Uhrwerk Orange“

TIFF hat wieder einmal alle Rekorde gebrochen: während der 10 Festivaltage gab es 73.000 zahlende Zuschauer
/ Fotos: TIFF

Ein Getreidefeld mit UFO-Spuren, eine öde Gegend mit grauen Wohnblocks in einem Bukarester Getto, zwei bärtige Männer, die mit einem Schneemobil durch die eisigen Berge jagen, ein Wolf mit gelben Augen mitten im Wald, glitzernde Glühwürmchen, eine alte Frau, die aus einer Schachtel Baby-Puppen herausholt und sie wiegt, dampfende Gulasch-Suppe, Disko-Lichter und die funkelnden Tennisschuhe eines Schlagerstars der 80er Jahre.

Mit diesen Bildern (und noch vielen anderen) im Kopf kehrte ich letzte Woche vom Internationalen Filmfestival „Trasilvania“ (TIFF) aus Klausenburg zurück.

Am letzten Tag dachte ich: Für einen Tiff-Oldtimer (in diesem Jahr war ich zum 10. Mal beim größten Filmfestival Rumäniens) habe ich etwas mittelmäßig abgeschnitten. In vier Tagen in Klausenburg habe ich 29 Filme gesehen, davon 17 Kurzfilme. Im Ganzen habe ich 1498 Minuten vor dem Bildschirm verbracht. Das bedeutet immerhin fast 25 Stunden, also mehr als ein Tag. Trotzdem habe ich mich geirrt. Die Mode, sechs oder sogar sieben Filme pro Tag zu sehen und viele Tage fast komplett in der Dunkelheit zu verbringen, mit einem Kaffee-Pappbecher durch die Straßen von einen Kino zum anderen zu laufen und sich von Popcorn und Brötchen zu ernähren, ist  vorbei.

Der  TIFF-Fan des Jahres 2015 schaut nicht mehr als drei Filme pro Tag. In der restlichen Zeit besucht er Ausstellungen, trifft Leute, probiert Restaurants aus, lässt sich bei den offiziellen und inoffiziellen Partys sehen und entdeckt die noch unbekannten Seiten der lebendigen Studentenstadt. Viele der Filme kommen ja später in die Kinos.

Rekorde, „TIFF Napoca“ und der Anti-Smartphone Werbespot

Die 14. Auflage des Festivals hat wieder einmal alle Rekorde gebrochen: 223 Filme aus 60 Ländern wurden in 400 Projektionen gezeigt, es gab 73.000 zahlende Zuschauer (10.000 mehr als im vorigen Jahr) und über 850 Gäste ( Regisseure, Produzenten, Schauspieler, rumänische und ausländische Journalisten). Der prominenteste Gast war in diesem Jahr die deutsche Schauspielerin Nastassja Kinski, die ihre größten Erfolge in den späten 1970er und 1980er Jahren hatte.

„Während des Festivals verwandelt sich Klausenburg in TIFF-Napoca“, bemerkte vor kurzer Zeit ein Kinoblogger. Er hat vollkommen recht:  TIFF findet nicht nur in Kinos, sondern auch auf den Straßen, in Bars, Restaurants und in den öffentlichen Verkehrsmitteln statt. Die Stadt ist stolz auf das Festival und jeder macht mit: Blumenfrauen lesen aus der Festivalzeitschrift AperiTIFF, Schaufenster werden mit dem Rot-Weiß-Schwarzen Logo des Festivals geschmückt, Bars tragen bunte Aufkleber mit dem Text „Wir unterstützen TIFF“. Im „Casa Tiff“, einem Lokal, in dem die Festivalatmosphäre rund ums Jahr herrscht, heißen die Speisen „Arnold Schwarzenburger”, „Lord of the Onion Ring” oder   „Ice Cream Age 3”, und die Cocktails „Love of Tiff“ oder „The beginning of a wonderful friendship“ (Anspielung auf den Klassiker „Casablanca“).

Der Hauptplatz-Piaţa Unirii verwandelt sich in ein riesiges Open Air Kino, bei „Open Air Mănăştur“ kommen die Filme direkt vor die Haustür der Bewohner eines Viertels am Rande der Stadt. Auch an die Studenten hat man in diesem Jahr gedacht: „TIFF Campus“ ist ein Open-Air Kino direkt neben den Wohnheimen im Haşdeu-Viertel.

Auch in diesem Jahr wurden Konzerte und thematische Partys organisiert. Für Nostalgiker gab es am 5. Juni eine Disco-Nacht mit den rumänischen Pop-Ikonen der 80er Jahre, Stela Enache und Silvia Dumitrescu, im Parterre des alten Continental-Hotels. Das ehemalige New-York Hotel, das 1894 gebaut wurde und jahrelang ein Symbol der Stadt war, steht heute leer und wurde von den Organisatoren für die gesamte Zeitspanne des Festivals gebucht.

Sehr gefragt sind auch einige Klausenburger Lokale, die inzwischen zum Kult geworden sind. „Wir sehen uns dann im nächsten Jahr“, sagt eine weiß gekleidete Kellnerin aus der „Vărzărie“ zu einem Herren mit TIFF-Ausweis. Das Lokal, das seit den 50er Jahren existiert und fast noch wie damals aussieht, hat seinen Charme behalten und wird von den ausländischen Gästen sehr stark geliebt.

Zu TIFF gehört seit 14 Jahren auch der offizielle Werbespot, der immer mit Interesse erwartet wird. Dieses Mal nahm der Spot die junge Generation aufs Korn, für die ein Kinosaal ohne das Rascheln von Popcorn-Tüten,  Cola-Schlürfen und leuchtenden Smartphones unvorstellbar ist. Das Video zeigt einen jungen Mann (gespielt von Cristian Iorga), der im Kinosaal auf sein Smartphone schaut. Plötzlich erscheinen zwei schwarze Hände, die ihm das Gerät aus der Hand reißen und ihm die Augen stark öffnen (eine Anspielung auf Stanley Kubricks Film „Uhrwerk Orange).

„Junge Leute können sich heutzutage nicht mehr auf den Film konzentrieren. Sie müssen dauernd aufs Smartphone schauen“, erklärte Anton Growes, der Regisseur des Werbespots. Auch andere Unternehmen werben gegen Smartphones im Kinosaal. „Der Bildschirm ist vorne, nicht in deiner Hand!“, ist der Slogan, der auf allen Sesseln des „Florin Piersic“-Kinos geschrieben steht. TIFF wirbt nicht nur gegen zuviel Technologie, sondern auch für Nachhaltigkeit - in diesem Jahr konnte man aus dem TIFF-Shop Taschen kaufen, die aus Werbebannern der Filme aus den Vorjahren hergestellt wurden.

Schwierige Paarbeziehungen

Für jeden Kinoliebhaber ist es ein Muss, so viel Filme der Sektion „Wettbewerb“ zu schauen, wie möglich. Seit einigen Jahren gibt es die Tradition, ähnlich wie bei der Berlinale, alle Wettbewerbsfilme am letzten Tag zu zeigen. Für den Wettbewerb zugelassen, sind jedes Jahr 12 Filme, wobei es sich entweder um das Erstlingswerk oder um den zweiten Film eines Regisseurs handelt.

„Es gibt im diesjährigen Wettbewerb Filme mit wenig Personen, deren Handlung sich oft nur zwischen den vier Wänden eines Zimmers abspielt. Diese Filme entpuppen sich als emotionale Tornados, in denen es oft  zu mehr Spannung kommt als in manchem Hollywood-Blockbustern“, unterstreicht Mihai Chirilov, der seit der ersten Auflage für die Auswahl der Festivalfilme zuständig ist. Jedes Jahr schaut der Filmkritiker über 700 Filme, ein Drittel davon kommt ins TIFF. 

In diesem Jahr standen oft schwierige zwischenmenschliche Beziehungen im Mittelpunkt der Wettbewerbsbeiträge. Im mit dem Publikumspreis ausgezeichneten „Rams/Hrútar“ (Regie: Grímur Hákonarson) geht es um zwei isländische Brüder, die seit 40 Jahre kein Wort miteinan-der gesprochen haben, „Radiator“ (Regie: Tom Browne) und „Paris des Nordens“ (Regie: Haffstein Gunnar Sigurðsson) erzählen von Vätern und Söhnen, die nach vielen Jahren versuchen, zuei-nander zu finden.  In „Melody“ (Regie Bernard Bellefroid) geht es um eine junge Friseurin, die wegen Geldproblemen zur Surrogatmutter wird, und um deren Beziehung zur reichen Geschäftsfrau in den Vierzigern, deren Kind sie austrägt.

Andere Filme handeln über kriselnde Paarbeziehungen: in „10.000 km“ (Regie: Carlos Marques-Marcet) hat sich ein Liebespaar seit einem Jahr nur auf Skype gesehen, während die Beziehung des jungen  Ehepaares in „Melbourne“ (Regie: Nima Javidi) am Tag des Umzugs aus dem Iran nach Australien auf eine harte Probe gestellt wird. Auch von einem Umzug handelt der Gewinner der diesjährigen TIFF-Trophäe, „El incendio“ (Regie: Juan Schnitman). Der Film ist ein auf 24 Stunden begrenzter Ausschnitt aus dem Leben eines Paares, das aus der Mietwohnung in eine Eigentumswohnung zieht. Als der Makler absagt und den Termin der Schlüsselübergabe auf den nächsten Tag verschiebt, haben die zwei 30-Jährigen unverhofft Zeit, über ihre Beziehung zu reden und ihre Liebe in Frage zu stellen.

Ganz anders geht es im bulgarischen Film „Die Lektion“ (Regie: Kristina Grozeva und Petar Valchanov) zu. Da niemand ihr hilft, ihre Schulden zu bezahlen (die Mutter, zu deren Grab sie täglich mit einem Kaffee-Pappbecher pilgert, ist seit fünf Jahren tot, der wohlhabende Vater hat sich schnell umorientiert und lebt mit einer 30 Jahre jüngeren Frau zusammen, der Ehemann scheint an der Coach festgenagelt zu sein und hockt den ganzen Tag apathisch vor dem Fernseher), überfällt eine verzweifelte Lehrerin eine Bank.  Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit aus Bulgarien und wurde zu Recht mit dem Regiepreis und dem Preis für die beste Darstellerin (Kristina Grozeva) ausgezeichnet.

(Fortsetzung folgt)