Unseren Honterus wollen wir uns trotz allem nicht nehmen lassen! (II)

Festansprache („Quellenrede“) von THOMAS ŞINDILARIU anlässlich des Honterusfestes in Pfaffenhofen an der Ilm (Deutschland) am 7. Juli 2013

Druckerzeichen von Johannes Honterus, wie es ganzseitig auf der jeweils letzten Seite seiner in Kronstadt herausgegebenen Bücher gezeigt wurde. Foto: Archiv der Honterusgemeinde

Die Erinnerung an Honterus in Kronstadt war lebendig, nicht zuletzt aufgrund seiner zahlreichen Nachfahren, zu denen wir uns letzten Endes in der einen oder anderen Form, manche auch genealogisch belegbar, zählen dürfen. Das historisch nicht mehr haltbare Gründungsdatum der Honterusschule, 1544, richtiger wäre 1541, bot alle hundert Jahre Gelegenheit, Honterus zum Teil der Kronstädter deutschen Identität werden zu lassen. Am nachhaltigsten hierbei war jene Feier vor 168 Jahren, als die Schule über einen jungen und ideenreichen Lehrkörper verfügte, dem es gelang, die klassische Säcularfeier zu einem Volksfest auszubauen. Erstmals begab man sich damals auf eine Wiese, gelegen außerhalb der Stadt, hinter der Zinne auf halbem Weg in die Noa, die spätere Honteruswiese. Der wichtigste Impuls für den identitätsfestigenden Charakter der Feier war damals die Ansprache, die der Blumenauer Prediger Friedrich Philippi an der unweit gelegenen Quelle, dem Pfaffenbrunnen, hielt und mit ihrer Umbenennung in Honterusquelle abschloss. Die Tradition der „Quellenreden“ ward begründet und fand trotz einiger Unterbrechungen Kontinuität bis heute und hier in Pfaffenhofen – vom Pfaffenbrunnen nach Pfaffenhofen, vielleicht doch mehr als nur ein Zufall…

Wichtiger als dies war jedoch, dass mit der „Erfindung“ der Quellenreden Philippi etwas ins Leben gerufen hatte, was in sinniger Weise ein Hauptanliegen Honters wieder aufgriff. Honterus hatte wohl nicht ohne Hintergedanken jener Variante des Kronstädter Wappens publizistisch zum Durchbruch verholfen, die unter die bisher meist allein gezeigte Krone eine kräftige, vielgliedrige Wurzel setzte. Auf unsere Quellen, auf unsere Wurzeln kommt es an, wenn wir weiterhin wissen wollen, wer wir sind und was wir erreichen möchten! Die Bemühungen, das Honterusfest nach seiner Unterbindung in der Zeit der nationalsozialistischen Volksgruppenführung ab 1955 wieder zu etablieren, ehe es von der Securitate nach 1958 neuerlich verhindert wurde, seine Wiederaufnahme als Schulfest in Kronstadt seit 1992 und die über ein halbes Jahrhundert in Deutschland währende Tradition der Honterusfeste mit Quellenrede zeugen von unserem Willen, uns unseren Honterus mit all dem, was er für unsere Gemeinschaft bedeutet, den großen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts zum Trotz, nicht nehmen zu lassen.

Bei der Beschäftigung mit Honterus ist das Erkennen der objektiven Größe seiner Leistungen eine vergleichsweise leichte Übung und dennoch, darauf allein kommt es ganz und gar nicht an. Zu schnell würden dabei seine Leistungen für uns kleine Nachgeborene in unerreichbare Ferne rücken. Worauf es ankommt, ist, die Art des Denkens zu erkennen, die diese Leistungen ermöglichte, da auf dieser Grundlage, auch heute noch einiges verwirklicht werden kann. Es ist wohl so, dass das, was der genannte Krauss am Ende des 15. Jahrhunderts noch als „Rohheit“ der Kronstädter empfand, das gewisse Etwas gewesen ist, was die Burzenländer unter den mittelalterlichen deutschen Siedlern dazu antrieb, sich am weitesten nach Osten und am tiefsten ins Gebirge vorzuwagen. Aus dieser „Rohheit“ hat sich ein Trotz und Pragmatismus entwickelt, dem es gefiel, entgegen oft wenig verheißungsvoller Rahmenbedingungen, das Modernste, was Europa zu bieten hatte, für die eigenen Verhältnisse nutzbar zu machen. Freude an der Auseinandersetzung, um nicht Streit zu sagen, wie auch Orientierung auf Wirtschaftlichkeit sind mit Sicherheit auch Teile dieses Etwas, das Kronstadt zu der bemerkenswerten Stadt unserer Vorfahren gemacht hat. Toleranz statt religiösem Eifer, Zielorientierung statt Bürokratismus gehören mit Sicherheit auch dazu.

Je mehr ich über die Wurzeln und Quellen des Kronstädter Seins nachdenke, umso mehr drängt sich mir die Frage auf, inwiefern sie uns noch zugänglich sind und ob wir uns dabei nicht doch immer wieder in erheblichem Maße selbst im Wege stehen. Das „Wir“ scheint hierbei zum größten Problem aufzusteigen. Der aus der Unfreiheit der Nachkriegszeit erwachsene Zwang sich zum Bleiben oder Gehen zu entscheiden zog die Infragestellung des „Wirs“ zwangsläufig nach sich – das Wissen um das Leiden an dieser Zwickmühle offenbart auch, dass von billiger Flucht aus pur wirtschaftlichen Gründen nicht die Rede sein kann. Vielmehr ist an der Entwicklung der Zwickmühle Bleiben-oder-Gehen abzulesen, in welch hohem Maße sich vor allem die Kronstädter von den individuellen Freiheits- und Menschenrechten her definierten. Zugleich war ihre kollektive Identitätsstruktur frühneuzeitlich-ständischen Vorstellungen verpflichtet, aus denen sie als Gemeinschaft ihre Kraft bezogen. Gegensätzlicher hätte die Lage nicht sein können.

Wer blieb, sah sich mit der Wahrscheinlichkeit konfrontiert, das Ende der deutschen Minderheit in Rumänien zu erleben. Wer ging, konnte davon ausgehen, dass seine Nachfahren mit dem Begriff „Kronstadt“ kaum noch etwas werden anfangen können und es bevorzugen werden, in falsch verstandener political correctness der Bundesbürger „Brasoff“ zu sagen. Seit Peter am Flughafen seine Plätsch kassierte, sind 50 Jahre vergangen. Sich jetzt erst solche Fragen stellen zu müssen, ist immerhin auch eine Leistung! Nicht desto trotz, das Problem ist aktuell und akut – woran könnte man das besser festmachen, als an der Tatsache, dass die Innerstädtische evangelische Kirchengemeinde Kronstadts heuer erschreckend lang sich mit der Frage beschäftigt hat, ob es denn theologisch betrachtet noch sinnvoll sei, sich Honterusgemeinde zu nennen? Hier und heute stellt sich die bange Frage, ob heuer in Ermangelung einer neuen Generation von Organisatoren das letzte Pfaffenhofener Honterusfest gefeiert wird.

Während für mich zumindest klar ist, dass das Erbe Honters und die Kronstädter Herkunft nichts eingebüßt hat, was seine Aktualität und seine Tauglichkeit zur Identifikation anbelangt, droht das „Wir“ zu einem Opfer der Individualisierung und Globalisierung zu werden – in Siebenbürgen wie in Deutschland übrigens gleichermaßen. Was verloren zu gehen droht, ist der Kontakt zueinander, da wir meinen, einem Zeitgeist gehorchen zu müssen, der individuell erreichten oder erarbeiteten Erfolgen einen höheren Wert als gemeinschaftlichen Leistungen zumisst. „Keine Zeit“ ist als Entschuldigung schnell zur Hand und akzeptiert, wobei sie zutreffend und unzutreffend zumindest in gleichem Maße ist und geradewegs in die Anonymität der Massen führt. Dabei bietet die Kontinuität einer Herkunft, das Wissen um ihre Beschaffenheit eine Quelle, deren wahre Kraft nur zu erfahren ist, wenn man aus Vergangenheit Gegenwart macht, indem man Gleichgesinnte findet, mit denen man etwas machen, etwas gestalten kann.

Zu tun gibt es in der Nachfolge von Honterus nämlich mehr als genug, man muss nur damit anfangen. Honterus würde sich heute in der gegebenen Situation, so wie seinerzeit, als erstes den nachkommenden Generationen zuwenden. Ihnen unsere Art des Seins und des Denkens zu vermitteln, ist keine einfache Angelegenheit, das liegt in der Natur der Sache. Die Exotik der Rahmenbedingungen unserer Herkunft sollten in Anbetracht sich zunehmend homogenisierender Lebensverhältnisse auf unserem Kontinent es interessant genug, vielleicht gar „cool“ erscheinen lassen, Europa vom Rande her, von Kronstadt aus und gegen die allgegenwärtige Angepasstheit zu denken. Nutzt also die gemeinsamen Stunden hier, um alte Freundschaften wieder zu finden und neue zu begründen! Wir haben das Glück, in einer Zeit zu leben, in der Technik und Infrastruktur Kronstadt erreichbarer machen und seine Randlage näher an die Mitte Europas bringen.

Nutzen wir die Gelegenheiten, um uns besser zu kennen, um hier wie in Kronstadt gemeinsam besser gestalten zu können! Zu tun gibt es mehr als genug, Nachfrage ebenfalls, zumal in Kronstadt. Wer sich auf eine solche Erfahrung einlässt, wird schnell merken, wie viel neuer Gesprächsstoff auf einmal zusammen kommt und dass die Aussage, der zufolge alles wirkliche Leben Begegnung sei (Martin Buber), alles andere als ein inhaltsleerer Spruch ist. Dies ist auch unserem Peter aufgegangen, der seine Plätsch als Makkai kassierte, vor einigen Jahren Musik-Alben unter der Bezeichnung „Begegnungen“ herausbrachte und nun als Maffay mit seinem Engagement im siebenbürgischen Radeln auf seine Weise unterstreicht, dass ihm seine Kronstädter Wurzeln durchaus etwas bedeuten. Ergo, wo ein Wille, da auch ein Weg! Wo ein Wille, da auch ein Honterus!

(Schluss)