Vermittler und Ermunterer

Zu: „in memoriam GERNOT NUSSBÄCHER“, Kreisbibliothek George Barițiu Kronstadt, 2021, 138 S, ISBN 978-973-0-35488-1

Drei Jahre nach dem Ableben des Kronstädter Archivars und Historikers Gernot Nussbächer bringt die Kreisbibliothek George Barițiu einen Gedenkband heraus der von Dr. Ruxandra Nazare koordiniert wurde. Die Veröffentlichung gilt als Würdigung der besonderen wissenschaftlichen Verdienste des vor allem als Honterus-Forscher bekannten Kronstädters, will aber auch die Erinnerung an den Menschen und Kollegen Gernot Nussbächer wach halten. Im Vorwort beschreibt der Direktor der Kreisbibliothek, Dr. Daniel Nazare, den weit jenseits seiner Geburtsstadt bekannten Historiker wie folgt: „Gernot Nussbächer gehörte zu jenen die ihren Mitbürgern Aufmerksamkeit schenken, die Personen aufbauen und anziehen können. Er versuchte zu helfen, war stets hilfsbereit, aufmerksam, hatte Vorschläge bereit. Von jedem konnte er etwas erfahren und hinzulernen. Er war ein Archivar stets auf Suche nach Informationen, bereit Daten zu sammeln, selbst wenn diese zunächst als belanglos erschienen. Denn er verfügte über ein visionäres Denken und konnte jedes Detail ins Gesamtbild einordnen.“

Eröffnet wird der Band mit einer von Nussbächer selber verfassten Autobiographie die er, zumindest teilweise, bei seinem Begräbnis verlesen haben wollte (was auch erfolgt ist). Das Dokument, das dank Ioana Căpătîna nun auch in Rumänisch einen größeren Leserkreis erreicht, ist aufschlussreich, weil Gernot, der über sich in der dritten Person schreibt, nicht nur Daten seines persönlichen Lebens und beruflichen Werdegangs nennt, sondern auch unterstreicht, was ihm in seinem Leben besonders wichtig erschien - „positive Ereignisse“ von denen er vermutet, dass sie nur wenige (jene die ihm besonders nahe standen) kennen dürften. Außer seiner Aufgabe als Vermittler zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart und zwischen „den drei Hauptvölkern Siebenbürgens, den Rumänen, Ungarn und Sachsen“ was ihn dazubringt, sich selber in aller Bescheidenheit als „Pontifex minimus“ (lateinisch für „ein sehr kleiner Brückenbauer“) zu bezeichnen, war ihm sehr wichtig, als „Zeuge von Jesus“ (nach Apostelgeschichte 1,8) aufzutreten. Anfang der 1990-er Jahre wurde er Mitglied des Christlichen Zentrums Kronstadt und ab 2000 der damals neu gegründeten Freikirche „Candela“. „Aus der Gnade Gottes unverdient gut!“ war stets seine Antwort nach der, vielleicht von manchen als Höflichkeitsfloskel verwendeten Frage, wie es ihm gehe. Gernot sah auch eine andere Rolle für sich in den Beziehungen zu seinem Umfeld: „Ebenso hat Gott ihm die Gabe als Ermunterer gegeben, seinen Mitmenschen Anerkennung und Ermunterung zuzusprechen als Gegensatz zu der Ablehnung und Verurteilung, die sie sonst im Leben vielmals erfahren“, heißt es in dieser Kurzbiographie die im Band auch in der deutschen Originalfassung unter dem anpassungsbedürftigen Titel „Begräbnis-Biographie“ zu lesen ist.

Bereits in diesem ersten Beitrag erfährt der Leser das Wesentliche über Nussbächers Wirken: seine zwei großen Lieben: die Schwarze Kirche und Honterus; seine für verschiedene Publikationen (an führender Stelle die „Volkszeitung“, später „Karpatenrundschau“ und „Neuer Weg“, später ADZ) verfassten Beiträge um so möglichst viele für die siebenbürgischen Heimatkunde zu gewinnen; seine Dienstreisen und Forschungsstipendien die die nach 1989 erworbene Reisefreiheit bis in die USA und nach Kanada erweiterte, sein Einsatz als Lektor der Gruppe für deutsche Paläographie an der Bukarester Fortbildungsschule für Archivare; seine umfassende Bücher- und Dokumentationssammlungen (über 200 Regalmeter!) die Gernot dem Archiv der Honterusgemeinde überlassen wissen wollte. Aber kein Wort über „negative Aspekte“ aus seinem Leben. Denn das Fehlen von Klagen oder Gerüchte in die Welt setzen ist ein weiterer Charakterzug von Gernot, der auch in vielen der Erinnerungen ehemaliger Kollegen und Kolleginnen erwähnt wird.

Der „Personalia“ benannte erste Teil des Bandes enthält, außer der erwähnten Selbstbiographie, ein 2012 entstandenes Interview mit der in Berlin lebenden Journalistin und Fotografin Christel Wollmann-Fiedler. Es ist kein vor Ort geführtes Interview, weil Gernot Nussbächer so etwas beharrlich ablehnte, wie es ihm auch sichtlich unangenehm war, bei öffentlichen Anlässen ins Rampenlicht gesetzt zu werden. Es sind schriftliche Antworten auf schriftliche Fragen aus denen man Vieles und Interessantes über Gernot erfährt, wie z.B. warum er sich für ein Geschichtestudium an der Klausenburger Uni entschlossen hat; ob er an eine Auswanderung gedacht hat; ob er als Sachse und dazu noch mit Anverwandten im Westen in seiner Eigenschaft als Mitarbeiter des Staatsarchivs das dem Innenministerium zugehörte, zu leiden hatte; was ihm die verschiedenen Auszeichnungen bedeuten, usw. Hinzu kommt ein kürzeres, leider nicht mehr abgeschlossenes schriftliches Interview mit der Kronstädter Journalistin Steluța Pestrea Suciu, erschienen in der Zeitschrift „Astra“.

Peter Simon, der bei mehreren von Nussbächer verfassten Broschüren über die Schwarze Kirche das Bildmaterial beisteuerte, bietet eine umfassende, reich illustrierte Dokumentation zu Gernots Stammbaum zu denen die Familien Nussbächer, Müller, Dieners, Obert gehören samt einer Vorstellung des Innenstädtischen evangelischen Friedhofs.

Im zweiten Teil („Profesionistul“ deutsch etwa „Der Fachmann“, „Der Experte“) kommen Historiker und Archivare zu Wort die mit Gernot Nussbächer zusammengearbeitet haben: Elisabeta Marin (ehemalige Leiterin des Staatsarchivs Kronstadt und Mitarbeiterin beim Honterusarchiv), Dr. Bogdan-Florin Popovici, gegenwärtiger Leiter des Kronstädter Stadtarchivs, Unterstaatssekretär Thomas Șindilariu, Leiter des Honterusarchivs, mit dem Beitrag „Gernot Nussbächer und das Archiv der Schwarzen Kirche – eine nichtlineare Geschichte“, Dr. Edith Szegedi, Dr. Alexandru Stefan, Aurelian Stroe.

Der letzte Teil („Amintiri si evocari“, „Erinnerungen und Würdigungen“) vereint Beiträge von Leuten die Gernot Nussbächer gut gekannt und hoch geschätzt haben, die ihm beruflich oder privat in verschiedenen oder sogar mehreren Lebensetappen begegnet sind. Zwei der Beiträge sind sowohl in deutscher als auch in rumänischer Fassung abgedruckt: „In memoriam Gernot Nussbächer“ von Dieter Drotleff und „Stilles Glück im Musenstübchen am Kirchhof in Kronstadt“ von Frank-Michael Rommert. Dieter Drotleff würdigt Nussbächer in einem weiteren Beitrag anlässlich dessen 80. Geburtstages der am 22. August 2019 fällig gewesen wäre. Weitere lesenswerte Beiträge stammen von Wolfgang Wittstock, (der unter anderem hervorhebt, dass Gernot Nussbächer als in sächsischen Kreisen gut bekannte und originelle Persönlichkeit in gleich drei Werken bedeutender rumäniendeutscher Schriftsteller - Hans Bergel, Eginald Schlattner, Joachim Wittstock – ohne bei seinem Namen genannt zu werden, erwähnt wird), von Astrid Hermel in derem Verlag „aldus“ Nussbächer den Großteil seiner Bände veröffentlicht hat, von Dr. Valer Rus, Direktor des Mureșenilor-Gedenkhauses, von Dr. Sarolta Solcan, vom ehemaligen Klassenkollegen Eckart Schlandt, von Ioana Căpătîna und Elena Dimitriu.

Der Band ist ein schönes und verdientes Dankeschön an Gernot Nussbächer für alles was er in der siebenbürgischen Heimatkunde erforschen und vermitteln konnte, für seinen selbstlosen Einsatz und sein vorbildliches Wirken als Geschichtsforscher und Mensch. Leider ist es, um Bogdan-Florin Popovici zu zitieren, auch ein Abschied: „Gernot war der Letzte. So einen wie ihn wird es in den Archiven Kronstadts nicht mehr geben. Und das nicht weil mit ihm die Welt zu Ende gegangen ist, sondern weil sich die Welt verändert hat. Die berufliche Ausbildung, die gesellschaftlichen und professionellen Ansprüche sehen anders aus. Es werden andere Experten kommen, sie werden aber, dessen bin ich mir sicher, nicht vollständig Gernots fachliches Selbstverständnis aufweisen.”