Vorboten der Industrialisierung

Deutsche Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte am Beispiel Kronstadts und des Burzenlandes

„Kronstädter Portlandzement Kugler & Cie. Aktiengesellschaft“. Bildansichtskarte um 1905

Vom 22. bis zum 24. November 2013 fand die Tagung „Deutsche Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte am Beispiel Kronstadts und des Burzenlandes“ der „Akademie Mitteleuropa“ in Zusammenarbeit mit der Regionalgruppe Burzenland des Verbandes der Siebenbürgisch-sächsischen Heimatortsgemeinschaften in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen statt. Bereits im April diesen Jahres trafen sich 50 Vertreter der 16 Burzenländer Heimatortsgemeinschaften in Crailsheim zu einer Arbeitstagung, welche u.a. ein Projekt zur Erforschung der Wirtschaftsgeschichte des Burzenlandes in die Wege leitete. Dieses vielversprechende Projekt wird von dem aus Kronstadt stammenden stellvertretenden Direktor des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), Dr. Dr. Gerald Volkmer, wissenschaftlich betreut. Dabei geht es um die seit den 1940er Jahren kaum untersuchte Burzenländer und Kronstädter Wirtschaftsgeschichte des langen 19. Jahrhunderts bis hin zum Ende des Zweiten Weltkrieges.

Die Deutschen in Ost- und Ostmitteleuropa waren bis zum Beginn der Industrialisierung überwiegend in der Landwirtschaft, im Handwerk und im Handel tätig. Sie sorgten dennoch für zahlreiche Unternehmensgründungen, die den betroffenen Regionen zur wirtschaftlichen Blüte verhalfen. Diese Blüte zeigte sich in der Entfaltung der deutschen kulturellen Einrichtungen, die zum Erhalt des deutschen Elements in Ost- und Ostmitteleuropa beitrugen. Auch das Burzenland machte diese Entwicklung. Die Wirtschaftsgeschichte Kronstadts und des Burzenlandes, darunter die Handwerksindustrie, sowie der erfolgreiche Übergang gewerblicher Werkstätten zu Fabrikbetrieben, ist dennoch zum Stiefkind der siebenbürgischen Geschichte geworden. Dies geschah obwohl die Industrialisierung des Burzenlandes von den anderen Komitaten des Königsbodens nachgeahmt wurde. Demnach kann das von Gerald Volkmer initiierte und betreute Projekt und die damit verbundenen Wirtschaftstagung nur begrüßt werden.

Der Studienleiter des „Heiligenhofs“, Gustav Binder, begrüßte Wissenschaftler wie interessierte Laien am Freitagabend, dem 22. November. Nach einer Vorstellungsrunde der 21 Teilnehmer und einer Einführung in das Programm eröffnete der ehemalige Leiter des Siebenbürgischen Museums (Obrigheim),  Dr. Volker Wollmann, die Tagung mit einem einleitenden Vortrag zur Wirtschaftsgeschichte Kronstadts indem er „Gründerideen und Persönlichkeiten der Kronstädter Großindustrie“ vorstellte. Herr Wollmann hat mit seinen drei Bänden und dem bald erscheinenden vierten Band über die vorindustriellen und industriellen Denkmäler Rumäniens bereits einen viel beachteten Beitrag zu dem Thema geleistet.

Vor einigen Monaten würdigte die „Siebenbürgische Zeitung Online“ den dritten Band Volker Wollmanns: „Es ist eine im wahrsten Sinne des Wortes ‘gewichtige’ Dokumentation lebensnotwendiger Bereiche der Wirtschaft, der Herstellung von Lebensmitteln und Getränken.“ (siehe SbZ Online vom 13. Juli 2013). In seinem Vortrag zeigte Wollmann inwieweit die eingetretene Industrialisierung Siebenbürgens vor dem Ersten Weltkrieg sich zwar noch in schwachem Zustand befand aber dennoch durch die erfolgreiche Umstellung mancher Handwerks- in Fabrikbetriebe ein Vorbote einer späteren (nach 1918), umfassenderen industriellen „Revolution“ war.

Wollmann sprach dabei über die erfolgreichsten Industriesegmente sowie die Geschichte seiner wichtigsten Pioniere: Tuchfabrikation (Wilhelm Scherg,  Gründer des zweitgrößten aller Wollindustrieunternehmungen Rumäniens am Ende der 1930er Jahren; Wilhelm Tellmann), Eisengießerei und Maschinenfabrikation (Brüder Schiel, die größte Firma Siebenbürgens in der Vorkriegszeit; Julius Teutsch), Zementfabrik (Angele, Hoch & Kugler), Mühlenindustrie (Rudolf Seewald), und letztendlich Lebensmittelherstellung (Friedrich Czell & Söhne). Volker Wollmann zeigt, dass ihr Erfolg oft an dem raschen Reaktionsvermögen der Unternehmer lag, da sie den „wirtschaftlichen Puls ihrer Zeit erkannten und es verstanden hatten, konjunkturell bedingte Situationen zu ihrem Vorteil zu nutzen“ aber auch an der technischen Weiterbildung im Ausland, sowie später an einer Konsolidierung der Industriesegmente, um den Konkurrenzkampf zu entschärfen.

Am zweiten Tag eröffnete Gerald Volkmer die Vortragsreihe mit einer sehr ausführlichen Präsentation zur „Industrialisierung des Burzenlandes im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert“. Dabei ging Volkmer auf für die siebenbürgische Industrie verhängnisvolle Ereignisse wie jene der Gewerbefreiheit (1859 bzw. 1872), der Gründerkrise (1873) und des Zollkrieges (1886-1891) ein. Es wurde deutlich, welche wirtschaftlich leistungsfähigen Teile bzw. Gemeinden des Burzenlandes neben Kronstadt rascher industrialisiert wurden. Er ging weiterhin auf einige Familienfabrikbetriebe (Scherg, Schiel, Copony etc.) und wichtige Fabrikgründungen im ganzen Burzenland der Vorkriegszeit ein.

Im darauffolgenden Vortrag „Hermannstädter und Kronstädter Gewerbe“ wurde jenseits der Fabrikindustrie über das Handwerk und die Geschichte Kronstädter Kleingewerbetreibenden bis zum Ersten Weltkrieg von der Doktorandin an der LMU München, Stéphanie Danneberg, referiert. In einem durch Zahlenbeispiele veranschaulichten Vergleich zur Hermannstädter Handwerksindustrie konnte Stephanie Danneberg sowohl die Kronstädter Vormachtstellung aufzeigen, als auch die großen Fortschritte Hermannstadts. Die Referentin unterstrich insbesondere die Verschiebung der ethnischen Zusammensetzung des Handwerkswesens in beiden Städten und die wesentlichsten Gründe für die Erhaltung des deutschen Handwerks in Hermannstadt, gemessen an seinem Abklingen in Kronstadt. In diesem Zusammenhang wurde das Wirken der siebenbürgisch-sächsischen Gewerbevereine auf die Kronstädter und die Hermannstädter Handwerksindustrie hervorgehoben.

Am Nachmittag hielt der Leiter der HOG-Regionalgruppe Burzenland, Karl-Heinz Brenndörfer (Stuttgart), einen Vortrag zur „Elektrifizierung des Burzenlandes“,  der die Präsentationen zur Industrie (Volkmer) und Gewerbe (Danneberg) hervorragend ergänzte. Ein wesentlicher Abschnitt der Industrialisierungsgeschichte des Burzenlandes wurde somit erläutert, wobei Brenndörfer zunächst einführend auf Hermannstadt einging: Hier entstand bereits 1896 ein Elektrizitätswerk, das auf Carl Wolffs Bemühungen und Beziehungen zum Münchner Oskar von Miller zurückzuführen war. Anschließend wurde die eigentliche Entwicklung im Burzenland, nach der Gründung der Elektrizitätswerke A.G., chronologisch vorgestellt: Zeiden (1902), Heldsdorf (1908), Rosenau (1910), Wolkendorf (1911), Tartlau (1912).

Da bis 1920 fast alle sächsische Ortschaften elektrifiziert wurden, ging K-H. Brenndörfer ausführlich auf die Gründe für die sehr späte Einführung des elektrischen Stroms in Kronstadt (1932) ein. Einer der Gründe war das Vorhandensein eines städtischen Gaswerkes (1864). Der Träger des Ernst-Habermann-Preises, Hellmar Wester (Euskirchen) referierte über ein von ihm bevorzugtes Thema „Pioniere der Globalisierung. Zwei deutsche Weltunternehmen in Kronstadt in den 1930er Jahren. Von der Gründung bis zum Untergang“. Hierbei stellte er zwei weltweit tätige deutsche Konzerne vor: Die Schokoladenfabrik Stollwerk AG, die seit 2011 nicht mehr besteht, sowie den Konsumgüterkonzern Baiersdorf AG. Ausführlich eingehend auf die Entwicklungsgeschichte jener Konzerne erklärte Hellmar Wester ihr Niederlassen in Kronstadt sowie später ihren Niedergang. Abschließend lud der Vortragende die Zuhörer ein, sich zum Thema „Globalisierung“ zu äußern, worauf sich eine angeregte Diskussion bis spät in den Abend entfachte. Nach einem gemütlichen Besuch des mit fränkischen Weinen versehenen Weinkellers des „Heiligenhofs“ trennten sich die Tagungsteilnehmer.

Nach der Morgenandacht am Sonntag, die der Vorsitzende der Sektion Genealogie des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, Pfarrer Dr. Christian Weiß, abhielt, sprach Otto Dück (Gröbenzell) über  die  Landwirtschaftsgeschichte des Burzenlandes. Einleitend und anknüpfend zum Vortragsthema Landwirtschaft, ging Dück auch auf wichtige Ereignisse und Daten der Burzenländer Geschichte ein. Die Landwirtschaft ist, neben Handwerk, Industrie, Leben und Wirken wichtiger Industriepioniere und Elektrifizierung, ein sehr wichtiger Teil der wirtschaftlichen Entwicklung der Deutschen im Burzenland. Außerdem war und blieb Siebenbürgen auch nach dem Ersten Weltkrieg hauptsächlich eine Agrarregion.

Gerald Volkmer teilte den Tagungsteilnehmern mit, dass mit dem Kronstädter Staatsarchiv in Erwägung gezogen wird, bald einen Zugang zu einem bis heute unzugänglichen Kronstädter Unternehmensarchivfond zu ermöglichen. Die Erforschung der Wirtschaftsgeschichte Siebenbürgens steht somit vor einer weiteren  vielversprechenden Etappe. Die Veranstaltung wurde vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration über das Haus des Deutschen Ostens in München gefördert.