„Was hatten die Kinder von der Reformation?“

Neueröffnung in Kronstadt: Leseraum zum Reformationsjubiläum

Den Hauptbestand der Bibliothek bilden Neuerscheinungen zum Reformationsjubiläum.
Foto: der Verfasser

„Sie werden lachen: die Bibel“, antwortete Bertolt Brecht, als man ihn fragte, welches er für das wichtigste deutsche Buch hielte. Seine Antwort ist vielsagend. Die Bibel ist so sehr Dreh- und Angelpunkt der europäischen Geistesgeschichte, dass sich auch ein epochaler, linkspolitisch engagierter Autor wie Brecht ihrer Autorität unterwarf. Die Bibel bleibt allemal dort das Buch der Bücher, wo Deutsch gesprochen wird, denn Lutherbibel und Reformation prägten besonders dort neben dem Glauben auch Sprache und Redensart, Musik und Kunst, Politik und Gesellschaft nachdrücklich.

Allen, die dem lebendigen Erbe der Reformation begegnen möchten, steht im Kronstädter Pfarramt ab sofort ein gemütlicher Leseraum zur Verfügung. Tee und Kaffee duften hin und her, und auf den Bücherregalen liegt spannende Lektüre griffbereit. Die Bibel selbst ist mit dem Originalexemplar einer Wittenberger Lutherbibel des Jahres 1560 vertreten, das man lesen und in doppeltem Sinne ertasten kann: Eine authentischere Begegnung mit der Reformation ist so gut wie unmöglich.

Den Hauptbestand der kleinen Bibliothek bilden aber druckfrische Neuerscheinungen zum Reformationsjubiläum. Wer Überblickswerke sucht, wird effizient informiert und gleichzeitig unterhalten: Katharina Kunters „Reise von den Anfängen bis in die Gegenwart“ ist fulminant bebildert und wunderbar jugendtauglich. Die unterhaltsame „Reise in die Lutherzeit“ des Bestsellerautors Bruno Preisendörfer widmet einzelne Kapitel etwa „Weltlage und deutsche Beschwernisse“, „Was ist ein ‚Pfennigbrot‘“?, „Himmel, Hölle, Alltag“, „Wie Fürsten tafeln, Bauern essen und Bürger speisen“ oder „Sterben im Stil der 95 Thesen“. Der Blick auf die Reformationsgeschichte wird durch Klassiker aus dem Honterusarchiv geweitet, etwa Friedrich Teutsch’s „Geschichte der evangelischen Kirche in Siebenbürgen“.

Die Vergangenheit hat aber die Aufgabe, die Gegenwart zu erhellen. Es macht wenig Sinn, zu fragen, was gewesen ist, wenn wir nicht weiter fragen, wie dieses Gewesene unser Hier und Jetzt bestimmt. Was ist heute also das „evangelische“ Erbe, das wir an unsere Kinder weitervererben möchten? Das wir in eine plurikonfessionelle, latent atheistische Gesellschaft einbringen wollen? Erfahrungsgemäß lautet eine der Antworten, die auf diese Frage fallen, auf „evangelischen Speck“ – gut, der Scherz ist unsterblich. Andere nennen, mit Max Weber flirtend, Fleiß und Pflichtbewusstsein als Ausweis ihrer „protestantischen Ethik“. Wieder andere wissen, dass der hohe Wert, den wir heute der Bildung beimessen, auch der protestantischen Wissenschaftsfreundlichkeit geschuldet ist. Witzig, schön und gut - aber wo bleiben die genuin „evangelischen“ Glaubensinhalte, etwa der Glaube an die „Rechtfertigung durch den Glauben“? Wie sehr möchten wir gerade diese an die nächste Generation weitergeben? Und eine knifflige Frage: Soll der evangelische Schul- und Konfirmandenunterricht dies heute überhaupt noch leisten?

Wir halten deshalb auch Lektüre bereit, die sich gerade mit Fragen der evangelischen Gegenwart auseinandersetzt, etwa Johann H. Claussens Taschenbuch „Reformation – die 95 wichtigsten Fragen“. Der Autor fragt z. B.: „Was haben die Frauen von der Reformation gehabt?“ (Frage 85), „Was hatten die Kinder von der Reformation?“ (Frage 86), „Was soll man heute von Luther und der Reformation halten“? (Frage 93) und „Würde ich mich heute noch als „protestantisch“ bezeichnen? (Frage 95).

So ist unser Leseraum nicht nur ein physischer, sondern auch ein Gedankenraum: Wer ihn, Hand in Hand mit den Autoren, durchmisst, begegnet sich immer wieder selbst. Die bunten Mosaik-steine, die die Reformation in unser Wesen durch Generationen pflanzte, beginnen aufzuleuchten. Vielleicht erwachen sie, um mit uns die Zukunft zu gestalten.


Öffnungszeiten und Adresse des Leseraums:

Pfarramt der Evangelischen Kirche A.B. Kronstadt
Johannes Honterus-Hof 2
500025 Kronstadt
Tel.: 0040-(0)268-511824
E-mail: info@biserica-neagra.ro
Montag-Freitag 08.00-11.30 und 12.30-15.00 Uhr