„Wir wollen unterstützen, wo unsere Hilfe gefragt ist“

Interview mit Volkmar Kirres, Vorsitzender der HOG Tartlau (9. Nachbarschaft Tartlau)

Gottesdienst in der Tartlauer Kirche mit Pfarrer Dr. Peter Klein und guter Beteiligung seitens der Tartlauer aus Deutschland und der Gemeinde selbst.

Begrüßung der Gottesdienstbesucher nach dem Gottesdienst durch Pfarrer Dr. Klein und Nachbarvater Volkmar Kirres (dritter von rechts) Fotos: W. Kirres

Am Sonntag, dem 16. August, fand in Tartlau das traditionelle Begegnungsfest statt. Nach einem festlichen Gottesdienst in der evangelischen Kirche, der von Pfarrer Dr. Peter Klein gehalten wurde, folgte ein gemütliches Beisammensein im Gemeindesaal. Anschließend hatten die Beteiligten die Möglichkeit, eine Aufführung des Jugendbachchors im Rahmen der Konzertreihe „Diletto Musicale“ zu besuchen. Etwa 90 Personen nahmen an den Festlichkeiten teil. Darunter waren fast die Hälfte nach Deutschland ausgewanderte Siebenbürger Sachsen, die in diesem Sommer ihren Heimatort besucht haben. Früher gab es in Tartlau 8 Nachbarschaften, für jeden Straßenzug eine. 1981 wurde eine 9. Nachbarschaft in Dinkelsbühl gegründet, mehr als 1500 Kilometer entfernt von den anderen. Sie finanziert sich durch Spenden, die aufgrund von Familienmitgliedschaften entrichtet werden.  Die 9. Nachbarschaft Tartlau hat sich zum Ziel gesetzt, das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Mitgliedern sowie die Pflege der Kontakte und Beziehungen mit der Heimatgemeinde zu fördern und zu stärken. Über die Aktivitäten der Gemeinschaft, deren Probleme, Zukunftspläne und deren Beziehung zu ihrem Heimatort sprach mit Volkmar Kirres, dem Vorsitzender der HOG Tartlau, die KR Redakteurin Elise Wilk.

Herr Kirres, Sie sind gebürtiger Tartlauer. Wann sind Sie nach Deutschland ausgewandert?

Es war nach der Wende, im Jahr 1990. Aus meiner Familie sind gleich vier Generationen auf einmal aus Tartlau weg: von meiner Großmutter, die über 80 Jahre alt war, bis zu meinen Kindern, die damals 1 und 3 Jahre alt wahren. Wir sind in die Nähe von Böblingen gezogen, wo unsere Verwandtschaft lebte.  Es waren schwierige Zeiten, weil es zur selben Zeit auch eine große Auswanderungswelle aus der ehemaligen DDR gab, die Wohnheime waren voll. Wir fingen gleich mit der Job- und Wohnungssuche an. Ich hatte Glück und fand einen Arbeitsplatz bei IBM, meine Frau machte eine Ausbildung. Ich war damals 32 Jahre alt.

Die ganze Kindheit und Jugend verbindet Sie also mit Tartlau.

Genau. Wir haben das ganze Leben in der Gemeinschaft mitbekommen. Meine Mutter war Kassiererin bei der Kirche, mein Vater hat als Organist ausgeholfen. Unser Haus in Tartlau haben wir nach einigen Jahren  verkauft. Es wurde umgebaut und hat inzwischen schon zwei Mal den Besitzer gewechselt.

Wann haben Sie Ihren Heimatort wieder gesehen?

Wir waren schon 1991 hier, um meine Schwiegereltern zu besuchen, die damals noch hier lebten. Zwei Jahre später waren wir wieder in Rumänien, um am Schwarzen Meer Urlaub zu machen. Dann waren wir 2001 mit der gesamten Familie hier. Wir wollten unseren Kindern, die sich ja an nichts mehr erinnern konnten, ihren Heimatort zeigen. Sie waren von der Kirchenburg fasziniert. Danach kamen wir in regelmäßigem Abstand auf Besuch: 2007, als Hermannstadt europäische Kulturhauptstadt wurde, kamen wir mit anderen 3 befreundeten Familien nach Siebenbürgen. Wir wollten auch die Leute treffen, die hier gelebt haben, auch unsere rumänischen  Jugendfreunde. 2011 kamen wir zusammen mit einer großen Gruppe zu dem großen Sachsentreffen anlässlich der 800 Jahre Burzenland. Beim Treffen im Jahr 2015 waren auch viele Leute dabei. Das verdanken wir der Werbung in unseren Publikationen „Tartlauer Wort“ und „Taifeltschen“.

Wie oft erscheinen die beiden Publikationen?

Das „Tartlauer Wort“ erscheint zwei Mal im Jahr, zu Weihnachten und zu Pfingsten, dazwischen erscheint das „Taifeltschen“, das per Email versendet wird. Neben aktuellen Informationen und Berichten sind die beiden Publikationen ein Mittel, die Mitglieder zu mobilisieren, an unseren gemeinsamen Aktivitäten teilzunehmen. Parallel dazu haben wir eine Homepage aufgebaut (www.tartlau.eu), die wir so oft wie möglich aktualisieren und pflegen.

Wieviele Mitglieder hat die HOG Tartlau? Was für gemeinsame Aktivitäten werden unternommen?

Die 9. Tartlauer Nachbarschaft hat aktuell 507 Familienmitgliedschaften. Die meisten Mitglieder wohnen in der Gegend Stuttgart, beziehungsweise Nürnberg. Die evangelische Kirchengemeinde in Tartlau zählt 107 Mitglieder.
Alle zwei Jahre gibt es ein Tartlauer Treffen in der mittelalterlichen Stadt Rothenburg ob der Tauber. Das Fest startet mit dem Gottesdienst in der evangelischen Kirche. Es folgen Diskussionen zu verschiedenen aktuellen Themen. Alle vier Jahre gibt es Vorstandswahlen. Im letzten Jahr gab es einen erfreulichen Anstieg der Teilnehmerzahl, von 230 auf 320 Leute. Wir konnten es schaffen, auch die jungen Leute für solche Veranstaltungen zu begeistern. Beim letzten Treffen waren viele Jugendliche dabei. Dann gibt es  den Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl, wo wir jedes Mal durch etwa 50 Personen vertreten sind. Auch hier waren beim letzten Mal viele Jugendliche dabei. In letzter Zeit hat erfreulicherweise ein Umdenken stattgefunden. Traditionspflege wird von den jungen Leuten nicht mehr als langweilig und altmodisch eingestuft.

Laut der Satzung Ihres Vereins sollte im Vorstand auch ein Jugendvertreter aktiv sein.

Bis vor 3 Jahren hatten wir einen Jugendvertreter, er ist leider zurückgetreten. Es ist nicht leicht, die Jugendlichen zusammenzubringen. Viele von ihnen wurden in Deutschland geboren und haben leider keinen Bezug zu Siebenbürgen. Trotzdem versuchen wir immer, gemeinsame Aktivitäten zu organisieren. Es ist wichtig, dass sich die Jugendlichen kennenlernen und vielleicht in Zukunft gemeinsam Rumänien besuchen. Es ist ein Thema, an dem man mehr arbeiten müsste.

Wie ist Ihr Verhältnis zu der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft und zu den Behörden in Tartlau?

Das Ziel unseres diesjährigen Besuchs in Tartlau war nicht nur, uns zu treffen und zu feiern, sondern auch mit ins Gespräch zu kommen. Wir wollen unterstützen, wo unsere Hilfe gefragt ist. Wir wollen versuchen, die Kommunikation mit der hier lebenden Gemeinschaft besser zu organisieren als in der Vergangenheit. Etwas Nachholbedarf gibt es in der Zusammenarbeit mit der Heimatgemeinde, deren Verbesserung auf der Agenda der Gespräche mit den Mitgliedern des Presbyteriums und der Gemeindevertretung stand. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir noch viele gemeinsame Projekte auf den Weg bringen können. Wir haben versucht, auch in Richtung Bürgermeisteramt einen Dialog aufzunehmen. Bis vor kurzer Zeit war die Kommunikation zwischen HOG und Bürgermeisteramt Tartlau  gleich Null. Man könnte aber viele  gemeinsame Projekte angehen. Zum Beispiel gibt es das Problem des Faschings, der jedes Jahr im Februar organisiert wird und nicht sehr viel mit Tradition zu tun hat. Bei einigen Auflagen wurde die sächsische Tracht sogar als Karnevals-Kostüm benutzt, so etwas können wir nicht akzeptieren. Wenn man diesen Aspekt ändern will, muss man miteinander reden.

Wie haben die Leute vom Bürgermeisteramt auf Ihre Kritiken reagiert?

Sie waren sehr offen und willig, einen Dialog zu schaffen. Sie haben es auch nicht gut gefunden, dass bisher gar kein Dialog stattgefunden hat. Nun haben wir den ersten Schritt getan. Leider gibt es kaum Informationen über die kulturellen Veranstaltungen in Tartlau. Die Leute denken „Warum soll ich hinfahren?“ Wenn man ihnen mehr bieten würde, würden sie sicher in größerer Anzahl in ihre Heimat kommen. Das werden wir in Zukunft zusammen nachbessern.

Wie fanden Sie, dass sich Tartlau im Laufe der Zeit entwickelt hat?

In den ersten Jahren hat sich nicht sehr viel getan. Das war aber generell ein Problem, nicht nur in Tartlau. Wir haben damals keine Entwicklung bemerkt, sondern eher einen Verfall. Die Häuser, die seit vielen Jahren nicht mehr bewohnt waren, befanden sich in einem sehr schlechten Zustand. Von den letzten Entwicklungen in Tartlau sind wir jedoch positiv überrascht. Viele Straßen wurden asphaltiert und Kanalisation wurde eingeführt. Auch das Gästehaus wurde seit dem 1.Juli wieder eröffnet. Es hat 4 Doppelzimmer mit Bad und eine Gemeinschaftsküche mit modernem Zubehör.

Was wären die negativen Aspekte?

Nicht so schön für die vielen Besucher aus nah und fern, die nach Tartlau kommen, sind die vielen Straßenhunde. Ebenfalls stört die überhöhte Geschwindigkeit der Fahrzeuge auf der Hauptstraße. Was das Einkaufen betrifft, gibt es hier ein paar kleine Läden. Es fehlt aber eine Gaststätte im Zentrum. Die Touristen wollen nach Besichtigung der Kirchenburg vielleicht etwas Traditionelles essen. Es gibt zwar ein Restaurant bei einer Pension, die Auswahl ist aber nicht so groß und es liegt nicht zentral. Man könnte vielleicht die  alten Schulgebäude in unmittelbaren Nähe der Kirchenburg zu einer Gaststätte umbauen und hier sächsische Gastronomie anbieten. Man müsste etwas mit diesen Gebäuden tun, sonst müsste man sie irgendwann abtragen, und es wäre schade. Die heruntergekommene Fassade wirkt störend.

Welches sind Ihre Zukunftspläne?

Wir wollen eine Tartlauer Chronik herausgeben und sind noch auf  der Suche nach einem Autor. Dann wollen wir uns aktiv in die Probleme der Gemeinde Tartlau implizieren. Die Renovierung des Friedhofes, die in den vergangenen Jahren stattgefunden hat, hat Nachbesserungsbedarf. Die Hauptgehwege müssen neu asphaltiert werden und man muss die Fassade nachbessern. Ein anderer wichtiger Punkt ist die Restaurierung der Orgel, an der wir uns finanziell beteiligen. Die Arbeiten werden im September beginnen. Für uns ist es wichtig, dass eine gut funktionierende Orgel in der Kirche vorhanden ist, besonders deshalb, weil hier jeden Sommer Konzerte stattfinden. Ein anderes Projekt ist die Überführung und Digitalisierung des Kirchenarchivs. Nicht zuletzt wollen wir die Leute über die Möglichkeit einer Zweitmitgliedschaft in der evangelischen Kirche informieren. Wenige wissen, das so etwas überhaupt möglich ist. Das würde das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und Unterstützung auf moralischer Ebene bieten. In der nächsten Ausgabe vom „Tartlauer Wort“ werden wir einen Artikel diesem Thema widmen. In Zukunft gäbe es auch Potential für ein größeres Treffen in Tartlau, wenn man es  vorzeitig organisiert und kommuniziert.

Herr Kirres, wir danken für das Gespräch!