Zwei Ausstellungen gleichzeitig

Traditionelle Webtechnik mit modernen Motiven und ein Rückblick auf die Handwerkerzünfte

Der Webstuhl (Nachbau), auf welchem nach und nach die ausgestellten Tapisserien hergestellt worden sind.

Ein schwarz-weiß gehaltenes Portrait von Lenin, ein Jux ,den sich die Künstler erlaubten und von dem für dieses Foto die Schutzfolie entfernt wurde.
Fotos: Der Verfasser

In der Weberbastei ging vergangene Woche das Projekt „Webstühle in der Weberbastei“ zu Ende. Das Projekt wurde vom Geschichtsmuseum Kronstadt und dem Forum-Verein eingeleitet und die Abgabe der letzten Vorlagen für die gewebten Tapisserien war der 25. Juni gewesen. Am Projekt haben sich sechs Weberinnen beteiligt,  die je eine Tapisserie in klassischer Webtechnik an einem nachgebauten Webstuhl aus Wollfäden hergestellt haben. Ganz selbständig oder gemeinsam mit je einer jüngeren Künstlerin, welche das Motiv lieferte. An sich nur eine Wiederbelebung eines einst in fast jeder Wirtschaft ausgeübten Handwerks könnte man sagen, doch es ist bei weitem mehr. Denn die Motive der sechs Arbeiten haben nichts mit traditionellen Formen gemeinsam, welche wir uns vorstellen, wenn wir an einen handbetätigten Webstuhl denken – im Gegenteil. Maria Pepene und Daniel Djamo machten sich z.B. ganz einfach ein Selfie, welches sie in Kleinarbeit in Quadrate aufteilten und webten. Nicoleta Oltean und Irina Stoican gingen noch weiter: sie stellten ein Grundgewebe her, auf welches sie in 3D-Verfahren Formen aufgetragen haben. Die Tapisserie „Rüstung“, von Maria Gârbacea und Georgeta Gămălie vereint das klassische Rhombusmotiv aus der Volkskunst mit geschwungenen Linien einer abstrahierten Rittergestalt.  

Schwer hatte es Doina Voinescu, die von ihrem Webereipartner Daniel Brici eine Papierzeichnung mit Lenin bekam, welche die beiden jedoch sehr gut in gesteigertem Kontrast ausführten. Die Vorlage von Bianca Mann für Victoria Ialomi]eanu ist die mit Abstand ausgefallenste von allen, mit den androgenen Köpfen eines gemeinsamen Rumpfes. Die letzte Arbeit, von Maria Trişcă und Dorina Horătău lehnt sich stark an die Natur an, sowohl in der Form (es ist eine waagerechte Tapisserie) als auch in ihrer Beschaffenheit, da in sie Feldgräser eingewebt sind. Die Arbeiten werden im Besitz des Kunstmuseums der Stadt bleiben und jeder der Teilnehmer hat eine Dotierung von je 1800 Lei erhalten.

Die bedeutende Rolle der Weberkunst in der Stadtgeschichte wird im zweiten Teil der Ausstellung bis in die entfernte Vergangenheit illustriert und dokumentiert. Herangezogen wurden Zeichnungen und Fotos aus dem Archiv des Geschichtsmuseums, welche die Weberbastei in verschiedenen Zeiten zeigen: von einer Zeichnung aus der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts bis hin zu vergrößerten Fotografien, welche die Umgebung der Bastei zeigen, als die heute vorhandenen Straßen noch nicht angelegt waren. Eine Zusammenfassung der neueren Geschichte der Weberbastei kann der Besucher auf zwei Tafeln nachlesen, mit Schwerpunkt auf die Bemühungen, welche dem Erdbeben von 1710 folgten. Die Schäden müssen damals erheblich gewesen sein, eine Räumung und der Wiederaufbau folgten erst 1750, just zu einer Zeit als die militärische Bedeutung der Anlage schwand.

1910 wurde so gut wie das ganze Holz der Wehrgänge, Überdachungen, Treppen und Podeste ersetzt und 1950, 1959-1961, 1970, 1975 und die bisher gründlichste Grundmauerbefestigung zwischen 1990 und 2001. Zwar sind nicht alle Zünfte der Stadtgeschichte auf Schautafeln dargestellt, ein Grund dafür ist auch, dass es bei dieser Ausstellung um Weberkunst geht, doch ein Überblick über die wichtigsten Gewerbe, die in Kronstadt vertreten waren, wird doch geboten und illustriert. Besucht kann die Ausstellung täglich von 10 bis 18 Uhr (letzte Gruppe: 17 Uhr) einschließlich sonntags werden. Montag ist das Museum geschlossen. Auf eine Besonderheit muss allerdings noch hingewiesen werden: um die höchst empfindliche Wolle der Tapisserien zu schützen, sind diese mit einer besonderen Folie abgedeckt, die nur zeitweilig entfernt wird.