ADZ-Reihe: Wertvolle Jugendbücher

„Wenn man denkt, dass wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt“

„Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte“, von Dita Zipfel mit Illustrationen von Rán Flygenring, Carl Hanser Verlag, ausgeliehen in der Bibliothek des Goethe-Instituts Bukarest, Calea Doroban]i 32/Pavilion, www.goethe.de/bukarest, auch erhältlich im Erasmus Büchercafe www.buechercafe.ro

Dita Zipfers Buch „Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte” beschreibt die Lebens- und Entwicklungsgeschichte der 13-jährigen Lucie und versucht zu zeigen, dass Menschen auch anders denken dürfen ohne unbedingt wahnsinnig zu sein und dass auch als wahnsinnig betrachtete Menschen oftmals eine gute Begründung für ihr Handeln haben, das sie als „normal” betrachten. Das Buch ist eine Kombination zwischen Science Fiction, Detektivroman und Lebensgeschichte ohne viel Aktion. Es enthält viele von Lucie handgeschriebene und gezeichnete Seiten und bietet so einen heiteren Eindruck, obwohl das Thema eigentlich sehr ernst ist.

Lucie lebt mit ihrem Bruder Janni, ihrer Mutter und dem Freund ihrer Mutter, dem Michi, zusammen, ist eine Außenseiterin in der Schule und scheint keine Freunde zu haben. Sie braucht dringend Geld, um von zu Hause nach Berlin, zu einer Bekannten, umzuziehen und ein neues Leben zu beginnen. Deswegen geht sie auf eine Anzeige zum Spazierenführen eines Hundes ein. Doch mit dem „Hundebesitzer“, der, wie sich bald herausstellt, gar keinen Hund besitzt, bringt die Autorin den Wahnsinn zu Lucie. Der alte Herr Klinge braucht sie eigentlich, um ein spezielles und angeblich super-geheimes Kochbuch niederzuschreiben: ein „Kochbuch für Killer“, und bald als Mädchen für alles. Sie muss ihm auch Gesellschaft leisten und wird allmählich als Nachfolgerin seines geheimen Wissens eingeweiht, das vor unbekannten Kräften, die ihn verfolgen, beschützt werden soll: Eine Welt, in der es magische Wesen gibt, in der Erbsen eigentlich Ghulaugen sind, Mais Feenzähne, Tomaten Drachenherzen und Honig Werwolfspucke. In Klinges Wohnung herrscht komplettes Chaos, aber die Wände sind komplett mit ordentlich angeordneten Einmachgläsern bestückt, von denen jedes nur eine einzige dieser magischen Zutaten enthält. Obwohl sie Klinge anfangs für einen böswilligen und verrückten alten Mann hält, gelingt es ihr mit der Zeit, sich mit ihm anzufreunden und ihn sogar sympathisch zu finden. Sie beginnt zu verstehen, dass sein Wahnsinn eher ein „Anders-sein” ist und bemerkt in sich selbst und um sich herum viele Personen im Kampf zwischen „normal sein” und „anders sein”, zwischen der „wirklichen Welt” und dem „Wahnsinn”. Einerseits beispielsweise den Drang ihres Bruders, wie die anderen zu sein, „cool” wie Marvin oder Jessie und ihre Freundinnen. Andererseits Klinge mit seinen Eigenheiten, Michi mit seinen philosophischen Liebeszetteln, ihre Mutter, die einmal eine Beziehung mit einer Frau hatte, oder ihr Freund Leo, dessen Lebensansichten sich nach nach dem Tod seines Bruders geändert haben und der sich gegen seinen besten, aber böswilligen Freund Marvin richtet, obwohl dieser der „coolste” Junge der Schule ist. Auch Lucie selbst durchgeht diesen Kampf während des gesamten Buches und oftmals ist nicht klar, in welche Richtung sie neigt: wird sie z. B. Klinge helfen, der von ihren Schulkolleginnen verspottet wird, oder wird sie eher zu der „coolen” Mädchengruppe halten und den Alten verspotten? Letzten Endes zeigt die Autorin, dass jeder seine eigene Entscheidung treffen muss, unabhängig davon, von welcher Seite her man als „verrückt” abgestempelt wird. Vielleicht gibt es gerade deswegen keine Wertschätzung zu der Entscheidung der einzelnen Personen. Michis Good-Bye-Zettel ist vielleicht die schönste Zusammenfassung der gesamten Geschichte: „Wenn man denkt, dass wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt”.

Ich persönlich fand dieses Buch interessant und gut geschrieben. Es ist eine andere Art von Geschichte, als ich je gelesen habe, aber gleichzeitig sehr leicht zu lesen, auch wegen den vielen Zeichnungen. Ich habe gelernt, dass Leute, die anders denken nicht unbedingt verrückt oder wahnsinnig sein müssen und dass es wichtiger ist, wahre Freunde zu haben, die dir auch bei Problemen beistehen, anstatt „coole” Freunde, die dich aber nicht verstehen. Ob Klinge wirklich wahnsinnig ist, weiß ich nicht, er wirkt aber nach einiger Zeit echt sympathisch, mit all seinen außergewöhnlichen Ideen.

Dita Zipfel wurde 1981 im Norden geboren, kurz darauf in den Süden verfrachtet, um von dort wieder in den Norden aufzubrechen. Nachdem sie mit ihrer Familie und unzähligen Ideen im Süden Frankreichs im kleinsten Schloss und im Norden Deutschlands in der größten Besenkammer der Welt gelebt hat, ist sie jetzt in Berlin zu Hause. In der Schule hat sie sich überwiegend gelangweilt und sich deshalb lieber selbst im Kino ihres Großvaters erzogen. Sie hat Pommes auf Sylt verkauft, Popcorn im Kino, Schuhe in Berlin, Gemüse in Hamburg. Dann hat sie Kühe auf Mallorca gemolken, bevor sie Lehrerin in Nordfriesland wurde. Heute schreibt sie Bilderbücher, Theaterstücke, Drehbücher und mit „Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte“ ihr vielfach prämiertes Jugendbuchdebüt, das mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2020, dem Korbinian - Paul Maar-Preis, dem Kranichsteiner Jugendliteraturstipendium sowie dem Hamburger Förderpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Die Stiftung Buchkunst wählte das von Rán Flygenring gestaltete Buch 2020 auch als eines der 25 „Schönsten Deutschen Bücher“aus. 
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Die monatliche ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“ möchte Kinder und Jugendliche zum Lesen in deutscher Sprache anregen.