ADZ-Reihe: Wertvolle Jugendbücher - Alle verschwinden aus Siebenbürgen

„Anabel und die verschwundenen Zwillinge“, Anselm Roth, Schiller Verlag, ausgeliehen in der Bibliothek des Goethe-Instituts Bukarest, Calea Dorobanți 32/Pavilion, www.goethe.de/bukarest

In Anselm Roths Roman „Anabel und die verschwundenen Zwillinge“ geht es um Heimatverlust und einen Kriminalfall – die Spur führt jeweils nach Deutschland.
Deutschland. Wie ein unwirklicher Schatten steht dieses Land über dem kleinen Dorf Rauthal/Roandola. Erst sind die guten Freunde von Anabel, Lavinia und Daniel, weg. Dann verschwinden die Zwillinge Bea und Bella und schlussendlich soll auch Anabel – die Hauptcharakterin und Ich-Erzählerin – umziehen, denn auf ihren Vater wartet ein gut dotierter Vertrag in München. 

„Zuhause hat der Blitz eingeschlagen“, denkt Anabel. „Neun Jahre leben wir in Roandola, und wir haben sehr viele Menschen weggehen sehen“, refelektiert sie. Viele Häuser stehen in dem kleinen Straßendorf mittlerweile leer - und nun ist sie selbst an der Reihe.

Doch schon immer – auch vor dem Umzug – war die Bundesrepublik dort präsent. So zum Beispiel bei Schulkamaradin Maria: „ihre Mutter näht Anzüge für deutsche Geschäftsleute, wie fast alle“, oder der Roman „Steppenwolf“, ein Klassiker der deutschen Literatur, welchen Florin liest und auch natürlich in der Schule, die Anabel besucht: es ist schließlich eine deutsche Schule.

Ein Dorf zwischen siebenbürgisch-deutscher Vergangenheit und rumänischer Zukunft und Menschen, mit meist rumänischer Vergangenheit und Identität und deutscher Zukunft. Genau wie Anabel: „Ich liebe mein Dorf, und für mich hat es den schönsten Namen auf der Welt – wenn ich Roandola sage, fühlt sich das an, als kämen vier bunte Glasperlen aus meinem Munde gekullert“, erklärt die 14-jährige Rumänin. Denn Deutschland, trotz aller finanziellen Hoffnungen, ist vor allem eines nicht: Anabels Heimat.

Der Ort, wo sie sich mit Daniel ziemlich gut verstanden hat, oder wo ihr guter Freund Florin in einem der heruntergekommen Blocks in der Nachbarstadt lebt. Wo aber auch die „falsche Schlange“ Victoria lebt – unausgesprochene Erzfeindin von Anabel. All das wird zurückgelassen. Um die Hühner und den Hund kümmern sich die Nachbarn und selbst das kleine Feld darf ein Bekannter bewirtschaften und „da der Reichtum erst vor uns liegt, werden wir mit dem Autobus nach Deutschland fahren“, erklärt sie. Florin wartet dabei auf sie am Straßenrand, während Anabels Kehle „wie zugeschnürt“ ist.

Deutschland ist nicht das Paradies, auch wenn es in Anabels Ohren immer so geklungen hat. Dies merkt sie schnell, als sie das erste Mal durch die pompösen und luxoriösen Straßen von München zieht. Schließlich gibt es im Westen auch zahlreiche Probleme, zum Beispiel Obdachlosigkeit, was Anabel erstmal sprachlos macht. 

Doch im Roman gibt es ein viel größeres Problem: die Zwillinge Bea und Bella, die Geschwister von Florin. Diese wurden in einer Klinik in Kronstadt/Bra{ov von deutschen Ärzten untersucht, woraufhin festgestellt wurde, dass sie todkrank seien und eine Stiftung sie zur Behandlung nach Deutschland bringen würde. Florins Mutter solle ein Ticket zum Nachkommen erhalten. Toll! Wie großzügig von Deutschland! Erhalten hat sie die Tickets jedoch nie – und seitdem ist weder der Aufenthaltsort der Zwillinge noch ihr Zustand bekannt. 
Da haben wir es wieder, dieses Deutschland. Als Anabel sich mit ihren neuen Freunden aus München, Lavinia und Daniel auf die Suche nach den Zwillingen macht, wird ihnen eines schnell klar: an der Geschichte stinkt etwas gewaltig! Wie konnten Bea und Bella so schnell todkrank erklärt werden? Wo sind sie jetzt? Die Spur führt zu  einem deutschen und einem rumänischen Arzt und einer Tatsache: „Tausende Eltern in Deutschland warten sehnsüchtig auf ein Adoptivkind.“

„Die Adoption rumänischer Kinder dauert norma-lerweise etwa ein Vierteljahr. Die Kosten belaufen sich auf 16.000 Mark pro Kind“, liest Anabel mit ihren Freunden im Internet. „Heute würde man 7900 Euro schreiben“. Dabei werden diese Kinder nicht einfach nur zur Adoption freigegeben, sondern teilweise aus Ländern wie Rumänien entführt.

Wahrscheinlich der beste Moment, um die Polizei, Interpol, die Botschaften oder wen man sonst noch erreichen kann, einzuschalten – aber wer würde ihnen glauben? Anabel und ihre Freunde entscheiden sich erstmal dagegen und spüren den Ärzten hinterher, verstricken sich so sehr in die Geschichte, bis jemand betäubt und entführt wird, ein Kampftrupp mit Maschinenpistolen eingreifen muss und eine Verfolgungsjagd mit dem Motorboot stattfindet. 

Neben der spannenden Handlung an sich greift der Roman eine Thamatik auf, die wohl auch sehr viele Leser dieser Zeitung und die ADZ selbst betrifft. Den Kontrast zwischen Rumänien, Deutschland und natürlich den zahlreichen deutschen Minderheiten mit ihren ganz eigenen Identitäten und Geschichten und einer Lebenswelt, die zwischen all dem steht.


Die ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“ möchte Kinder und Jugendliche zum Lesen in deutscher Sprache anregen. Das vorliegende Buch ist auf der Seite des Schillerverlages unter: www.buechercafe.ro erhältlich.